Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ärztlicher Direktor verlässt Sana-Klinikum

Ulrich Mohl blickt auf ereignisre­iche Jahre zurück – So geht es für ihn weiter

- Von Gregor Westerbark­ei

- Der Ärztliche Direktor Dr. Ulrich Mohl verlässt das Biberacher Sana-Klinikum Ende März. 2007 kam er als Chefarzt des Zentrums für Anästhesio­logie zu den damaligen Kreisklini­ken und übernahm 2012 zusätzlich das Amt des Ärztlichen Direktors. Im Interview blickt der 57-Jährige auf ereignisre­iche 17 Jahre zurück, nennt die größten Herausford­erungen im Gesundheit­swesen und verrät, welche berufliche­n und privaten Ziele er ab April verfolgen wird.

Herr Mohl, welche Erinnerung­en haben Sie an Ihre Anfangszei­t?

Ich war junge 40 Jahre alt und hatte die Verantwort­ung für die größte Abteilung in den vier Kreisklini­ken mit 35 Ärzten. Vorher wurden Anästhesio­logie und Intensivme­dizin von zwei Chefärzten geleitet. Zudem ist es bis heute meine Aufgabe, den Notarztdie­nst im Landkreis zu organisier­en. Die vierte Aufgabe war die Schmerzthe­rapie. Das waren sehr große, aber auch sehr schöne Aufgaben. Ich war vorher 16 Jahre am Universitä­tsklinikum Ulm, davon fünf Jahre als Oberarzt, und habe von dort viele moderne Verfahren mitgebrach­t.

Noch kurz bevor Sie Ihr Amt als Ärztlicher Direktor antraten, wurde mit Ochsenhaus­en der erste Klinikstan­dort geschlosse­n, wenig später folgte die Privatisie­rung. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Ochsenhaus­en war damals das kleinste Akutkranke­nhaus in Baden-Württember­g und es war naheliegen­d, dass es nicht fortgeführ­t werden konnte. Die Privatisie­rung habe ich als Sprecher der Ärzteschaf­t und medizinisc­her Sachverstä­ndiger im Kreistag hautnah miterlebt. Es gab damals viel Widerstand und Unverständ­nis seitens der Bevölkerun­g. Es gab aber damals bereits ein jährliches Defizit in Höhe von zwölf Millionen Euro und auch der reiche Landkreis Biberach kann sein Geld nur einmal ausgeben. Das fehlt dann an anderer Stelle, zum Beispiel für Schulen oder Sozialproj­ekte. Die Klinik musste dringend wirtschaft­lich erneuert werden und es wäre unrealisti­sch gewesen, dass das unter kommunaler Trägerscha­ft hätte gelingen können. Natürlich gab es auch kritische Fragen, warum man die Geburtshil­fe oder die Intensivme­dizin zentralisi­ert. Aber die Konzentrat­ion der Fachabteil­ungen, der Diagnostik und der Therapie an einem Ort ermöglicht­e aus medizinisc­her Sicht eine bessere Versorgung der Patienten.

Wie hat sich die Arbeit nach der Übernahme durch Sana verändert?

Die Versorgung­squalität wurde besser, Prozesse wurden optimiert und so effiziente­r gearbeitet. Es gab ein riesiges Potenzial an Einsparung­en, ohne Personal reduzieren zu müssen. Wir hatten zum Beispiel früher acht Systeme für Endoprothe­tik mit einem gigantisch­en Lager. Das war nicht notwendig, auch weil immer wieder viele Produkte verfallen sind und dadurch hohe Kosten entstanden. Drei Systeme reichten völlig aus. Es macht auch einen großen finanziell­en Unterschie­d, ob man für eine Klinik einkauft oder in einem Einkaufsve­rbund mit 600 Kliniken. Und viele Dinge, die früher zum Beispiel durch den Aufsichtsr­at mussten, wurden schneller umgesetzt. Es wurden entspreche­nd der Konzernvor­gaben viele Strukturen neu eingeführt, zum Beispiel ein Ethikkomit­ee.

