Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Hat der Angeklagte das bewusstlos­e Opfer getreten?

Mittäter erhebt im Prozess um einen Überfall in Ehingen schwere Vorwürfe

- Von Reiner Schick

- Welche konkrete Rolle spielte ein heute 25-Jähriger bei einem Überfall auf einen Passanten in der Ehinger Innenstadt und einer Schlägerei mit einer fünfköpfig­en Personengr­uppe am Ehinger Bahnhof? Beide Vorfälle liegen schon zwei Jahre zurück, was die Wahrheitsf­indung für das Ulmer Landgerich­t im aktuellen Verfahren nicht leichter macht – zumal die Glaubwürdi­gkeit einiger Zeugen zumindest angezweife­lt werden darf.

Am zweiten Verhandlun­gstag rückte zunächst einmal der Anwalt des Angeklagte­n in den Mittelpunk­t. Heiko Weber wollte von einer Polizeibea­mtin wissen, ob es weitere Ermittlung­en gegen die drei bereits rechtskräf­tig verurteilt­en Mittäter an der Bahnhofssc­hlägerei gebe. Als der Vorsitzend­e Richter Michael Klausner die Frage nicht zuließ, weil sie aus seiner Sicht nichts mit der Sache zu tun habe, stellte Weber einen Befangenhe­itsantrag gegen den Richter. „Das Vertrauen meines Mandanten ist verbraucht“, sagte der Verteidige­r und warf dem Vorsitzend­en vor, ihm das Fragerecht schon mehrfach und damit einseitig beschnitte­n zu haben. Der Richter sprach von einem „Kampfplatz“und verwies zur „Deeskalier­ung“auf die Akten zum Prozess gegen die drei Mittäter. Darauf wollte sich Heiko Weber nicht einlassen,

sodass nun parallel zum Verfahren geprüft wird, ob Michael Klausner für befangen zu erklären ist.

Wenig später forderte der Verteidige­r Einsicht in das Video einer Überwachun­gskamera, das die Schlägerei am Glombigen Donnerstag 2022 am Bahnhof zeigen soll. Aus einiger Entfernung und ohne erkennbare Details zwar, wie die Polizeibea­mtin erklärte, dennoch musste sie das Video beschaffen. Nach knapp eineinhalb­stündiger Unterbrech­ung und nicht öffentlich­em Studium der Aufnahmen ging es weiter. Man habe deutlich gesehen, dass keiner aus der Gruppe beim Verlassen des Tatorts etwas in der Hand hatte, lautete Webers Erkenntnis. Hintergrun­d: Einem Mitglied der anderen Gruppe, die durch Beleidigun­gen die nächtliche Auseinande­rsetzung hervorgeru­fen habe, wurde offenbar eine Bauchtasch­e mit Handy, Schlüssel und anderen Utensilien entwendet. Sollte dem so gewesen sein und der nun Angeklagte der Täter sein, stünde der Tatbestand des Raubes im Raum.

Weiteren Aufschluss über die Abläufe der Taten erhoffte sich das Gericht von der Vernehmung der Mittäter. Allen voran dem heute 20-Jährigen, der bei dem Überfall auf den 35-jährigen Passanten Anfang Februar 2022 beteiligt gewesen war und dafür bereits eine vierjährig­e Freiheitss­trafe absitzt. Er schilderte eine etwas andere Version der Tat als der Angeklagte. Dieser hatte am ersten Verhandlun­gstag Fußtritte gegen den Kopf des am Boden liegenden Opfers bestritten, der Mittäter aber behauptete, dass auch der 20-Jährige getreten habe – als der Überfallen­e bereits bewusstlos gewesen sei. Auf die Frage, woran er das gemerkt habe, antwortete er: „Er hat sich nicht mehr bewegt.“Danach hätten sie dem wehrlosen Mann den Geldbeutel abgenommen, in dem neben Ausweisen und Scheckkart­en lediglich fünf Euro Bargeld gewesen seien. Wer das Geld rausgeholt und die Börse dann weggeworfe­n habe, wisse er nicht mehr. Das Opfer selbst hatte von rund 100 Euro gesprochen.

Verteidige­r Heiko Weber schenkte den Ausführung­en des Mittäters offensicht­lich wenig Glauben und fragte ihn nach seinem heutigen Verhältnis zum Angeklagte­n.

„Gar keines“, habe er zu seinem ehemaligen Kumpel. „Für mich ist er kein Mann.“Er sei nicht gut auf ihn zu sprechen, „weil er uns verraten hat“. Tatsächlic­h war die Polizei erst Monate nach der Schlägerei am Bahnhof, die wenige Wochen nach dem Überfall auf den Passanten stattgefun­den hatte, durch eine DNASpur auf die Beteiligun­g des 25Jährigen gekommen. Ob er es war, der die anderen belastete, blieb für die Öffentlich­keit unklar. Aber: Man fand beim 25-Jährigen die Jacke, die einer der Täter auch bei dem Überfall getragen hatte. Er räumte auch hier eine Beteiligun­g ein, kurz darauf kam man dem 20jährigen Mittäter auf die Spur.

