Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Özdemir stellt sich der Kritik der Bauern

Veranstalt­ung auf dem Gigelberg verläuft friedlich – Organisato­ren kritisiere­n Krawall als kontraprod­uktiv

- Von Paul Braun und Christian Reichl

- Anlässlich des Politische­n Aschermitt­wochs der Grünen hat am Mittwoch auf dem Gigelberg in Biberach eine Kundgebung stattgefun­den. Hunderte Bauern aus der Region und darüber hinaus versammelt­en sich auf dem Schotterpl­atz, um ihrem Unmut über die Agrarpolit­ik Gehör zu verschaffe­n. Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir sprach in einer kurzen Rede zu den Landwirten. Überschatt­et wurde die friedliche Kundgebung allerdings von den Ereignisse­n vor der Stadthalle. Nach massiven Protesten wurde das Treffen der Grünen aus Sicherheit­sgründen kurzfristi­g abgesagt.

Während in der Biberacher Stadthalle eigentlich der Politische Aschermitt­woch der Grünen hätte stattfinde­n sollen, versammelt­en sich auf dem Gigelberg Hunderte Landwirte mit ihren Traktoren bei einer großen Kundgebung. Angemeldet wurde sie bereits vor rund einem Monat – von drei Privatpers­onen, wie die Organisato­ren immer wieder betonten. Man wolle keinen Verband besonders hervorhebe­n. Bereits vor vier Jahren wurde eine ähnliche Demonstrat­ion am Rande des alljährlic­hen Treffens der Grünen abgehalten, um auf Anliegen und Probleme der Landwirte aufmerksam zu machen. „Dort bietet sich uns eine große Bühne, diese müssen wir für uns nutzen, aber auf dem demokratis­chen Weg, wie es sich gehört“, sagte Organisato­r Hubert Henle, Landwirt aus Westerflac­h, der „Schwäbisch­en Zeitung“im Nachgang.

Rund 250 Traktoren und weitere große Fahrzeuge hatten sich auf dem Platz versammelt und rings um die Bühne aufgestell­t. Viele der Fahrzeuge waren mit Protestban­nern versehen, auf welchen unter anderem ein Ende der Ampel-Regierung gefordert wurde. Sirenen und modifizier­te Hupen heulten auf. Wegen des anhaltende­n Tumults vor der Biberacher Stadthalle verschob sich der Beginn der Kundgebung um rund eine halbe Stunde auf 10.30 Uhr (einen ausführlic­hen Bericht finden Sie auf Seite 17). Aufgrund der Vorfälle sei laut Henle auch unklar gewesen, ob der Minister überhaupt auf der Kundgebung sprechen werde. Organisato­r Klaus Keppler mahnte

zu Beginn an, dass die Kundgebung in geordneten Bahnen verlaufen solle und man Störern oder stark alkoholisi­erten Teilnehmer­n einen Platzverwe­is ausspreche­n werde.

Teil des Konzepts der Kundgebung war es, nicht nur Bauern, sondern auch Menschen aus der bürgerlich­en Mitte zu Wort kommen zu lassen, wie die Organisato­ren betonen. Die erste Rednerin war Nicole Schleich. Sie ist dreifache Mutter und hat „nichts mit der Landwirtsc­haft zu tun“, wie sie selbst sagte. Sie mache sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder, da die Politik gerade auf allen Ebenen versage.

Nächster Redner war Harald Knoll, selbststän­diger Steuerbera­ter. Er sagte, dass man als Selbststän­diger – was auch Landwirte zweifelsfr­ei seien – von der Regierung Steine in den Weg gelegt bekomme. Ihn störe vor allem die überborden­de Bürokratie und eine falsche Verteilung von Steuergeld­ern. Knolls Rede wurde durch die Ankunft von Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir übertönt. Unter Polizeigel­eit stieg der Minister aus einem Regierungs­fahrzeug und wurde mit kräftigen Buh-Rufen und Pfiffen begrüßt. Bevor er ans Mikrofon treten konnte, mahnte Organisato­r Keppler noch einmal an, die Rede nicht zu stören.

Cem Özdemir begann seine Ansprache mit einem Dankeschön für die Einladung. „Schwätza muss man mit de Leut“, sagte der Minister und fügte an, dass er einige der Sprüche auf den Transparen­ten

der Bauern so unterschre­iben könne. Er verstehe den Unmut der Landwirte. Die Organisato­ren hatten Fragen an ihn vorbereite­t, auf die er antwortete. Es ging unter anderem um die Flächensti­lllegung, die Gemeinsame Agrarpolit­ik (GAP) der EU und die Tierwohlab­gabe. Özdemir wies mehrmals darauf hin, nicht innerhalb von zwei Jahren die Versäumnis­se der vergangene­n Jahrzehnte wettmachen zu können. Auch betonte er, selbst nicht fehlerfrei und für Vorschläge offen zu sein; er kritisiert­e aber sogleich die „demokratis­che Opposition“, die aus seiner Sicht nicht an Lösungen, sondern Parteipoli­tik interessie­rt sei.

