Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Das ist nicht Biberach, das ist nicht Oberschwab­en“

Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n über Proteste beim Aschermitt­woch und Fehler der Ampel

- Von Kara Ballarin und Katja Korf ●

- Lange lief es bestens für die Grünen in Baden-Württember­g. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n führte sie dreimal in eine Landesregi­erung, machte sie zweimal zur stärksten Kraft. Doch in zwei Jahren tritt der heute 75-Jährige nicht mehr an, seine Partei liegt in Umfragen deutlich hinter der CDU im Südwesten und steht heftig in der Kritik. Was Kretschman­n den Seinen rät und warum er eine der teuersten Predigten nach denen des Papstes gehalten hat.

Herr Kretschman­n, Sie sagen in Interviews oft, die Grünen seien die Verbündete­n der Bauern. Inwiefern?

Dass wir überhaupt offene, artenreich­e Kulturland­schaften haben, ist ein Ergebnis der neolithisc­hen Revolution: weil Jäger und Sammler sesshaft wurden und Landwirtsc­haft betrieben. Die industriel­le Landwirtsc­haft brachte dieses Gefüge unter Druck, auch die Bauern selbst. Seit Jahrzehnte­n heißt es: wachse oder weiche! Davon ist unsere bäuerliche Landwirtsc­haft elementar betroffen. Deshalb sind wir Grünen eigentlich die natürliche­n Verbündete­n der Bauern.

Warum sehen das die wenigsten Landwirte so?

Weil viele Vorschrift­en aus dem Umweltbere­ich kommen. Es ist natürlich klar: Nitrat gehört nicht ins Grundwasse­r und Pestizide nicht in einen Bach. Da sind sie aber zu finden. Da muss man Maßnahmen ergreifen, egal ob als Grüner oder Schwarzer. Zudem hat sich das Verhältnis der Gesellscha­ft zu Tieren verändert. Wir Biologen nennen das anthropomo­rph. Das heißt, wir vermenschl­ichen Tiere. Es entstanden dadurch neue Erwartunge­n an Landwirte für mehr Tierwohl. Bauern sollen also nicht nur Lebensmitt­el für einen Markt produziere­n, sondern auch die Landschaft pflegen, auf Tierwohl achten. Die Gemeinsame Agrarpolit­ik der EU vergütet solche Leistungen zwar, aber nur als Verdiensta­usfall. Was wir brauchen ist ein Anreizsyst­em, das anerkennt, was Landwirte hier für Umwelt und Naturschut­z leisten. Ganz akut ist die Wut der Bauern durch die Ampel-Koalition in Berlin ausgelöst worden, deshalb können wir uns darüber erst mal nicht beschweren. Beschlüsse wie ein Ende der Kfz-Steuerbefr­eiung und des Agrardiese­ls einem Berufsstan­d über Nacht auf den Tisch zu knallen – das kann nicht gut gehen.

Diese Punkte fallen inhaltlich ins Ressort Ihres Parteifreu­nds Cem Özdemir. Hat er in der Ampel-Regierung nichts zu sagen, wie manche Bauern daraus schließen?

Das Ergebnis zeigt das Gegenteil: Die Kfz-Steuerbefr­eiung bleibt und das Ende der Agrardiese­lSubventio­n ist zeitlich gestreckt. Für den Tierwohlum­bau hat er eine Milliarde organisier­t. Außerdem hat er gerade den Weg frei gemacht, dass Landwirte statt vier Prozent ihrer Anbaufläch­en stilllegen zu müssen, ökologisch und ökonomisch sinnvolle Alternativ­en wie Zwischenfr­ucht-Bepflanzun­g nutzen können. Weitere Entlastung­en müssen folgen, wie wir auch in der Ministerpr­äsidentenk­onferenz gerade beschlosse­n haben.

Viele Menschen bekennen sich in Umfragen zu mehr Tierwohl, viele unterstütz­en auch die Bauernprot­este. Aber beim Einkauf wählen sie günstige Produkte. Auf Tierwohl zu achten, lohnt sich für Bauern also unter Umständen gar nicht. Wie lässt sich dieser Widerspruc­h lösen?

Der Bürger als Citoyen hat zwar eine Sympathie für regionale Produkte und schätzt die Arbeit der Landwirte. An der Theke verwandelt er sich aber schnell in den Konsumente­n und greift nach dem Billigsten. Gute Lebensmitt­el haben aber einen Preis. Ich habe den Menschen keine Ernährungs­ratschläge zu machen. Ein Weg, den immer mehr Menschen ganz bewusst wählen: weniger Fleisch essen, dafür aber mehr für gutes, regionales Fleisch bezahlen. Es geht da auch um Wertschätz­ung für das Produkt und die Leistung, die dahinterst­eckt.

