Schwäbische Zeitung (Laupheim)

16-Jährige an der Wahlurne

So bereiten Gemeinscha­ftskundele­hrer in Laupheim ihre Schüler auf die Kommunal- und Europawahl vor

- Von Anna Berger ●

- Wie begeistert man Jugendlich­e in Zeiten von Politikver­drossenhei­t fürs Wählen? Und sind 16-Jährige überhaupt reif genug, um politische Entscheidu­ngen zu treffen? Die „Schwäbisch­e Zeitung“hat mit denjenigen gesprochen, die es von Berufs wegen wissen sollten: Gemeinscha­ftskundele­hrer.

Nicht zum ersten Mal können 16- und 17-Jährige im Juni an den Kommunalwa­hlen in BadenWürtt­emberg teilnehmen. Neu ist allerdings, dass Angehörige dieser Altersgrup­pe künftig nicht nur Wahlschein­e ausfüllen, sondern als Kandidatin­nen und Kandidaten antreten dürfen. Das gilt für Gemeinde- und Kreisräte gleicherma­ßen. Außerdem haben 16und 17-Jährige nun auch die Möglichkei­t, die Zusammense­tzung des Europäisch­en Parlaments mitzubesti­mmen – ein Gremium, das in der öffentlich­en Wahrnehmun­g oft noch weniger populär erscheint als andere Parlamente.

„Politikver­drossenhei­t ist schon ein großes Thema“, sagt Michael Soppe. Der 33-jährige Referendar unterricht­et an der Friedrich-Uhlmann-Schule (FUS) Gemeinscha­ftskunde und Biologie und hat eine klare Vorstellun­g davon, was seine Aufgabe als Pädagoge ist: „Wenn die Schülerinn­en und Schüler merken, dass ihre Stimme zählt, und wir sie als mündige Bürgerinne­n und Bürger entlassen, dann habe ich als Lehrer alles richtig gemacht.“

Die FUS ist eine Gemeinscha­ftsschule. Ein bedeutende­r Teil der Schulabgän­ger hat das Alter von 16 Jahren nicht erreicht, wenn sie die Bildungsst­ätte verlassen. Laut Schulleite­r Andreas Trögele gibt es aber auch eine Gruppe von etwa 40 Jugendlich­en, die demnächst Wahlschein­e erhalten. Viele der FUS-Schülerinn­en und -Schüler kommen aus „bildungsfe­rnen Haushalten“, wie Trögele es nennt. Trockenes Lernen am Modell funktionie­re da nicht. „Unsere Schulart ist darauf bedacht, Schülern die Dinge begreifbar zu machen.“Ein wichtiges Mittel sei dabei das Erleben.

Das sieht auch Michael Soppe so. Darum hat der Gemeinscha­ftskundele­hrer schon zum Schuljahre­sbeginn während der Projekttag­e ein Planspiel durchgefüh­rt mit Schülerinn­en und

Schülern von der achten Klasse aufwärts. Dabei wurden alle Jugendlich­en zu Politikern und Wählern eines fiktiven Landtags. Welcher Partei sie angehören, wurde dabei ausgelost. Die Jugendlich­en mussten sich also mit dem politische­n Konzept einer Partei auseinande­rsetzen, mit der sie sich im Zweifelsfa­ll nicht identifizi­eren. Zugleich konnten sie ihre Stimme abgeben. Das Interessan­te dabei: Besonders gut schnitten Parteien ab, die an die derzeitige Koalition in BadenWürtt­emberg angelehnt sind –

die Partei für Ökologie und Demokratie (PÖD) mit acht von 25 Sitzen und die Partei der Christlich­en Demokratie (PCD) mit sieben von 25 Sitzen.

Auch ein Besuch des echten Landtags von Baden-Württember­g war Teil des Projekts. „Da durften die Schülerinn­en und Schüler dann auch auf den Plätzen der Abgeordnet­en sitzen und konnten sich mit anderen Jugendlich­en austausche­n“, erzählt Soppe.

Laut dem Pädagogen gehen Ereignisse in der Politik nicht spurlos an den jungen Menschen vorbei. So hätten das Geheimtref­fen der AfD und Ideen zur Remigratio­n Ängste bei FUS-Schülerinn­en und Schülern geschürt, deren Eltern teilweise keinen deutschen Pass haben. Als dann kurz nach dem Planspiel eine Gruppe von Jugendlich­en am Wochenende zu einer friedliche­n Demonstrat­ion nach Stuttgart fuhr, habe ihn das stolz gemacht, sagt Soppe.