Es habe die Organisato­ren sehr gefreut, dass der Minister trotz der Szenen an der Stadthalle noch gekommen sei. Eigentlich war auch geplant, dass Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n auf der Kundgebung spricht – der sagte seinen Besuch aber ab. „Das war ein feiner Zug von Cem Özdemir – auch, dass das Gespräch mit dem Bauernverb­and noch stattgefun­den hat“, schilderte Henle. Etwas enttäuscht sei er gewesen, dass beim Treffen zwischen Bundesland­wirtschaft­sminister und Bauernverb­and im Landratsam­t, anders als in Vorgespräc­hen thematisie­rt, von den Demo-Organisato­ren niemand eingeladen worden sei. „Wichtig ist aber, dass das Gespräch stattgefun­den hat. Uns brennt die Hütte wegen der geplanten Flächensti­lllegung“, sagte Henle. Der Minister habe versproche­n, bis Ende Februar Antworten zu liefern.

Bei der Demonstrat­ion auf dem Gigelberg wurde die Stimmung kurzzeitig hitzig, als der Bundesland­wirtschaft­sminister auf verbale Konfrontat­ion mit einem Zwischenru­fer ging. Der Störer fragte, wieso Özdemir vermeintli­ch nicht auf den Bauerndemo­s vertreten gewesen sei, was den Minister sichtlich verärgerte. „Wenn Sie mal die Zeitung lesen würden anstatt immer nur Russia Today, würden Sie wissen, dass ich auf den Demos war.“Özdemir werde, sagte er, von Brüssel oder dem Bundesrat bei manchen Themen wie der Flächensti­lllegung gebremst. Zum Abschluss seiner Rede sagte der Bundesland­wirtschaft­sminister noch, dass man gern gegen ihn protestier­en solle, gleicherma­ßen aber auch diejenigen in die Pf licht nehmen müsse, die wichtige Vorhaben blockieren. Er wolle an seinen Taten gemessen werden.

Nach Özdemirs Abreise folgten weitere Redebeiträ­ge. Ein Fleischer sagte, die Regierung solle endlich auf hören, sich nur zu streiten. Olaf Scholz warf er Duckmäuser­tum vor und forderte, dass er den Streiterei­en innerhalb der Ampel ein Ende setzen solle. In vielen Redebeiträ­gen wurden auch tagespolit­ische Themen wie die Energiekri­se, das Bürgergeld oder die Flüchtling­spolitik kritisiert. Außerdem störten sich die Demo-Teilnehmer an Vorwürfen, die Bauernprot­este seien rechtsradi­kal unterwande­rt. Einer der Redner – ein Mitorganis­ator – sagte: „Wenn alles nach links rutscht, ist die politische Mitte halt plötzlich rechts.“

Danach verkündete Keppler das Ende der Kundgebung. Auf den Hinweis, dass der Politische Aschermitt­woch in der Stadthalle abgesagt worden sei, folgte großer Jubel von den Teilnehmen­den.

Die Kundgebung lief friedlich ab und es wurden keine Platzverwe­ise ausgesproc­hen. Keppler sagte nach Ende der Veranstalt­ung, dass Polizei, Ordnungsam­t und Bürgermeis­ter den friedliche­n Ablauf der Kundgebung gelobt hätten. Henle ergänzte, dass man sich in vorbereite­nden Gesprächen mit Polizei und Ordnungsam­t abgestimmt habe. Eine Hoffnung der Ordnungskr­äfte habe darauf gelegen, die bereits seit Wochen angekündig­ten Proteste durch die Kungebung zu entschärfe­n. Dass es zu Aktionen der Bauern vor der Stadthalle kam, sei bei all dem Frust in der Branche zu erwarten gewesen. Allerdings bedauere er, dass es zu gewalttäti­gen Ausschreit­ung kam und der Politische Aschermitt­woch letztendli­ch abgesagt werden musste. Er wolle keine Schuldzuwe­isungen machen, schließlic­h könne noch niemand sagen, welche Gruppierun­gen die Stimmung angeheizt hätten. „Ich bin gut vernetzt, aber konnte da niemand erkennen“, sagte Henle. Die Eskalation kritisiert er deutlich: „Das hat nur negative Schlagzeil­en gebracht.“

Ihre eigene Veranstalt­ung bezeichnet der Landwirt dagegen als Erfolg. „Die Veranstalt­ung lief geregelt ab, das Publikum hat gut mitgemacht, und das Feedback zu den Reden war gut“, sagte Henle. Trotz dessen, dass viele Traktoren es nicht bis an den Gigelberg geschafft hätten, habe die Teilnehmer­zahl alle Erwartunge­n übertroffe­n. „Wir haben nach all den Mahnfeuern und Sternfahrt­en mit nicht so vielen gerechnet.“

 ?? FOTO: PAUL BRAUN ?? Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir antwortete auf der Kundgebung auf vorbereite­te Fragen der Bauern.
FOTO: PAUL BRAUN Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir antwortete auf der Kundgebung auf vorbereite­te Fragen der Bauern.
 ?? FOTO: BRAUN ?? Der Schotterpl­atz auf dem Gigelberg war am Mittwoch gefüllt mit Traktoren und Teilnehmer­n der Kundgebung.
FOTO: BRAUN Der Schotterpl­atz auf dem Gigelberg war am Mittwoch gefüllt mit Traktoren und Teilnehmer­n der Kundgebung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany