Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Ich glaube es immer noch nicht“

Eine Ukrainerin erzählt, wie es ihr knapp zwei Jahre nach der Ankunft in Laupheim geht

- Von Anna Berger

- Am heutigen Samstag jährt sich der Überfall Russlands auf die Ukraine zum zweiten Mal. Die 40-jährige Hanna ist mit ihren beiden Kindern kurz nach Kriegsbegi­nn nach Laupheim geflüchtet. Die „Schwäbisch­e Zeitung“hat mit der Ukrainerin darüber gesprochen, wie es ihr in Deutschlan­d geht, welche Nachrichte­n sie aus der Ukraine erhält und ob sie noch Hoffnungen auf ein Kriegsende hat.

210 Menschen mit ukrainisch­er Staatsbürg­erschaft leben derzeit nach Angaben der Stadtverwa­ltung in Laupheim, 178 davon sind nach Ausbruch des Krieges hergekomme­n. Hanna ist eine von ihnen. Als eine Rakete über das 14-stöckige Hochhaus rauschte, in dem sie mit ihrer Familie lebte, packte sie im März 2022 ihre Koffer. „Die Rakete war sehr groß“, sagt Hanna und streckt ihre Arme so weit es geht zu den Seiten aus.

Seit knapp zwei Jahren lebt die 40-Jährige nun mit ihren beiden Kindern Mariia und Michael in einer Wohnung im „Schweizerh­aus“auf dem Gelände des Schlossgut­s in Laupheim. Sie denkt häufig an ihre Heimat in der Ukraine. „Ich glaube es immer noch nicht. Ich glaube, es ist ein Traum“, sagt Hanna. Sie sitzt an einem kleinen Schreibtis­ch in ihrem Wohnzimmer und streichelt ihrer Katze Melissa über das graue Fell. Melissa sei nach der Flucht damals wochenlang traumatisi­ert gewesen und wie betrunken durch die Gegend gelaufen, erzählt Hanna. Mittlerwei­le gehe es ihr aber gut hier.

Auch Hanna fühlt sich wohl in Laupheim. Sie macht einen Online-Deutsch-Kurs auf B2-Niveau und arbeitet nebenher für ihre Vermieteri­n. Es ist ein gutes Leben, wie Hanna selber sagt. Und ihr ist klar, dass ihr altes Leben in der Ukraine nie wieder zurückkomm­en wird, selbst wenn der Krieg bald beendet sein sollte, was Hanna nicht glaubt.

Vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat Hanna mit ihrer Familie im Osten der Ukraine in der 30.000-Einwohner-Stadt Awdijiwka vor den Toren der Bergbausta­dt Donezk gelebt, mitten im industriel­len Zentrum des Kohlerevie­rs Donbass. Sie und ihr Mann hatten gute Jobs. „Ich habe Mathematik studiert und dann 18 Jahre lang als IT-Ingenieuri­n gearbeitet“, erzählt Hanna. Ihr Mann

sei in einer Kokerei beschäftig­t gewesen.

„Wir hatten ein gutes Leben“, sagt Hanna und beschreibt einen Alltag, der dem Leben vieler Menschen in Deutschlan­d auf fast schmerzlic­he Art und Weise gleicht: „Wir hatten eine eigene Wohnung, schöne Parks, eine neue Schule mit einem modernen Computerra­um, sind zum See baden gegangen und auf den Spielplatz. Wir hatten alles, was man braucht.“Hanna zeigt Fotos auf ihrem Handy: Kinder in Badehosen,

Kinder im Schnee, das Hochhaus, in dem sie eine Wohnung hatte, ihr Büro und ihren Mann bei der Arbeit in der Kokerei. Die Fotos sind bunt und voller Leben – ganz im Gegensatz zu den Fotos, die heute über Awdijiwka im Internet kursieren und die Hanna an diesem verregnete­n Februartag ebenfalls zeigt.

Awdijiwka ist eine Stadt in Schutt und Asche. Als „Geistersta­dt“wird sie auf einem Youtube-Video bezeichnet. Nur die weiße Kirche mit dem vergoldete­n Zwiebeltur­m wurde auf wundersame Weise von den Raketen verschont. Hanna klickt auf ein Foto von einem zerstörten Hochhaus. „Hier war unsere Wohnung“, sagt sie.

Awdijiwka, die Heimat von Hanna und ihrer Familie, gibt es nicht mehr. Verteidigt wurde die Stadt trotzdem bis zuletzt. Erst vor knapp einer Woche wurde sie von der russischen Armee eingenomme­n. „Unsere Soldaten stehen stark da“, sagt Hannas 15-jährige Tochter Mariia. Sie klingt stolz, als sie das sagt. Mariia sitzt hinter Hanna auf dem Sofa und übersetzt hin und wieder Wörter für ihre Mutter ins Deutsche.

„Unsere Stadt ertrinkt im Blut. Das ist nicht normal für mich“, sagt Hanna und schüttelt traurig den Kopf. Es werde zehn oder 20 Jahre dauern, um Awdijiwka wieder aufzubauen, ist die 40-Jährige

überzeugt. „Mein Sohn sagt: Mama, wir sind hier zu Hause“, sagt Hanna über den zwölfjähri­gen Jungen, der ab und zu den Kopf zur Türe reinsteckt. Mariia lächelt, als ihre Mutter das erzählt. Es ist ein trauriges Lächeln. Die bunten Fotos auf Hannas Handy scheinen auch sie nicht loszulasse­n.

Weil Hannas Mann einen systemrele­vanten Beruf ausübte, musste er nicht in den Krieg, konnte seine Familie aber zunächst nicht nach Deutschlan­d begleiten. Seit vergangene­m Sommer ist er nun in Laupheim und hat eine Arbeit als Hausmeiste­r gefunden. Auch ihre Mutter konnte Hanna herholen. „Ich habe viel Glück, dass meine Familie zusammen ist“, sagt die 40-Jährige. Und auch wenn sie sich noch scheut, den Begriff Heimat zu verwenden, wenn sie von Laupheim spricht, so fühlt sie sich doch wohl in der Stadt. Laupheim sei etwa so groß wie ihre Heimatstad­t und es sei alles ordentlich und sauber hier. Das ist Hanna wichtig. Noch wichtiger findet sie aber, dass ihre Kinder in Laupheim alles haben, was sie brauchen: „Sie können hier lernen, gehen zur Musikschul­e und machen Sport.“Außerdem hat Hanna Pläne für die Zukunft. Sie will noch besser Deutsch lernen und dann einen Job als IT-Ingenieuri­n finden.

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FOTO: ANNA BERGER Hanna (zweite von links) mit ihren Kindern Michael und Mariia, ihrer Katze Melissa und ihrer Cousine Alexandra, die derzeit zu Besuch in Laupheim ist.
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PRIVATFOTO Im zweiten Stock dieses Hauses hat Hanna noch vor zwei Jahren mit ihrer Familie gelebt.

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