Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Özdemir stellt sich der Kritik der Bauern
Veranstaltung auf dem Gigelberg verläuft friedlich – Organisatoren kritisieren Krawall als kontraproduktiv
- Anlässlich des Politischen Aschermittwochs der Grünen hat am Mittwoch auf dem Gigelberg in Biberach eine Kundgebung stattgefunden. Hunderte Bauern aus der Region und darüber hinaus versammelten sich auf dem Schotterplatz, um ihrem Unmut über die Agrarpolitik Gehör zu verschaffen. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir sprach in einer kurzen Rede zu den Landwirten. Überschattet wurde die friedliche Kundgebung allerdings von den Ereignissen vor der Stadthalle. Nach massiven Protesten wurde das Treffen der Grünen aus Sicherheitsgründen kurzfristig abgesagt.
Während in der Biberacher Stadthalle eigentlich der Politische Aschermittwoch der Grünen hätte stattfinden sollen, versammelten sich auf dem Gigelberg Hunderte Landwirte mit ihren Traktoren bei einer großen Kundgebung. Angemeldet wurde sie bereits vor rund einem Monat – von drei Privatpersonen, wie die Organisatoren immer wieder betonten. Man wolle keinen Verband besonders hervorheben. Bereits vor vier Jahren wurde eine ähnliche Demonstration am Rande des alljährlichen Treffens der Grünen abgehalten, um auf Anliegen und Probleme der Landwirte aufmerksam zu machen. „Dort bietet sich uns eine große Bühne, diese müssen wir für uns nutzen, aber auf dem demokratischen Weg, wie es sich gehört“, sagte Organisator Hubert Henle, Landwirt aus Westerflach, der „Schwäbischen Zeitung“im Nachgang.
Rund 250 Traktoren und weitere große Fahrzeuge hatten sich auf dem Platz versammelt und rings um die Bühne aufgestellt. Viele der Fahrzeuge waren mit Protestbannern versehen, auf welchen unter anderem ein Ende der Ampel-Regierung gefordert wurde. Sirenen und modifizierte Hupen heulten auf. Wegen des anhaltenden Tumults vor der Biberacher Stadthalle verschob sich der Beginn der Kundgebung um rund eine halbe Stunde auf 10.30 Uhr (einen ausführlichen Bericht finden Sie auf Seite 17). Aufgrund der Vorfälle sei laut Henle auch unklar gewesen, ob der Minister überhaupt auf der Kundgebung sprechen werde. Organisator Klaus Keppler mahnte
zu Beginn an, dass die Kundgebung in geordneten Bahnen verlaufen solle und man Störern oder stark alkoholisierten Teilnehmern einen Platzverweis aussprechen werde.
Teil des Konzepts der Kundgebung war es, nicht nur Bauern, sondern auch Menschen aus der bürgerlichen Mitte zu Wort kommen zu lassen, wie die Organisatoren betonen. Die erste Rednerin war Nicole Schleich. Sie ist dreifache Mutter und hat „nichts mit der Landwirtschaft zu tun“, wie sie selbst sagte. Sie mache sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder, da die Politik gerade auf allen Ebenen versage.
Nächster Redner war Harald Knoll, selbstständiger Steuerberater. Er sagte, dass man als Selbstständiger – was auch Landwirte zweifelsfrei seien – von der Regierung Steine in den Weg gelegt bekomme. Ihn störe vor allem die überbordende Bürokratie und eine falsche Verteilung von Steuergeldern. Knolls Rede wurde durch die Ankunft von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir übertönt. Unter Polizeigeleit stieg der Minister aus einem Regierungsfahrzeug und wurde mit kräftigen Buh-Rufen und Pfiffen begrüßt. Bevor er ans Mikrofon treten konnte, mahnte Organisator Keppler noch einmal an, die Rede nicht zu stören.
Cem Özdemir begann seine Ansprache mit einem Dankeschön für die Einladung. „Schwätza muss man mit de Leut“, sagte der Minister und fügte an, dass er einige der Sprüche auf den Transparenten
der Bauern so unterschreiben könne. Er verstehe den Unmut der Landwirte. Die Organisatoren hatten Fragen an ihn vorbereitet, auf die er antwortete. Es ging unter anderem um die Flächenstilllegung, die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU und die Tierwohlabgabe. Özdemir wies mehrmals darauf hin, nicht innerhalb von zwei Jahren die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte wettmachen zu können. Auch betonte er, selbst nicht fehlerfrei und für Vorschläge offen zu sein; er kritisierte aber sogleich die „demokratische Opposition“, die aus seiner Sicht nicht an Lösungen, sondern Parteipolitik interessiert sei.