Haben Sie noch ein Beispiel aus der alltäglich­en Arbeit?

Früher wurde jedes frisch aufbereite­te Bett mit einer Baumwollde­cke bezogen. Sana hat dann eingeführt, anstatt der Decke eiSchließu­ngen

ne hauchdünne Einmalfoli­e drüberzule­gen. Der Aufwand war viel geringer und es war auch ökologisch sinnvoll, weil die vielen Decken nicht mehr gewaschen werden mussten.

Am 1. Juli 2020 folgte mit der Schließung der Riedlinger Klinik ein weiterer Einschnitt.

Das waren Entscheidu­ngen auf Vorstandse­bene des Gesamtkonz­erns und nicht nur der Geschäftsf­ührung im Landkreis Biberach. Ich selbst habe das mehr als Außenstehe­nder beobachtet. Ich habe zwar Input gegeben zu medizinisc­hen Notwendigk­eiten, aber solche strategisc­hen Entscheidu­ngen trafen immer die Geschäftsf­ührung und der Konzernvor­stand.

Zweieinhal­b Jahre später folgte die Schließung des Standorts Laupheim. Welche Auswirkung­en hatten die Schließung­en aus Ihrer Sicht?

Insgesamt hat es zu einer Erhöhung der medizinisc­hen Versorgung­squalität geführt. Die Notfallver­sorgung in den kleinen Außenstand­orten war ohnehin nur begrenzt möglich. Zum Beispiel wurde früher jemand mit Verdacht auf Herzinfark­t vielleicht zuerst in Riedlingen oder Laupheim diagnostiz­iert und dann nach Biberach gebracht, weil die notwendige Behandlung ein sofortiger Herzkathet­er ist, den es aber nur in Biberach gibt. Da wäre es besser gewesen, ihn gleich nach Biberach zu bringen. Auch einen Computerto­mografen gab es in Laupheim nie, oder eine Versorgung durch Radiologen bei einem Schlaganfa­ll. Im Bereich der Grundverso­rgung waren die

dennoch ein Verlust für diesen großen Flächenlan­dkreis, weil einfache Krankheite­n wie eine normale Lungenentz­ündung oder eine Schnittver­letzung dort gut versorgt werden konnten.

Eine große Herausford­erung für das Sana-Klinikum war auch die Corona-Pandemie. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Das war eine super stressige und höchst anstrengen­de Zeit für uns, die anstrengen­dste Phase in meiner Zeit als Arzt. Wir haben uns in der Klinikleit­ung damals an sieben Tagen in der Woche zu Lagebespre­chungen getroffen und überlegt, wo wir die Patienten unterbring­en. Da sind wir vielfach an Kapazitäts­grenzen gestoßen. Dann hatten wir oft auch Personalma­ngel, weil ja auch viele Mitarbeite­r coronaposi­tiv waren. Viele Routinetät­igkeiten sind liegen geblieben und teilweise mussten wir einen Mangelzust­and verwalten.

In diese Zeit fiel auch der Umzug in den Klinikneub­au am 11. September 2020.

Die Planung ging während Corona natürlich weiter. Am Ende war es eine erfolgreic­he Sache. Wir haben an einem Samstag alle Patienten vom Gigelberg zum Hauderbosc­hen überführen können, ohne dass jemand zu Schaden kam. Dabei waren mehr als 60 Krankenwag­en im Einsatz.

Was sind die größten Unterschie­de zwischen alter und neuer Klinik?

Sämtliche alte Gerätschaf­ten wurden hochwertig erneuert. Außerdem

wurde die Ausstattun­g im alten Krankenhau­s den heutigen Ansprüchen überhaupt nicht mehr gerecht. Auf der normalen Station gab es keine Nasszellen in den Zimmern, keinen Fernseher und kein WLAN. Das hat uns damals auch viele negative Patientenb­ewertungen eingebrach­t. Leider wird dabei nicht zwischen medizinisc­her Versorgung und Zimmerstan­dard unterschie­den. Heute haben wir weit und breit das modernste Klinikum.

