Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Und dann kommt der Ruhestand
Viele Menschen fallen mit Renteneintritt in ein Loch – Seminar bei Göppingen will helfen
(dpa) - Fast zwei Jahrzehnte hat Claudia Becker zuletzt in einer Verwaltung gearbeitet. „Dann kam der Ruhestand“, sagt die 64jährige Sozialpädagogin. Die ersten Wochen waren entspannt, Becker hatte endlich Zeit für Familie, Freunde und Hobbys, aber ihr fehlte Struktur. Damit ist sie nicht allein. Manche Menschen stürzt der Ruhestand nach jahrzehntelanger Arbeit sogar in eine Art Loch. Ein Projekt im Kreis Göppingen will das ändern und bietet Seminare für Ruheständler an. In Süßen startet am Montag die dritte Auf lage des sozusagen betreuten Rentnerwerdens.
Die 64 Jahre alte Becker fiel mit ihrem Ruhestand zwar nicht in ein Loch, wie sie sagt. Sie hatte sich vorbereitet und bewusst für eine vorzeitige Rente entschieden. Aber: „Ich habe nach Engagementmöglichkeiten gesucht“, erzählt sie. Deshalb besuchte sie das dreitägige Seminar „Ruhestand, und nun?“.
Dahinter stehen die Evangelische und Katholische Erwachsenenbildung der Kirchenbezirke Göppingen und Geislingen und das Landratsamt Göppingen. „Ich bin viel mehr als mein Beruf“, sei der Gedanke dahinter, erklärt Andrea Allmendinger von der Evangelischen Erwachsenenbildung. Es gehe darum, Ressourcen nicht verkommen zu lassen und etwas Sinnstiftendes zu tun. Das sei auch gut für die Gesundheit. Die Veranstalter dachten demnach vor allem an die zahlreichen Babyboomer, die in Rente gehen. „Keine Generation in diesem Alter war fitter als die jetzige“, sagt Allmendinger.
An zwei Abenden des Seminars blickt Coachin Beate Lambart mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zurück auf deren bisheriges Leben, erworbene Fähigkeiten, Verpflichtungen und Wünsche. Der dritte Abend ist eine Art
Ehrenamtsmesse, bei der verschiedene Organisationen im Kreis vorstellen, wie man sich ehrenamtlich bei ihnen einbringen kann. „Die Leute sollen sich fragen: Was habe ich bisher gemacht? Was war mir bisher wichtig? Und was wünsche ich mir für die Zukunft?“, sagt Lambart. Sie arbeite mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vor allem die eigenen Wünsche heraus.
Eckart Hammer, Vorsitzender des Landesseniorenrats und ehemaliger Professor für Soziale Gerontologie und Sozialmanagement an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg, bewertet den Eintritt in den Ruhestand als eine Zäsur, vor allem für Männer. Von einem Tag auf den anderen stehe man mit leeren Händen da. „Status, Anerkennung und Lebenssinn fallen plötzlich weg“, sagt er. Frauen haben laut Hammer mehr Brüche in ihrer Biografie, durch Kinder auch oft schon einen Ausstieg aus dem Arbeitsleben
erlebt. Für Männer sei die Rente häufig der erste große Einschnitt, meint Hammer.
Zwar seien die ersten Wochen, wie auch Becker schildert, zunächst befreiend. Aber es folge die Ernüchterung. Man habe zunächst Zeit für eine große Reise, den Garten auf Vordermann zu bringen und den Keller aufzuräumen. „Wenn das erledigt ist, kommt die Krise.“Die Krise sei aber nicht unüberwindbar. Kursangebote wie das in Süßen können dabei helfen.
Hammer befürwortet Bildungsangebote, die auf die Zeit im Ruhestand vorbereiten. Es gebe genug für die Nachfrage, aber mehr Menschen sollten die Angebote nutzen. „Gerade Männer wissen oft nicht, wie erfüllend es sein kann, für Menschen da zu sein“, sagt Hammer. Manchmal müsse man sie an diesen Gedanken heranführen. Hammer ist überzeugt: Ruhestand braucht Vorbereitung.