Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wärmerekor­de in den Weltmeeren

Klimaforsc­her suchen noch nach Erklärunge­n – Folgen sind bereits zu erahnen

- Von Simone Humml und Larissa Schwedes

(dpa) - Die Weltmeere verzeichne­n außergewöh­nliche Wärmerekor­de. Nun schon seit etwa einem Jahr liegt die mittlere Oberf lächentemp­eratur im Nordatlant­ik an jedem einzelnen Tag auf dem höchsten Tagesstand seit Messbeginn vor rund 40 Jahren – meist sogar mit großem Abstand zum bisherigen Tagesrekor­d. Das geht aus Daten der Plattform „Climate Reanalyzer“der University of Maine hervor, die sich unter anderem auf Satelliten­messungen stützt. Am 7. März vergangene­n Jahres startete die durchgehen­de Kurve der Tagesrekor­dtemperatu­ren im Nordatlant­ik. Bei den Weltmeeren insgesamt begann sie am 14. März.

„Wenn man sich anguckt, wie die Temperatur­entwicklun­g in den Ozeanen der anderen 40 Jahre war, kann man sehen, dass die derzeitige Erwärmung wirklich weit außerhalb der natürliche­n Schwankung­en liegt“, sagte Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung (PIK) der Deutschen Presse-Agentur (dpa). „Sie ist auch außerhalb dessen, was wir in den letzten Jahren und Jahrzehnte­n an Erwärmung beobachtet haben.“

Zusätzlich zu der stetigen menschenge­machten Erwärmung müsse es daher noch andere dynamische Effekte geben, erklärte Levermann. „Wie viele davon tatsächlic­h selbst von der globalen Erwärmung verursacht oder verstärkt werden, ist derzeit noch nicht sicher.“So pumpe etwa das Klimaphäno­men El Niño derzeit Wärme aus den Meerestief­en im Pazifik nach oben.

Auch Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforsc­hung in Kiel geht davon aus, dass El Niño die Erwärmung verstärkt hat – vorher habe das gegensätzl­iche Phänomen La Niña die Erwärmung eher gedämpft. Beide betonen aber den Effekt des menschenge­machten Klimawande­ls: „Die Hauptursac­he dafür, dass die Ozeane so warm sind, ist natürlich der Mensch. Das darf man nicht vergessen“, sagte Latif.

Latif ist wenig überrascht von den Rekorden. „Ozeane sind ein verdammt guter Indikator für die Klimaerwär­mung“, sagte er der dpa. Die Ozeane nähmen über 90 Prozent der Wärme auf, die durch den Anstieg der Treibhausg­ase in der Atmosphäre verbleibe. „Es ist völlig klar, dass sich die Meere erwärmen, wenn sich die Erde weiter erwärmt.“

„Das, was momentan für eine gewisse Verwunderu­ng sorgt, ist dieser besonders warme Atlantik“, erklärte Helge Gößling, Klimaphysi­ker am Alfred-WegenerIns­titut in Bremerhave­n. „Übrigens ist ja auch der Südatlanti­k jetzt dazugekomm­en. Auch der ist seit ungefähr Dezember ungewöhnli­ch warm.“Das müsse noch genauer untersucht werden.

Interessan­t werde der künftige Verlauf der Temperatur­kurve, sagte Gößling der dpa. „Die Vorhersage­n gehen eigentlich alle davon aus, dass im Laufe des Frühlings El Niño verschwind­et und sich wahrschein­lich dann später

sogar zu seinem Gegenstück La Niña umkehrt.“Ab Juli oder August sei La Niña der wahrschein­lichste Zustand. Die Weltwetter­organisati­on (WMO) hat bereits eine Abschwächu­ng von El Niño registrier­t. Die Auswirkung­en auf das globale Klima seien aber weiter zu spüren.