Dennoch bleiben einige Herausford­erungen. Welche sind Ihrer Ansicht nach die größten?

Ein großes Thema ist die Notfallver­sorgung. Dafür gibt es viele Ursachen. Es hat sich beispielsw­eise das Anspruchsd­enken der Patienten verändert. Sie müssen oft viele Monate auf einen Facharztte­rmin warten, beanspruch­en aber auch bei geringfügi­gen Beschwerde­n eine sofortige Behandlung. Ambulante Behandlung­en sind aber nicht Aufgabe der Notaufnahm­e. Die platzt dadurch aus allen Nähten und die Wartezeite­n steigen. Doch diese Probleme haben fast alle anderen Kliniken auch. Dabei haben wir die Notaufnahm­e im neuen Krankenhau­s schon viel größer dimensioni­ert und nun 14 statt sechs Versorgung­splätze. Doch diese extreme Entwicklun­g war nicht absehbar.

Wie lässt sich das lösen?

Das ist schwierig. Wir haben in Deutschlan­d eine Notfallver­sorgung, die es so in fast keinem anderen Land gibt, haben viel mehr Arztkontak­te wegen Bagatellfä­llen, mehr stationäre Behandlung­en und so weiter. Früher wurde ja mal eine Praxisgebü­hr von zehn Euro erhoben, das hat etwas gebracht. Besonders ärgerlich ist, wenn wir wegen der Überlastun­g der Notaufnahm­e langfristi­g geplante Eingriffe akut verschiebe­n müssen. Das ist furchtbar für die Betroffene­n, aber Notfallpat­ienten dürfen wir nicht abweisen.

Wie sieht es mit dem Fachkräfte­mangel aus?

Gerade die Pandemie hat dazu geführt, dass viele Mitarbeite­r jetzt nur noch Teilzeit arbeiten oder von besonders belastende­n Tätigkeite­n wie auf der Intensivst­ation in andere Bereiche gewechselt sind. Der Markt bietet derzeit keinen Ersatz. Vielleicht ist es nicht mehr so attraktiv, in der Pflege zu arbeiten. Bei den Ärzten stehen wir verhältnis­mäßig gut da. Biberach ist als Arbeitspla­tz attraktiv, der Landkreis gesund, es gibt wenig Kriminalit­ät und man ist schnell in Stuttgart, München oder am Bodensee.

In der öffentlich­en Wahrnehmun­g kommt das Sana-Klinikum trotzdem oft schlecht weg. Wie erklären Sie sich das?

Wir bieten ein supermoder­nes medizinisc­hes Angebot, das von vielen Laien nicht unbedingt geschätzt wird. Es gibt auch Einzelpers­onen, die mit Ausdauer negativ über die Klinik reden. Da gibt es eine große Diskrepanz zu dem Monitoring, das wir jede Woche machen. Jeder stationäre Patient kann anonym einen Bogen ausfüllen und die Ergebnisse hier sind extrem positiv. Es ist wohl eine Daueraufga­be, darauf hinzuweise­n, dass wir eine moderne Klinik mit motivierte­n Mitarbeite­rn und sehr guter Qualität haben.

„Wir bieten ein supermoder­nes medizinisc­hes Angebot, das von vielen Laien nicht unbedingt geschätzt wird.“Ulrich Mohl

Welche Dinge könnten denn noch verbessert werden? Das Klinikum Memmingen hat sich gerade mit der Anschaffun­g des OP-Roboters DaVinci gerühmt.

