Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Augen auf beim Tinder-Date

Millionär Christian in „Good Boy“scheint ein toller Fang zu sein – mal abgesehen von seinem ungewöhnli­chen Mitbewohne­r

- Von Stefan Rother

Beim Dating muss man sich auf unliebsame Überraschu­ngen gefasst machen: Aus dem charmanten Onlinekont­akt kann im realen Leben schnell eine Enttäuschu­ng mit seltsamen Vorlieben werden. Das hält die Studentin Sigrid (Katrine Lovise Øpstad Fredriksen) aber nicht davon ab, sich umgehend mit Christian (Gard Løkke) zu treffen, nachdem der ihr auf Tinder ein „Super-Like“gegeben hat. Tatsächlic­h scheint ihr dann aber ein Traumprinz gegenüberz­usitzen: attraktiv, elegant gekleidet, angenehm schüchtern. Und dass er ein Millionene­rbe ist, weiß Sigrid zu dem Zeitpunkt noch gar nicht.

Selbst kommt sie aus einfachere­n Verhältnis­sen, die Eltern haben sich getrennt und sie studiert Psychologi­e, aber nur für ein Jahr, weil ihre Noten nicht gut genug waren. Nebenbei arbeitet sie als Kassiereri­n, zum Date erscheint sie in Sportklamo­tten und das mit reichlich Verspätung – das sei bei ihr immer so, verkündet sie dem kontrollie­rt wirkenden Christian. Trotz der Unterschie­de funkt es zwischen den beiden und Sigrid kommt mit ihm in das noble Haus, das er von seinen verstorben­en Eltern geerbt hat. Die beiden verbringen die Nacht zusammen und Sigrid hofft, dass sie den Hund, den Christian beiläufig als Mitbewohne­r erwähnt hat, auch bald kennenlern­en wird.

Das tut sie auch am nächsten Morgen – und verlässt darauf fast fluchtarti­g das Anwesen. Denn sie muss erfahren, was der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt bereits weiß: Kein knuffiger kleiner Köter kriecht da ins Schlafzimm­er, sondern ein erwachsene­r Mann namens Frank (Nicolai NarKomödie vesen Lied). Der trägt fast durchgehen­d ein Hundekostü­m und verhält sich auch seiner Rolle entspreche­nd.

Zurück in ihrer Studenten-WG erzählt Sigrid Mitbewohne­rin Aurora (Amalie Willoch Njaastad) von der gelinde gesagt ungewöhnli­chen Dating-Erfahrung. Die ist zunächst auch etwas verstört – dann aber hochbegeis­tert, als sie Christian als Sohn eines bekannten norwegisch­en Millionärs identifizi­ert, was Sigrid gar nicht klar war. Nun wird die Situation noch einmal neu bewertet: Kann man bei einer solchen Partie nicht vielleicht doch gewisse Eigenheite­n in Kauf nehmen? Im Internet macht man sich kundig, dass menschlich­es Hundespiel­en als „Pupplay“ein gar nicht mal so seltener Fetisch sei, bei dem Dominanz eine Rolle spiele. Als Christian beim Versöhnung­sdate dann noch erzählt, dass er keinerlei sexuelle Beziehung zu Frank habe, sondern der vielmehr ein Jugendfreu­nd sei und sich nach schweren Zeiten zu der Rolle entschiede­n habe, überwiegt bei Sigrid schon wieder die Aussicht auf ein komfortabl­es und spannendes Leben. Und so erklärt sie sich sogar bereit, mit Hund und Herrchen ein Wochenende in einem abgelegene­n Ferienhaus zu verbringen …

Manchmal reicht eine ungewöhnli­che Grundprämi­sse aus, um Interesse an einem Film zu wecken. Bei „Good Boy“ist dies definitiv der Fall. Das liegt auch daran, dass zumindest im ersten Drittel vollkommen offen ist, in welche Richtung sich der Film entwickeln wird. Denkbar wäre etwa eine romantisch-tragische

über ungewöhnli­che Beziehungs­formen gewesen – wie „Lars und die Frauen“, in der Hauptdarst­eller Ryan Gosling mit einer Gummipuppe zusammenle­bt.

Doch der Umstand, dass der Film schon auf Horrorfilm­festivals lief, deutet an, dass sich das Geschehen in eine andere Richtung entwickelt. Blut fließt hier allerdings keines, dennoch richtet sich der Film in erster Linie an Freunde ungewöhnli­cherer Kinoerlebn­isse. Auf ein verstörend­es Ende sollte man sich dabei auf alle Fälle gefasst machen, wobei dieses das vorherige Geschehen nochmals in einem anderen Licht erscheinen lässt – etwa die naivplanlo­se Art von Sigrid, die von dem „Wie angle ich mir einen Millionär“-Szenario sichtlich angetan ist.

Hinter „Good Boy“steht ein junges Team – nicht nur die überschaub­are Darsteller­riege, sondern auch Regisseur und Drehbuchau­tor Viljar Bøe ist Mitte 20. Dennoch konnte er bereits mit mysteriöse­n Filmen wie „Til Freddy“erste Aufmerksam­keit erregen. Sein neuestes Werk ist erkennbar mit kleinem Budget gedreht worden, kann aber überzeugen­de Darsteller vorweisen. Die Handlung ist mit 76 Minuten Spieldauer klar auf den Punkt gebracht, auch wenn nicht alle Entscheidu­ngen der Figuren nachvollzi­ehbar sind. Von dem Norweger wird man auf alle Fälle noch weiter hören – und sei es, weil seine Filmidee ein Hollywood-Remake bekommt, dann vielleicht ja mit ganz anderem Verlauf.

Good Boy, Regie: Viljar Bøe ,Norwegen 2022, 76 Minuten. Besetzung: Gard Løkke, Katrine Lovise Øpstad Fredriksen.

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FOTO: BLUE FINCH FILMS RELEASING Über Tinder lernt Sigrid (Katrine Lovise Øpstad Fredriksen, li.) den attraktive­n, zurückhalt­enden Christian (Gard Løkke) kennen und es funkt sofort.

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