Um das Demokratie­verständni­s der Schülerinn­en und Schüler an der FUS weiter zu stärken, will die Schule bis zur Kommunalun­d Europawahl noch mehrere Projekte durchführe­n. So plant Gemeinscha­ftskundele­hrer Soppe etwa eine Probewahl zum EUParlamen­t. Außerdem geht das kommunalpo­litische Projekt Uhlmanien nächste Woche in die

dritte Runde. Dabei wird die gesamte Schule für eine Woche zu einer fiktiven Stadtgesel­lschaft – inklusive Gemeindera­t, Dienstleis­tung und Handel, öffentlich­e Verwaltung sowie Weiter- und Fortbildun­gsmöglichk­eiten. Gewählt wird bereits diesen Freitag.

Die Frage, ob 16-Jährige schon reif genug sind zum Wählen, findet Michael Soppe schwer zu beantworte­n, da sich die Jugendlich­en sehr unterschie­dlich entwickelt­en. „Aber ich sehe eine Chance, junge Menschen zu motivieren, politisch zu sein“, so der 33-Jährige. Für FUS-Schulleite­r Trögele geht es zudem um Generation­engerechti­gkeit. Schließlic­h sei die Generation 60 plus die größte Wählerscha­ft. „Das soll jetzt kein Stechen sein gegen Rentner. Aber wenn die Erweiterun­g des Wählerstam­ms dazu führt, dass die Politik die Interessen von Jugendlich­en stärker beachtet, dann ist das ein Gewinn“, findet Trögele.

Ähnlich wie sein Kollege von der Gemeinscha­ftsschule ist Gymnasiall­ehrer Georg Arnold überzeugt, dass einige 16-Jährige die Reife besitzen, eine differenzi­erte, gut überlegte Wahlentsch­eidung zu treffen. „Anderersei­ts passiert in den zwei Jahren bis zur Volljährig­keit entwicklun­gspsycholo­gisch noch ganz viel“, gibt er zu bedenken. Der 46Jährige unterricht­et am Carl-Laemmle-Gymnasium Gemeinscha­ftskunde, Wirtschaft und Geschichte. Er will nicht ausschließ­en, dass eine Absenkung des Wahlalters auf 16 zu mehr politische­m Interesse bei Jugendlich­en führen kann. „Aber ich glaube nicht, dass das alleine die Politikver­drossenhei­t löst“, sagt Arnold. Seine Rolle als Lehrer ist für ihn dabei klar definiert: „Ich sehe es als meine Aufgabe an, dass die Schüler ihre politische Urteilsfäh­igkeit erreichen“, sagt er.

Weil auch Arnold glaubt, dass neben dem Unterricht­en von politische­n Inhalten das Erleben zum Lernen dazugehört, plant er für Mai eine Juniorwahl zum EU-Parlament für die Jahrgangss­tufen neun bis zwölf. Während in der Mittelstuf­e im Unterricht gewählt wird, wird die Beteiligun­g bei den Oberstufen­schülerinn­en und -schülern voraussich­tlich freiwillig sein. „Da könnte man sich dann auch die Wahlbeteil­igung anschauen“, so Arnold.

Neben solchen Projekten findet Arnold aber auch die innerschul­ische Demokratie wichtig. Hervorzuhe­ben sei dabei die Schülermit­verantwort­ung (SMV). Darüber könnten die Schülerinn­en und Schüler die Schule mitgestalt­en. „Die SMV hat auch jederzeit die Möglichkei­t, ein übergeordn­etes politische­s Thema in die Schule zu tragen.“Auch FUSSchulle­iter Trögele sieht in der SMV großes Potenzial für die politische Erziehung: „Da merken die Schüler: Durch meine Teilnahme kann ich was bewegen.“

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FOTOS: ANNA BERGER Referendar Michael Soppe von der Friedrich-Uhlmann-Schule will Jugendlich­e mit Planspiele­n für politische Themen begeistern.
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Lehrer Georg Arnold vom Carl-LaemmleGym­nasium sieht es als seine Aufgabe, Schülerinn­en und Schüler zur politische­n Urteilsfäh­igkeit zu ermächtige­n.
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FOTO: FRIEDRICH-UHLMANN-SCHULE Schüler der FUS beim Planspiel zur Wahl eines Landtags für das fiktive Land Uhlmanien.

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