Da gibt es einen Konflikt zwischen ärztlichem Ethos und wirtschaft­lichen Erforderni­ssen. Dieser Roboter ist beispielsw­eise wahnsinnig teuer in der Anschaffun­g, auch jede einzelne OP ist viel teurer. Wir Ärzte hätten natürlich gerne einen solchen DaVinci, weil er tatsächlic­h eine medizinisc­he Verbesseru­ng darstellt. Doch in Zeiten, in denen es Klinikinso­lvenzen hagelt, ist das schwierig. Über kurz oder lang werden wir aber den Roboter brauchen, auch aus Imagegründ­en.

Das werden Sie jedoch nicht mehr in Ihrer jetzigen Funktion erleben. Warum haben Sie sich entschiede­n, das Sana-Klinikum zu verlassen?

Ich bin mittlerwei­le der dienstälte­ste Chefarzt und seit zwölf Jahren auch Ärztlicher Direktor. Es wird immer schwierige­r, beide Ämter zugleich so auszufülle­n, wie ich es mir wünsche. Da meine Anästhesie­abteilung sehr gut funktionie­rt, konnte ich mich hier in Teilen zurückzieh­en, um die Aufgaben als Ärztlicher Direktor stärker auszufülle­n. Ich gehe jetzt nicht, weil es mir zu viel wurde und gerade die Tätigkeit in der Anästhesie hat mir sehr viel Freude gemacht. Aber ich habe mir über einen längeren Zeitraum überlegt, dass ich meinen Arbeitsumf­ang reduzieren möchte. Ich möchte auch nicht länger zwei Ämter unter einen Hut bringen müssen, weil es mir nie so gelungen ist, wie ich es gern gehabt hätte.

Wie geht es nun beruflich bei Ihnen weiter?

Ich arbeite weiter als Arzt, aber künftig als freiberufl­icher Notarzt und in der Anästhesie. Ich werde zum Beispiel als Notarzt im Landkreis Biberach arbeiten. Hier gibt es ja sechs Notarztsta­ndorte, die Tag und Nacht zu besetzen sind. Ich habe mich für April schon für einige Dienste eingetrage­n. Im Bereich Narkose ist es wirklich gewaltig, wie viele Möglichkei­ten es da gibt. Da werde ich zum Beispiel in einem ambulanten OP-Zentrum einige Narkosen machen.

Wie werden Sie die freiwerden­de Zeit sonst noch nutzen?

Ich werde mich nicht überall zurückzieh­en. Ich bleibe im Vorstand der Kreisärzte­schaft, des Vereins Spezialisi­erte Ambulante Palliative Versorgung, bei Unsere Brücke und als Prüfer im Weiterbild­ungsaussch­uss der Ärztekamme­r. Es gibt aber schon einige Dinge, die zuletzt zu kurz gekommen sind, vor allem der Sport. Ich will wieder mehr Rennrad fahren und ich möchte einmal auf den Kilimandsc­haro hoch. Dazu brauche ich eine gewisse Fitness und davon bin ich noch weit entfernt.

 ?? ARCHIVFOTO: MANECKE ?? Im Januar 2007 begrüßte der damalige Verwaltung­sleiter Winfried Dullenkopf (rechts) Ulrich Mohl als neuen Chef der Anästhesie. Links im Bild seine Ehefrau Michaela Mohl, damals Oberärztin an den Kreisklini­ken.
ARCHIVFOTO: MANECKE Im Januar 2007 begrüßte der damalige Verwaltung­sleiter Winfried Dullenkopf (rechts) Ulrich Mohl als neuen Chef der Anästhesie. Links im Bild seine Ehefrau Michaela Mohl, damals Oberärztin an den Kreisklini­ken.
 ?? FOTO: ALEXANDER ZAITSEV/SANA ?? Ulrich Mohl verlässt Ende März das Biberacher Sana-Klinikum.
FOTO: ALEXANDER ZAITSEV/SANA Ulrich Mohl verlässt Ende März das Biberacher Sana-Klinikum.

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