Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Das war ein teuflisches Verfahren“
Jurist Hans Göggelmann spricht in Laupheim über einen besonderen Hexenprozess aus der Region
- Über mehr als 350 Jahre wurden Menschen im deutschsprachigen Raum als Hexen verfolgt. Ein Fall aus der Region ist heute besonders bekannt. Was diesen so außergewöhnlich macht, hat der Ulmer Rechtsanwalt Hans Göggelmann bei einem Vortrag in Laupheim erklärt.
Der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt bei dem Vortrag am Mittwochabend, der, passend zum Thema Hexenverfolgung, im alten Gefängnis gehalten wurde. Es ist schon das vierte Mal, dass der promovierte Jurist diesen Winter vor einem Laupheimer Publikum über die Hexenverfolgung in Ulm und Umgebung spricht.
Das große Interesse an dem Thema hatte sicherlich nicht zuletzt damit zu tun, dass Göggelmann einen Fall aus dem nahe gelegenen Erbach mitgebracht hat, der heute über die Grenzen der Kleinstadt bekannt ist. Der Grund: Die als Hexe angeklagte Anna Spülerin aus dem heutigen Erbacher Stadtteil Ringingen überstand im Jahr 1508 die schwere Folter durch den Henker und seine Knechte – und zog dann gegen diejenigen vor Gericht, die sie der Hexerei bezichtigt hatten. „Eine Hexe musste gestehen“, erklärt Göggelmann. Diese Geständnisse seien ausnahmslos durch Folter erzwungen worden. Darum hätten die Hexenverurteilungen auch mit der Abschaffung der Folter ein Ende gefunden.
Anna Spülerin gehörte zu den wenigen, die trotz der Folter nicht gestanden und freigesprochen wurden – „körperlich verkrüppelt, seelisch traumatisiert und ohne jemanden, der ihre schlimmen Verletzungen hätte heilen können“, wie Göggelmann ausführt. Wie schwer „die Spülerin“durch die Folter geschädigt wurde, geht aus einem Protokoll hervor: Sämtliche Glieder waren demnach zerrissen, Gehör und Augenlicht beeinträchtigt.
Üblicherweise erfolgte die Folter durch Daumenschrauben. Wer diese überstand, sei anschließend an den Aufzug gehängt worden, erklärt Göggelmann. Dabei wurden die Arme auf den Rücken gefesselt und die Frau an den Händen mit einem Flaschenzug in die Luft gezogen. Schließlich wurden Gewichte an den Beinen angebracht. Sämtliche Muskeln, Sehnen und Knochen seien dabei zerrissen worden, betont Göggelmann. „Das war ein teuflisches Verfahren.“Die Wortwahl des 69jährigen Juristen macht deutlich, wer hier die Täter waren – und wer das Opfer, dem vorgeworfen wurde, Sexgespielin und Dienerin des Teufels zu sein.
Es ist unklar, wie es Anna Spülerin trotz ihrer schweren Verletzungen gelang, eine Klage auf Schadensersatz gegen die 23 Menschen
anzustreben, die sie der Hexerei bezichtigt hatten. Man nehme an, dass sie dabei Hilfe hatte, sagt Göggelmann. Genaues geben die Akten laut dem Juristen aber nicht her.
Was man aber weiß, ist, dass die Klage der Ringingerin von einem Richter in Ulm abgewiesen wurde, dann aber in zweiter Instanz vor dem Reichskammergericht in Regensburg verhandelt wurde. Dieses brauchte zehn Jahre für die Entscheidung – und befand, dass der Ulmer Richter falsch entschieden hatte. Die Klage wurde an die erste Instanz zurückverwiesen. „Ab dann sind die Akten verloren“, so Göggelmann. Man wisse weder, ob Anna Spülerin zu dem Zeitpunkt noch am Leben war, noch, wie das Gerichtsverfahren letztlich ausgegangen ist.
Nach heutigem Stand wurden laut Göggelmann rund 60.000 Menschen in Europa wegen Hexerei zum Tode verurteilt, mehr als die Hälfte davon im deutschsprachigen Raum. Anders als häufig angenommen, hat der Großteil der Hexenverfolgung nicht im Mittelalter stattgefunden. Die letzte vermeintliche Hexe ist erst 1792 in der Schweiz verurteilt worden – „zu Zeiten von Schiller und Goethe“, wie Göggelmann betont.