Es habe die Organisatoren sehr gefreut, dass der Minister trotz der Szenen an der Stadthalle noch gekommen sei. Eigentlich war auch geplant, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf der Kundgebung spricht – der sagte seinen Besuch aber ab. „Das war ein feiner Zug von Cem Özdemir – auch, dass das Gespräch mit dem Bauernverband noch stattgefunden hat“, schilderte Henle. Etwas enttäuscht sei er gewesen, dass beim Treffen zwischen Bundeslandwirtschaftsminister und Bauernverband im Landratsamt, anders als in Vorgesprächen thematisiert, von den Demo-Organisatoren niemand eingeladen worden sei. „Wichtig ist aber, dass das Gespräch stattgefunden hat. Uns brennt die Hütte wegen der geplanten Flächenstilllegung“, sagte Henle. Der Minister habe versprochen, bis Ende Februar Antworten zu liefern.
Bei der Demonstration auf dem Gigelberg wurde die Stimmung kurzzeitig hitzig, als der Bundeslandwirtschaftsminister auf verbale Konfrontation mit einem Zwischenrufer ging. Der Störer fragte, wieso Özdemir vermeintlich nicht auf den Bauerndemos vertreten gewesen sei, was den Minister sichtlich verärgerte. „Wenn Sie mal die Zeitung lesen würden anstatt immer nur Russia Today, würden Sie wissen, dass ich auf den Demos war.“Özdemir werde, sagte er, von Brüssel oder dem Bundesrat bei manchen Themen wie der Flächenstilllegung gebremst. Zum Abschluss seiner Rede sagte der Bundeslandwirtschaftsminister noch, dass man gern gegen ihn protestieren solle, gleichermaßen aber auch diejenigen in die Pf licht nehmen müsse, die wichtige Vorhaben blockieren. Er wolle an seinen Taten gemessen werden.
Nach Özdemirs Abreise folgten weitere Redebeiträge. Ein Fleischer sagte, die Regierung solle endlich auf hören, sich nur zu streiten. Olaf Scholz warf er Duckmäusertum vor und forderte, dass er den Streitereien innerhalb der Ampel ein Ende setzen solle. In vielen Redebeiträgen wurden auch tagespolitische Themen wie die Energiekrise, das Bürgergeld oder die Flüchtlingspolitik kritisiert. Außerdem störten sich die Demo-Teilnehmer an Vorwürfen, die Bauernproteste seien rechtsradikal unterwandert. Einer der Redner – ein Mitorganisator – sagte: „Wenn alles nach links rutscht, ist die politische Mitte halt plötzlich rechts.“
Danach verkündete Keppler das Ende der Kundgebung. Auf den Hinweis, dass der Politische Aschermittwoch in der Stadthalle abgesagt worden sei, folgte großer Jubel von den Teilnehmenden.
Die Kundgebung lief friedlich ab und es wurden keine Platzverweise ausgesprochen. Keppler sagte nach Ende der Veranstaltung, dass Polizei, Ordnungsamt und Bürgermeister den friedlichen Ablauf der Kundgebung gelobt hätten. Henle ergänzte, dass man sich in vorbereitenden Gesprächen mit Polizei und Ordnungsamt abgestimmt habe. Eine Hoffnung der Ordnungskräfte habe darauf gelegen, die bereits seit Wochen angekündigten Proteste durch die Kungebung zu entschärfen. Dass es zu Aktionen der Bauern vor der Stadthalle kam, sei bei all dem Frust in der Branche zu erwarten gewesen. Allerdings bedauere er, dass es zu gewalttätigen Ausschreitung kam und der Politische Aschermittwoch letztendlich abgesagt werden musste. Er wolle keine Schuldzuweisungen machen, schließlich könne noch niemand sagen, welche Gruppierungen die Stimmung angeheizt hätten. „Ich bin gut vernetzt, aber konnte da niemand erkennen“, sagte Henle. Die Eskalation kritisiert er deutlich: „Das hat nur negative Schlagzeilen gebracht.“
Ihre eigene Veranstaltung bezeichnet der Landwirt dagegen als Erfolg. „Die Veranstaltung lief geregelt ab, das Publikum hat gut mitgemacht, und das Feedback zu den Reden war gut“, sagte Henle. Trotz dessen, dass viele Traktoren es nicht bis an den Gigelberg geschafft hätten, habe die Teilnehmerzahl alle Erwartungen übertroffen. „Wir haben nach all den Mahnfeuern und Sternfahrten mit nicht so vielen gerechnet.“