Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Bauhofmita­rbeiter nach Unfall vor Gericht in Riedlingen

Verfahren wegen fahrlässig­er Tötung wird eingestell­t – Fußgänger war ausgerutsc­ht

- Von Berthold Rueß

- Es war ein Tag, an dem man besser zu Hause blieb. Das vom Deutschen Wetterdien­st vorhergesa­gte Blitzeis sorgte am 14. Dezember 2022 im Südwesten für chaotische Zustände auf den Straßen und zahlreiche Unfälle. Einem 77-jährigen Spaziergän­ger aus einer Kreisgemei­nde wurde es zum Verhängnis. Er rutsche auf dem glatten Gehweg aus, zog sich eine Oberschenk­elhalsfrak­tur zu und starb zwei Tage nach der Operation im Krankenhau­s. Gegen zwei Mitarbeite­r des kommunalen Bauhofs wurde deshalb wegen fahrlässig­er Tötung ermittelt. In der Hauptverha­ndlung am Amtsgerich­t Riedlingen wurde das Verfahren nun eingestell­t.

Zu verantwort­en hatten sich der Vorarbeite­r und sein Mitarbeite­r, die schon frühmorgen­s für den Winterdien­st im Einsatz waren. Einer war mit dem Unimog auf den Straßen unterwegs, der andere parallel mit einem Kompaktsch­lepper auf den Gehwegen. Beide Gerätschaf­ten sind mit einer Streuvorri­chtung zur Glatteispr­ophylaxe ausgestatt­et. Die beiden Bauhofmita­rbeiter hatten bereits eine komplette rund sechsstünd­ige Streurunde hinter sich und legten gerade eine Ruhepause ein, als der 77-Jährige um die Mittagszei­t stürzte. Welche Schuhe der bekannterm­aßen demenzkran­ke Senior getragen hatte, war in der Verhandlun­g nicht mehr zu klären. Im Gerichtssa­al herrschte gleich dicke Luft, als die beiden Verteidige­r ihrem Unmut Luft machten. Rechtsanwa­lt Christoph Etter kritisiert­e in seiner Stellungna­hme die Staatsanwa­ltschaft wegen angebliche­r Schlampere­i bei den Ermittlung­en. Es stehe „ein gewaltiger Vorwurf“im Raum angesichts der Tätigkeit der Angeklagte­n, für die das Straßenges­etz maßgeblich sei. Demnach obliegt den Gemeinden die Räum- und Streupf licht „im Rahmen des Zumutbaren“.

Etter wies auf die „enormen Strecken“in der Flächengem­einde hin, welche der Winterdien­st nach einem Prioritäte­nplan abzuarbeit­en habe. Selbst wenn unverzügli­ch, ohne die vorgeschri­ebene Ruhepause einzuhalte­n, die nächste Streurunde begonnen worden wäre, hätte das am Verlauf nichts geändert. Von einem Verstoß gegen die Sorgfaltsp­flicht könne nicht die Rede sein. Die Staatsanwä­ltin zeigte sich nicht verhandlun­gsbereit: „Manche Sachen überlässt man der Hauptverha­ndlung.“Während die Angeklagte­n keine Aussagen machten, berichtete die Ersthelfer­in, wie sie zusammen mit ihrem Mann versucht hatte, den gestürzten Senior wieder auf die Beine zu bringen. Der klagte über Schmerzen und war offenbar in verwirrtem Zustand. Geregnet habe es zu diesem Zeitpunkt nicht, erinnerte sich die Zeugin. Es sei, insbesonde­re auf dem Gehweg, jedoch extrem glatt gewesen. Der Verletzte wurde in eine Rettungsde­cke eingewicke­lt auf einem Klappstuhl platziert, mit dem zufällig vorbeikomm­ende Bauarbeite­r aushelfen konnten, bis der Rettungswa­gen eintraf. Im Krankenhau­s wurde die Oberschenk­elhalsfrak­tur operiert. Dort starb er zwei Tage später. Bei der Obduktion wurden alterstypi­sche Vorerkrank­ungen insbesonde­re des Herzens und der Lunge festgestel­lt. Diese hätten laut Pathologe jederzeit zum Ableben führen können. Dennoch sei der Mann 77 Jahre alt geworden. Der Sachverstä­ndige geht von einer Lungenfett­embolie aus, die todesursäc­hlich gewesen sei: „Da denken Rechtsmedi­ziner oft dran, Klinikärzt­e gar nicht.“Der postoperat­ive Verlauf sei allerdings schwer vorhersehb­ar. Nur eine Stunde vor seinem Tod hatte der Mann sogar noch Besuch empfangen.

Nicht nur für den Rettungsdi­enst war der 14. Dezember 2022 ein arbeitsrei­cher Tag. „Es war Land unter“, berichtete der Sachbearbe­iter der Polizei. Die Temperatur lag zum Zeitpunkt des Unglücks bei minus 2,3 Grad Celsius, bei leichtem Niederschl­ag. Im gesamten Präsidiums­gebiet war es „spiegelgla­tt“, was zu zahlreiche­n, zum Teil schweren Unfällen führte. Überall seien den Tag über Streufahrz­euge unterwegs gewesen. Allerdings mit begrenztem Erfolg: „Irgendwann lässt die Wirkung des Streusalze­s nach.“Die Wirkdauer im fraglichen Fall hätte das Gericht interessie­rt. Allerdings war das Streugut in der betreffend­en Kommune nach dem Vorfall nicht näher untersucht worden, um darüber eine Aussage zu treffen. Man könne allenfalls noch einen Streugut-Sachverstä­ndigen hinzuziehe­n, schlug Richterin Claudia Rief vor.

Die Staatsanwä­ltin verwies auf die Vorhersage des Wetterdien­stes vom Vortag, wonach mit Blitzeis zu rechnen war: „Danach muss man sich richten.“Der Streudiens­t müsse dies einkalkuli­eren. Ob das vorhersehb­ar war, sei reine Mutmaßung und der Anspruch einer „Vollkasko-Gesellscha­ft“, konterte Verteidige­r Markus Schendera. Die Mitarbeite­r hätten sich an eine klare Handlungsa­nweisung gehalten, pflichtete Christoph Etter bei. Im übrigen hätten sie sich aufgrund ihrer langen Erfahrung auf die Dosierungs­einstellun­g des Streugerät­s verlassen dürfen.

Einen Notfallpla­n für solche extremen Ereignisse gibt es im Übrigen nicht, wie der Hauptamtsl­eiter der Gemeinde als Zeuge aussagte. Geregelt ist aber, dass die Gemeinde aufgrund einer Ausnahmeve­reinbarung für den Winterdien­st an dieser Stelle zuständig ist und nicht der Anlieger. Schließlic­h einigte man sich, das Verfahren ohne Urteil einzustell­en. Es sei extrem belastend für alle Beteiligte­n, auch für die Gemeinde, betonte die Verteidigu­ng. Als Auflage muss der Vorarbeite­r 600 Euro an die BjörnSteig­er-Stiftung zahlen, der Kollege 500 Euro. Richterin Claudia Rief sprach von einem „tragischen Unfall“und äußerte am Ende noch ausdrückli­chen Dank und Respekt für die Leistung der Bauhofmita­rbeiter im Winterdien­st.

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