Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Augen auf beim Tinder-Date
Millionär Christian in „Good Boy“scheint ein toller Fang zu sein – mal abgesehen von seinem ungewöhnlichen Mitbewohner
Beim Dating muss man sich auf unliebsame Überraschungen gefasst machen: Aus dem charmanten Onlinekontakt kann im realen Leben schnell eine Enttäuschung mit seltsamen Vorlieben werden. Das hält die Studentin Sigrid (Katrine Lovise Øpstad Fredriksen) aber nicht davon ab, sich umgehend mit Christian (Gard Løkke) zu treffen, nachdem der ihr auf Tinder ein „Super-Like“gegeben hat. Tatsächlich scheint ihr dann aber ein Traumprinz gegenüberzusitzen: attraktiv, elegant gekleidet, angenehm schüchtern. Und dass er ein Millionenerbe ist, weiß Sigrid zu dem Zeitpunkt noch gar nicht.
Selbst kommt sie aus einfacheren Verhältnissen, die Eltern haben sich getrennt und sie studiert Psychologie, aber nur für ein Jahr, weil ihre Noten nicht gut genug waren. Nebenbei arbeitet sie als Kassiererin, zum Date erscheint sie in Sportklamotten und das mit reichlich Verspätung – das sei bei ihr immer so, verkündet sie dem kontrolliert wirkenden Christian. Trotz der Unterschiede funkt es zwischen den beiden und Sigrid kommt mit ihm in das noble Haus, das er von seinen verstorbenen Eltern geerbt hat. Die beiden verbringen die Nacht zusammen und Sigrid hofft, dass sie den Hund, den Christian beiläufig als Mitbewohner erwähnt hat, auch bald kennenlernen wird.
Das tut sie auch am nächsten Morgen – und verlässt darauf fast fluchtartig das Anwesen. Denn sie muss erfahren, was der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt bereits weiß: Kein knuffiger kleiner Köter kriecht da ins Schlafzimmer, sondern ein erwachsener Mann namens Frank (Nicolai NarKomödie vesen Lied). Der trägt fast durchgehend ein Hundekostüm und verhält sich auch seiner Rolle entsprechend.
Zurück in ihrer Studenten-WG erzählt Sigrid Mitbewohnerin Aurora (Amalie Willoch Njaastad) von der gelinde gesagt ungewöhnlichen Dating-Erfahrung. Die ist zunächst auch etwas verstört – dann aber hochbegeistert, als sie Christian als Sohn eines bekannten norwegischen Millionärs identifiziert, was Sigrid gar nicht klar war. Nun wird die Situation noch einmal neu bewertet: Kann man bei einer solchen Partie nicht vielleicht doch gewisse Eigenheiten in Kauf nehmen? Im Internet macht man sich kundig, dass menschliches Hundespielen als „Pupplay“ein gar nicht mal so seltener Fetisch sei, bei dem Dominanz eine Rolle spiele. Als Christian beim Versöhnungsdate dann noch erzählt, dass er keinerlei sexuelle Beziehung zu Frank habe, sondern der vielmehr ein Jugendfreund sei und sich nach schweren Zeiten zu der Rolle entschieden habe, überwiegt bei Sigrid schon wieder die Aussicht auf ein komfortables und spannendes Leben. Und so erklärt sie sich sogar bereit, mit Hund und Herrchen ein Wochenende in einem abgelegenen Ferienhaus zu verbringen …
Manchmal reicht eine ungewöhnliche Grundprämisse aus, um Interesse an einem Film zu wecken. Bei „Good Boy“ist dies definitiv der Fall. Das liegt auch daran, dass zumindest im ersten Drittel vollkommen offen ist, in welche Richtung sich der Film entwickeln wird. Denkbar wäre etwa eine romantisch-tragische
über ungewöhnliche Beziehungsformen gewesen – wie „Lars und die Frauen“, in der Hauptdarsteller Ryan Gosling mit einer Gummipuppe zusammenlebt.
Doch der Umstand, dass der Film schon auf Horrorfilmfestivals lief, deutet an, dass sich das Geschehen in eine andere Richtung entwickelt. Blut fließt hier allerdings keines, dennoch richtet sich der Film in erster Linie an Freunde ungewöhnlicherer Kinoerlebnisse. Auf ein verstörendes Ende sollte man sich dabei auf alle Fälle gefasst machen, wobei dieses das vorherige Geschehen nochmals in einem anderen Licht erscheinen lässt – etwa die naivplanlose Art von Sigrid, die von dem „Wie angle ich mir einen Millionär“-Szenario sichtlich angetan ist.
Hinter „Good Boy“steht ein junges Team – nicht nur die überschaubare Darstellerriege, sondern auch Regisseur und Drehbuchautor Viljar Bøe ist Mitte 20. Dennoch konnte er bereits mit mysteriösen Filmen wie „Til Freddy“erste Aufmerksamkeit erregen. Sein neuestes Werk ist erkennbar mit kleinem Budget gedreht worden, kann aber überzeugende Darsteller vorweisen. Die Handlung ist mit 76 Minuten Spieldauer klar auf den Punkt gebracht, auch wenn nicht alle Entscheidungen der Figuren nachvollziehbar sind. Von dem Norweger wird man auf alle Fälle noch weiter hören – und sei es, weil seine Filmidee ein Hollywood-Remake bekommt, dann vielleicht ja mit ganz anderem Verlauf.
Good Boy, Regie: Viljar Bøe ,Norwegen 2022, 76 Minuten. Besetzung: Gard Løkke, Katrine Lovise Øpstad Fredriksen.