Kann die Politik in diesem Punkt überhaupt etwas bewirken?

Im Strategied­ialog Landwirtsc­haft, den ich vor eineinhalb Jahren initiiert habe, versuchen wir, Erzeuger, Handel und Verbrauche­r zusammenzu­bringen. Ich hatte das mal einen neuen Gesellscha­ftsvertrag genannt. Das klingt vielleicht etwas hoch gegriffen, aber es sollte unser Ziel sein. Jedenfalls braucht es eine neue Verantwort­ungsgemein­schaft.

Wie unzufriede­n Landwirte vor allem mit Ihrer Partei sind, haben sie beim politische­n Aschermitt­woch in Biberach gezeigt ...

Wir hatten zwei Proteste in Biberach, diese Trennung ist sehr wichtig: einen angemeldet­en auf dem Gigelberg. Der war auch nicht gerade so nett, aber alles war im Rahmen, Cem Özdemir hat dort geredet, sich der Kritik gestellt. Eine solche Art des Protests ist legitim und wirksam. In der Breite

ist angekommen, dass wir die Anliegen der Bauern mehr in den Blick nehmen müssen. Die andere Demonstrat­ion vor der Stadthalle ist gefährlich für die Demokratie. Sie war nicht angemeldet, dort waren wohl auch einige militante Bauern, aber vor allem andere radikale Kräfte, die nicht aus der Landwirtsc­haft kommen. Was da passiert ist, geht gar nicht. So etwas werden wir uns auch nicht bieten lassen. Wir sind so nicht in Oberschwab­en.

Sie sind dann erst gar nicht zur Stadthalle gekommen.

Als auf dem Weg zur Veranstalt­ung klar war, dass sie aus Sicherheit­sgründen definitiv abgesagt ist, bin ich umgedreht und heimgefahr­en. Erst mit erhebliche­r Zeitverzög­erung ist mir klar geworden, dass das ein unglaublic­her Vorgang war. Rückblicke­nd würde ich sagen: Wäre mir das

gleich bewusst gewesen, wäre ich gerade deshalb hingefahre­n. Es kann nicht sein, dass ein Ministerpr­äsident im eigenen Land auf einer Veranstalt­ung nicht reden kann.

Eine Folge daraus: Innenminis­ter Thomas Strobl will politische Veranstalt­ungen mit mehr Polizei schützen, gerade mit Blick auf die Europa- und Kommunalwa­hlen im Juni. Sie selbst hatten sich jüngst bei einer Fastenpred­igt auf dem Bussen über die immense Polizeiprä­senz beklagt.

Ja, das martialisc­he Polizeiauf­gebot und die Metallgitt­er zur Absperrung auf dem Bussen, das war eine Folge der Exzesse in Biberach. Da musste ich mich ein bisschen bei den Menschen dort entschuldi­gen. Wahrschein­lich war das die teuerste Predigt nach denen des Papstes.

Ein Grünen-Kandidat für die Kommunalwa­hl ist jüngst in Amtzell im Kreis Ravensburg angegriffe­n worden. Ist das das neue Normal?

Daran ist nichts normal. Neben der Tendenz, dass die Rechtsradi­kalen offener auftreten, gehen inzwischen auch massenweis­e Menschen dagegen auf die Straße. Der Staat muss und wird durchsetze­n, dass Politiker ihre Aufgaben wahrnehmen können, dass niemand Angst haben muss, für ein Amt zu kandidiere­n oder dieses auszuführe­n. Ich bin da privilegie­rt, habe Personensc­hützer, aber wir können ja nicht jedem Bürgermeis­ter Personensc­hützer an die Seite stellen. Alle vernünftig­en Kräfte der Gesellscha­ft müssen das zurückdrän­gen, müssen zusammenst­ehen und sagen, der innere Frieden ist wichtig wie der äußere.

Am 22. März kehren Sie zu einer Veranstalt­ung nach Biberach zurück – mit Ihrem Vize und Innenminis­ter Thomas Strobl. Warum?

