Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Prozess gegen einen Toten
Im Ehinger Gerichtssaal stellt sich heraus, dass der Angeklagte gestorben ist
- Eigentlich sollte Richter Wolfgang Lampa am Mittwochmorgen vor dem Ehinger Amtsgericht einen Prozess wegen gefährlicher Körperverletzung verhandeln. Als der Angeklagte jedoch nicht erschien, stellte sich schließlich heraus: Laut Einwohnermeldeamt ist der Mann vor zwei Monaten gestorben.
Um 8.45 Uhr war der Prozess ursprünglich angesetzt. Verteidiger, Staatsanwältin und drei Zeugen waren da. Als Wolfgang Lampa den Raum betrat, fehlte noch immer der Angeklagte. Der Richter münzte dies kurzerhand um in eine Schulstunde für die etwa 25 Schülerinnen und Schüler, die an diesem Morgen zusammen mit ihrem Lehrer die Gerichtsverhandlung besuchten. „Was mache ich, wenn der Angeklagte nicht erscheint?“, fragte er die Schulklasse. „Mit der Polizei abholen lassen.“Genau das veranlasste der Richter dann auch, griff zum Telefonhörer und rief beim Polizeiposten Munderkingen an, da die letzte bekannte Adresse des 56-jährigen Angeklagten in der Donaustadt ist.
Er habe Gerüchte gehört, dass der Mann Deutschland verlassen habe, sagte ihm dort ein Polizeibeamter, erklärte aber, dass er bei dessen Wohnung vorbeifahren wolle. Währenddessen setzte Richter Lampa im Ehinger Gerichtssaal seine Nachforschungen fort. Etwas verdutzt schaute er schließlich auf seinen Bildschirm, wo er den Auszug aus dem Einwohnermeldeamt vorfand. Dort zu lesen: „Anscheinend ist der Angeklagte im Januar in Bosnien und Herzegowina gestorben.“Das könne durchaus dauern, bis diese Meldung bei den deutschen Behörden ankomme. So lasse sich auch erklären, dass die Justiz bisher von dem Tod noch nichts mitbekommen habe. Die Ladung sei Ende Januar zugestellt worden. Er müsse sich nun noch mit dem Bürgermeisteramt in Verbindung setzen, um den Tod zu bestätigen.
Aber: „Wenn ein Angeklagter tot ist, kann man nicht verhandeln.“Damit erklärte er die Verhandlung vorerst für eingestellt und funktionierte den Gerichtssaal kurzfristig in ein Klassenzimmer um. „Vielleicht haben die Schülerinnen und Schüler ja noch Fragen.“