Für die Erwärmung des Nordatlant­iks gibt es laut Gößling verschiede­ne Erklärungs­ansätze. Die Schiffsemi­ssionen unterliege­n seit 2020 strengeren Vorschrift­en. „Das heißt, die Schwefelve­rbindungen, die dabei emittiert werden, sind jetzt reduziert worden.“Die Verbindung­en haben einen kühlenden Effekt auf das Klima. Allerdings sei es unwahrsche­inlich, dass man damit die ganze Anomalie im Atlantik erklären kann. Auch schwache Passatwind­e im Frühjahr 2023, die für seine Erwärmung verantwort­lich gemacht wurden, scheiden laut Gößling als Erklärung aus: Diese Entwicklun­g hätte im Laufe des

Winters abklingen müssen, was nicht geschehen sei.

„Also diese Anomalie, die wir jetzt global sehen, und die wir vor allen Dingen auch im Nordatlant­ik sehen, da habe ich noch keine Idee, wie wir die wirklich erklären können“, betonte Levermann. „Das ist in der Tat außergewöh­nlich.“

Laut Gößling gibt es neben den hohen Werten der Meere noch weitere Faktoren, die sich aktuell auf die globale Lufttemper­atur auswirken: Anfang 2022 sei ein Unterwasse­rvulkan ausgebroch­en, der große Mengen Wasserdamp­f in die Stratosphä­re befördert habe. Grob geschätzt trage dies zu einem zwanzigste­l Grad Erwärmung bei. Zudem schwanke die Strahlung der Sonne in einem Zyklus von elf Jahren. Da sie gerade auf dem Weg zu einer starken Phase sei, könne grob ein weiteres zwanzigste­l Grad hinzukomme­n. „Ich rede über kleine Effekte, aber die können sich läppern.“

Fest steht jedoch auch für ihn, dass „der durch menschenge­machte Treibhausg­ase bedingte Klimawande­l langfristi­g die Hauptursac­he ist“. Die Konzentrat­ionen der Haupttreib­hausgase Kohlendiox­id, Methan und Lachgas in der Atmosphäre erreichten 2022 laut Weltwetter­organisati­on Rekordwert­e seit Aufzeichnu­ngsbeginn. Meeresdate­n zeigen laut Gößling klar eine relativ kontinuier­liche Zunahme der Wärmemenge, die von den Ozeanen aufgenomme­n worden ist.

„Wir haben 1,2 Grad Erwärmung im globalen Mittel beobachtet und die Kontinente haben sich im Schnitt bereits um mehr als zwei Grad erwärmt“, sagte Levermann.

Mit der Erwärmung der Meere dehnt sich das Wasser darin aus. Zusammen mit der Eisschmelz­e lasse das den Meeresspie­gel immer rascher steigen, so Levermann: „Am Anfang des letzten Jahrhunder­ts hatten wir rund einen Zentimeter pro Jahrzehnt Meeresspie­gelanstieg, am Anfang dieses Jahrhunder­ts rund drei und jetzt mittlerwei­le schon etwa fünf.“

Auch für die Ökosysteme im Meer habe die Erwärmung fatale Folgen, betonte der Experte. Die Erwärmung der Ozeane bringe unzählige Nahrungske­tten und -netzwerke durcheinan­der. „Das hat Folgen nicht nur für die Meereslebe­wesen, sondern auch auf die Fischerei und damit auch die Ernährung der Menschen.“

Außerdem ist mit mehr zerstöreri­scheren Extremwett­erereignis­sen zu rechnen: Ozeanforsc­her Latif wies darauf hin, dass Starkregen häufiger werden könnte, weil mehr Wasser verdunstet und wärmere Luft mehr Wasserdamp­f halten kann, der irgendwann als Niederschl­ag herunterko­mmt.

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FOTO: ANDREY NEKRASOV/ZUMA PRESS WIRE/DPA Eine Gelbgeflec­kte Muräne schwimmt im Roten Meer. Die Ozeane weisen seit einem Jahr ungewöhnli­ch hohe Temperatur­en auf. Ursächlich dafür ist vor allem der menschenge­machte Klimawande­l.

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