Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Mit Skulpturen den Blick auf die Welt ändern
Künstler Anish Kapoor wird 70 – Auf Instagram finden sich Tausende Bilder seiner Werke
Als seine bekannteste Skulptur zusammengeschweißt wurde, ließ sich wohl nur schwer erahnen, wie viele Menschen dort später mit ihren Handys stehen und sich selbst fotografieren würden. „Cloud Gate“von Anish Kapoor steht in Chicago. Ein verspiegeltes, großes Ding, das wegen seiner Form auch Bohne genannt wird. Eine ähnliche Skulptur gibt es mittlerweile in New York. Im Stadtteil Tribeca sieht es aus, als wäre sie unter einem Hochhaus eingequetscht.
Bei Instagram finden sich Tausende Bilder von Kapoors Werken. Der Künstler, der in Indien geboren wurde und später nach Großbritannien ging, wird heute 70 Jahre alt. Eine Karriere als Künstler schien anfangs abwegig. „Wie alle guten, kleinen indischen Jungen war ich ziemlich sicher, dass es das einzige Richtige sei, Ingenieur oder so etwas zu werden“, sagte Kapoor mal in der Dokuserie „Art21“.
Seine frühen Werke sahen übrigens noch ganz anders aus. Es waren Farbpigmente, aufgehäuft zu geometrischen Formen. Zart und reich. Im Laufe der Jahrzehnte experimentierte er mit Tonnen von Wachs und gigantischen Stahlinstallationen. Heute gilt Kapoor, der 1991 den renommierten Turner-Preis für zeitgenössische Kunst gewann, als einer der wichtigsten Bildhauer der Gegenwart.
In der Dokuserie erzählte Kapoor, dass er sich mehr als 30 Jahre
mit Psychoanalyse auseinandergesetzt habe. Kapoor wuchs in einer weltoffenen Familie in Indien auf. Seine Mutter, die selbst jüdisch war, schickte ihn und seinen Bruder als Teenager nach Israel. Die Zeitung „Times“wollte 2022 wissen, ob das traumatisch gewesen sei. Das wisse er nicht, antwortete Kapoor. Es sei sehr verwirrend gewesen. Er habe sein ganzes Leben damit verbracht, darüber verzweifelt zu sein. Er habe damals einen Zusammenbruch erlebt und Beruhigungsmittel genommen, von denen er lange nicht losgekommen sei.
Was er an der Psychoanalyse liebe, sei die Annahme, dass die innere Welt mindestens genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger sei als „die sogenannte Welt der Realität“. Und die Aufgabe sei dann, damit zu arbeiten. Genau das passiere auch im Studio.
Ins Studio gehe er jeden Tag, er habe eine Routine, trage jeden Tag die gleiche Kleidung, erzählte er mal der BBC, dann arbeite er und hoffe, dass daraus etwas werde. Bei Kapoor ist daraus oft Großes geworden. Als er vor einigen Jahren in Berlin ausstellte, sprach die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“von „Herrscherporträts der Gegenwart“: Kapoors Werke seien vor allem eines: „teuer und monumental“.
Kapoor will nach eigenen Worten, dass Menschen eine Umgebung betreten und staunen. Mit seinen Kunstwerken lässt er sie zugleich hinterfragen, was Realität eigentlich ist. Auch in seinen Bohnen in Chicago und New York spiegelt sich die Welt verzerrt. Anfangs dachte er: „Das ist zu populär, zu einfach.“Aber: Wenn man davorstehe, sei das Werk enorm groß. Doch man müsse nur etwas weiter weggehen, und schon sei es das nicht mehr. Wenn man sich selbst zu einem solchen Objekt in Bezug setze, mache das auch etwas mit dem Geist. „Führt das dann dazu, dass man sich fragt, wie groß man ist, wie klein man ist, wie wichtig man ist oder all die Varianten?“(dpa)