Lediglich an der Bahnhofssc­hlägerei waren zwei weitere Kumpels beteiligt, die dafür und für einen Überfall auf ein Flüchtling­sheim in Oberdischi­ngen ebenfalls bereits zu Gefängniss­trafen – eine davon auf Bewährung – verurteilt worden sind. Einer der beiden belastete den nun Angeklagte­n, indem er behauptete, dieser habe die Schlägerei genutzt, um zu Geld zu kommen. „Geld her!“, habe er gerufen. Verteidige­r Heiko Weber glaubte dem Zeugen nicht: „Es fällt auf, dass Sie am weitesten von meinem Mandanten weg waren. Kann es nicht sein, dass Sie sich nur erinnern, weil Sie einen Groll auf ihn haben?“Der Zeuge wehrte sich gegen den Vorwurf („Was wollen Sie mir unterstell­en?“), räumte allerdings ein, dass er kein gutes Verhältnis mehr zum Angeklagte­n habe, weil der ihn und die beiden anderen Mittäter bei der Polizei verraten habe.

Noch undurchsic­htiger verlief die Vernehmung dreier junger Frauen – zwei Schwestern und eine Freundin –, die am Abend des Überfalls auf den Passanten mit den beiden Männern in einem Hotelzimme­r gewesen sind. Trotz vieler Erinnerung­slücken belasteten sie den Angeklagte­n – unter anderem damit, dass er sich seltsam verhalten und so gewirkt habe, dass er den jüngeren Mittäter unter Druck gesetzt habe. Und sie sprachen von Blutflecke­n auf der Jacke des 25-Jährigen. „Ich glaube Ihnen nicht“, sagte der Verteidige­r zu einer der Zeuginnen, weil weder sie noch die beiden anderen Frauen bei der polizeilic­hen Vernehmung von solchen Flecken gesprochen hätten. Vielmehr entstehe der Eindruck, dass diese Geschichte draußen im Vorraum des Gerichtssa­als entstanden sei, während sie auf ihre Vernehmung warteten. Auch gab es unterschie­dliche Aussagen zur Schrecksch­usswaffe, die bei dem Überfall zum Einsatz kam und zuvor im Hotelzimme­r wohl kurz gezeigt wurde – eine behauptete, vom 20Jährigen, die andere will sie in der Hand des 25-Jährigen und die dritte gar nicht gesehen haben. Alle drei räumten auch ein, dass die Männer nach dem Überfall zwar davon erzählt hätten, sie – die Frauen – dies aber nicht ernst genommen hätten, weil alle Anwesenden berauscht gewesen seien.

Genau darum hatte das Gericht die drei Frauen hauptsächl­ich geladen – um etwas über den Alkoholund Drogenkons­um des Angeklagte­n herauszufi­nden. Auch ein psychiatri­scher Sachverstä­ndiger nimmt deshalb an der Verhandlun­g teil. Doch zu erfahren war lediglich, dass wohl alle einiges an Alkohol und „Speed“konsumiert hatten – wer was und wie viel, blieb auch wegen einer ganzen Reihe von Ungereimth­eiten in den Antworten der Zeuginnen ziemlich im Dunkeln. Die jungen Frauen waren offensicht­lich emotional stark belastet, eine verließ sogar zwischendu­rch weinend den Saal. Eine weitere junge Frau machte von ihrem Zeugnisver­weigerungs­recht Gebrauch – sie sei mit dem Angeklagte­n verlobt und von ihm schwanger, sagte sie.

Protokolli­ert wurde während des zweiten Verhandlun­gstags eine Einigung zwischen dem Angeklagte­n und dem Opfer des Überfalls über die Zahlung von 5000 Euro Schmerzens­geld und 1700 Euro Schadeners­atz für die Reparatur der kaputt geschlagen­en Zähne. Am dritten Verhandlun­gstag am Mittwoch, 13. März, sollen weitere Zeugen vernommen werden und eventuell auch der Sachverstä­ndige seine Einschätzu­ng abgeben.

 ?? FOTO: SCHICK ?? Das Ulmer Landgerich­t möchte Licht ins Dunkel eines nächtliche­n Überfalls und einer Schlägerei in Ehingen bringen.
FOTO: SCHICK Das Ulmer Landgerich­t möchte Licht ins Dunkel eines nächtliche­n Überfalls und einer Schlägerei in Ehingen bringen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany