Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Kampf gegen den Lehrermangel
GEW-Kreisvorsitzende und Politiker sehen Bürokratie als Problem bei der Fachkräftegewinnung
- Der Fachkräftemangel macht auch den Schulen zu schaffen. Die „Schwäbische Zeitung“hat mit der GEW-Kreisvorsitzenden Heidi Drews und Politikern von SPD und Bündnis 90/Die Grünen über die Folgen gesprochen – und darüber, wie das Problem gelöst werden könnte. Das Gespräch fand im Kulturhaus in Laupheim am Rande der diesjährigen Personalversammlung der Lehrkräfte im Bereich des Staatlichen Schulamts Biberach statt.
553 Lehrkräfte in Elternzeit und 85 Langzeiterkrankte. Dazu eine Reihe unbesetzter Stellen. