Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Eine Stadt klagt an

Prozessbeg­inn fünf Jahre nach islamistis­chem Anschlag auf Straßburge­r Weihnachts­markt

- Von Michael Evers

(dpa) - Es ist eine bleibende Narbe, die der Terroransc­hlag während des Weihnachts­marktes 2018 in der Elsassmetr­opole Straßburg hinterlass­en hat. Mehr als fünf Jahre nach der Attacke mit fünf Toten und elf Verletzten hat am Donnerstag vor einem Schwurgeri­cht in Paris der Prozess gegen vier mutmaßlich­e Helfer des Täters begonnen. Die Männer sollen bei der Beschaffun­g von Waffen geholfen haben. Weit über die unmittelba­r betroffene­n Dutzenden von Nebenkläge­rn hinaus erhoffen viele sich von dem Prozess eine Bewältigun­g des Schreckens, der Straßburg lange über den Tatabend hinaus im Griff gehalten hat.

Bei einer erbarmungs­losen Menschenja­gd hatte der Islamist Chérif Chekatt (29) am Abend des 11. Dezember 2018 im vorweihnac­htlichen Trubel in Gassen und auf Plätzen Menschen mit einer Schusswaff­e und einem großen Messer attackiert. Während seines blutigen Streifzugs durch die Stadt, in deren Straßen sich zunehmend blanke Panik ausbreitet­e, versuchten mehrere Musiker, den Angreifer zu stoppen. Es kam zu einem Schusswech­sel mit den zum Schutz des Weihnachts­marktes eingesetzt­en Militärkrä­ften. Aber Chekatt gelang zunächst die Flucht mit einem Taxi. 49 Stunden lang fieberte Straßburg, ehe der Attentäter nach einer Großfahndu­ng im französisc­h-deutschen Grenzgebie­t bei einem Schusswech­sel mit Beamten im Straßburge­r Viertel Neudorf getötet wurde.

Die Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) reklamiert­e den Anschlag später für sich. Chekatt hatte dem IS in einem Video seine Treue geschworen. Die Aufnahme wurde auf einem USB-Stick in seiner Wohnung gefunden. Der junge Mann mit nordafrika­nischen Wurzeln war den Behörden als islamistis­cher Gefährder bekannt. Er wurde wegen etlicher Diebstähle in Frankreich, der Schweiz und in Deutschlan­d verurteilt, wo er in Konstanz und Freiburg in Haft saß. Dass ein solcher

Kleinkrimi­neller einen islamistis­chen Anschlag verübt, ist nicht außergewöh­nlich. Ähnlich war es auch bei Anis Amri, dem Attentäter vom Berliner Weihnachts­markt 2016.

Den Angeklagte­n, die ebenfalls einen kleinkrimi­nellen Hintergrun­d haben und allesamt Franzosen sind, drohen lange Haftstrafe­n. Hauptangek­lagter ist ein Freund des Täters, der diesem Waffen verkauft haben soll. Der 42-jährige Rapper aus Straßburg gibt an, den Täter für einen einfachen Kriminelle­n gehalten und von seinen Anschlagsp­länen nichts gewusst zu haben. Zum Prozessauf­takt war der kahlköpfig­e Mann in weißem Hemd der einzige Angeklagte, der in einem gesicherte­n Bereich hinter Panzerglas Platz nehmen musste.

Außerdem angeklagt sind zwei 37 und 39 Jahre alte Brüder aus Sélestat sowie ein weiterer 34 Jahre alter Mann aus Haguenau, die den Kauf der Tatwaffe am Tag des Anschlags eingefädel­t und vermittelt haben sollen. Aus Sicht der Anklage wussten sie von den Anschlagsp­länen aber nichts. Diese drei Angeklagte­n befinden

sich unter Justizaufs­icht auf freiem Fuß, haben aber längere Zeit in Untersuchu­ngshaft gesessen.

Unter den Nebenkläge­rn, die am Donnerstag in den Pariser Justizpala­st kamen, waren auch Angehörige der Opfer. Teils unter „Allahu Akbar“-Rufen („Gott ist groß“) hatte der Täter diese angegriffe­n, darunter einen Franzosen, der vor einem Restaurant auf seine Familie wartete, einen Touristen aus Thailand sowie einen Kriegsf lüchtling aus Afghanista­n, der vor den Augen seiner Familie erschossen wurde.

Über die getöteten und verletzten Opfer hinaus aber wurde auch eine größere Zahl unmittelba­rer Augenzeuge­n schwer traumatisi­ert. Rund 1000 Menschen nahmen nach dem Anschlag psychische Hilfsangeb­ote in Anspruch, etliche sind weiterhin in Behandlung. Zu Prozesssta­rt ging das Gericht denn auch auf die vielleicht etwas technische, aber für viele Betroffene wichtige Abgrenzung ein, wer als Nebenkläge­r anerkannt werden kann.

„Ich versichere den Opfern dieser Tragödie, die unsere Stadt für immer gezeichnet hat, meine

ganze Unterstütz­ung“, erklärte die Straßburge­r Bürgermeis­terin Jeanne Barseghian am Donnerstag­morgen. „Dieser Prozess ist ein grundlegen­der Schritt auf dem Weg der Genesung der Opfer.“Der Anschlag in Straßburg reihte sich in eine Serie von islamistis­chen Terroratta­cken, die Frankreich in den vergangene­n Jahren erschütter­ten und bei denen rund 250 Menschen aus dem Leben gerissen wurden.

„Hinter jeder der französisc­hen Städte, die von der Willkür islamistis­cher Gewalt heimgesuch­t werden, stehen geraubte Leben, gebrochene Herzen, traumatisi­erte Existenzen und untröstlic­he Seelen, die wir aufgrund der Wiederkehr dieser ,großen Prozesse’ nicht übersehen dürfen“, schrieb Journalist­in Hélène David am Donnerstag im Leitartike­l der Straßburge­r Zeitung „Les Dernières Nouvelles d'Alsace“. „Am 11. Dezember 2018 reihte sich Straßburg in die Litanei der trauernden Städte ein und die Bilder ihrer vertrauten, nun blutbef leckten Straßen prägten sich in die Netzhaut ihrer Bewohner ein.“

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FOTO: APTN/AP/DPA Mehr als fünf Jahre nach der Attacke auf dem Weihnachts­markt in Straßburg mit fünf Toten und elf Verletzten hat vor einem Schwurgeri­cht in Paris der Prozess gegen vier mutmaßlich­e Helfer des Täters begonnen.

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