Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Angst essen Seele auf
Die Einschätzung von Gefahren ist subjektiv. Darauf hat die Leiterin der Grundschule in Achstetten, Claudia Siegel, im Zusammenhang mit dem Bus-Streit richtigerweise hingewiesen. Nun könnte man dagegenhalten, dass es sehr wohl objektive Maßstäbe zur Einschätzung von Gefahrenstellen gibt. So sind sich etwa Landratsamt und Busunternehmen einig, dass die Bushaltestelle „Adler“in Stetten sicher ist. Sie betrachten das Thema sachlich und objektiv. Was Siegel mit ihrer Aussage meint, ist jedoch nicht der kühle Sachverstand, sondern das Gefühl. Als Mutter einer Fünfjährigen geht es auch mir so, dass ich kein stärkeres Gefühl kenne als den Beschützerinstinkt diesem kleinen Menschen gegenüber.
Und trotzdem finde ich, dass wir diesen Instinkt manchmal in den Griff bekommen müssen. Das ist zum einen wichtig für das Wohlergehen unserer Kinder. Eine Langzeit-Studie von Forscherinnen aus den USA und der Schweiz hat ergeben, dass eine überzogene Fürsorge die emotionale Entwicklung hemmt und im schlimmsten Fall verhaltensgestörte Kinder hervorbringt. Zu viel Fürsorge kann also schädlich sein. Nicht umsonst versteckt sich in diesem Begriff das Wort „Sorge“. Die besorgten Stetter Eltern würden also gut daran tun, etwas mehr Vertrauen
in ihre Kinder zu haben und so deren Selbstvertrauen implizit zu stärken, um nach der Sorge das Wort „trauen“in den Mittelpunkt zu rücken. Wie heißt es noch so passend in Rainer Werner Fassbinders vor genau 50 Jahren erschienenem Melodrama? „Angst essen Seele auf.“
Das bringt mich auch schon zum zweiten Argument: Wenn Angst und Sorge um uns selbst und unsere Kinder zur einzigen Maxime unseres Handelns werden und Empathie und Gerechtigkeit in den Hintergrund rücken, ist das schlecht für die Gemeinschaft. Das sieht man gut am Beispiel des Bus-Streits. Denn die Angst einiger Stetter Eltern wird hier nun dafür sorgen, dass es so manches Kind aus Bronnen und Oberholzheim gar nicht in den Bus schafft und nach Schulschluss an der Haltestelle in Achstetten stehen bleibt.
Als Außenstehende muss ich sagen, dass ich diesen Gedanken sehr viel beängstigender finde als einen schmalen Gehweg zum Zebrastreifen, über den ich mit meinem Kind sprechen und für den ich es sensibilisieren kann. Noch dazu will die Gemeinde die Stelle demnächst mit Eisenbügeln absichern. Spätestens dann müssten einige Eltern aus Stetten zur Besinnung kommen und ihre Kinder mit der Buslinie 212 fahren lassen – aus Fairness und im Sinne der Gemeinschaft.