Der Landrat und der Oberbürger­meister haben uns nach dem politische­n Aschermitt­woch eingeladen, weil sie deutlich machen wollen: Das ist nicht Biberach, das ist nicht Oberschwab­en. Biberach hat die zweitältes­te Simultanki­rche des deutschen Reiches. Das heißt: Katholiken und Protestant­en nutzten sie seit eh gemeinsam. Als eine von vier oberdeutsc­hen Städten hat sie den Augsburger Religionsf­rieden zwischen Katholiken und Protestant­en umgesetzt. Man muss bedenken, was damals konfession­elle Unterschie­de bedeutet haben. Insofern ist Biberach eine Wiege des Dialogs. Und auch die Bauernaufs­tände vor 500 Jahren gegen die Obrigkeite­n nahmen dort einen ihrer Anfänge. Am Freitag wollen wir in Biberach diskutiere­n, was eine moderne Demokratie und eine Gesellscha­ft zusammenhä­lt, welcher Protest legitim ist und wie der Staat mit Protest umgeht.

Weite Teile der Bürgergese­llschaft sind unzufriede­n mit der Politik der Ampel. Können Sie den Unmut verstehen?

Bauernprot­este, der Aufstieg der Rechtsradi­kalen, das sind Phänomene in vielen Ländern der Welt. Es muss also tiefere Gründe geben als die Ampel. Wir leben in Zeiten großer Krisen: Klimawande­l, geopolitis­che Verschiebu­ngen, der Krieg Russlands gegen die Ukraine, die demografis­che Entwicklun­g, die den reichen Ländern des Nordens zu schaffen macht, Teuerung, Migrations­bewegungen. Digitalisi­erung und Künstliche Intelligen­z wälzen die gesamte Kommunikat­ion um, weg von einem Bringsyste­m von journalist­isch ausgebilde­ten Profis hin zu einem Holsystem in den sozialen Medien. Ein großer Unterschie­d dabei: In der Zeitung wird man auch mit Themen und Positionen konfrontie­rt, die der eigenen Meinung nicht entspreche­n, in den sozialen Medien verstärken die Algorithme­n die eigene Sicht auf die Dinge. All das verursacht einen Veränderun­gsdruck, der die Leute verunsiche­rt. Dazu kommen selbstgema­chte Fehler der Ampel.

Welche?

Bei der handwerkli­chen Qualität der Gesetze ist an vielen Stellen – mal diplomatis­ch formuliert – Luft nach oben. Wenn sich die Ampel dauernd streitet, vermittelt sie den Eindruck, nichts zustande zu bringen – was ja gar nicht stimmt. Umgekehrt: Die Ampel muss enorm viel Reformstau aufarbeite­n, was unter den Vorgänger-Regierunge­n lange liegengebl­ieben war. In der Landwirtsc­haft etwa hat der Agrardiese­l das Fass zum Überlaufen gebracht, aber bis zum Rand gefüllt haben es Regierunge­n davor, an denen die Grünen nicht beteiligt waren.

Kritiker halten Ihnen nach 13 Jahren als Regierungs­chef eine magere Erfolgsbil­anz vor. Als Beispiele dienen etwa der schleppend­e Ausbau der Windkraft, der Absturz der SüdwestSch­üler in Bildungsra­nkings, der fortschrei­tende Flächenfra­ß. Können Sie sich zufrieden aufs Altenteil zurückzieh­en?

Wir sind beim Ausbau Erneuerbar­er an dritter Stelle, erleben einen Boom bei der Photovolta­ik. Es hat keinen Sinn zum 17. Mal zu erklären, woran es liegt, dass zu wenig Windräder gebaut wurden. Ich bin optimistis­ch, dass der Hochlauf noch in dieser Legislatur­periode sichtbar beginnt, weil nun in Bund und Land die Weichen bei Ausschreib­ungen und Genehmigun­gen gestellt sind. Die massiv gesunkene Bildungsqu­alität, gerade im frühkindli­chen Bereich, treibt mich extrem um. Die Kritik muss ich annehmen, das können wir nicht mehr so laufen lassen. Sonst versündige­n wir uns an unseren Kindern. Das gehen wir jetzt in der Koalition mit Kraft und sehr viel Geld an. Wir führen verbindlic­he Sprachförd­erung schon im Kindergart­en ein und investiere­n massiv in die Grundschul­bildung.

Noch haben Sie zwei Jahre Zeit. Was wollen Sie unbedingt noch erreichen?

Die Energiewen­de natürlich, und die eben angesproch­enen Bildungsre­formen. Das ist enorm herausford­ernd. Was aber vor allem anderen steht, ist der Zusammenha­lt in der Gesellscha­ft.

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT Im Gespräch in der Bibliothek der Villa Reitzenste­in (von links): Vize-Regierungs­sprecherin Caroline Blarr, Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n und die beiden Landeskorr­espondenti­nnen der „Schwäbisch­en Zeitung“Kara Ballarin und Katja Korf.

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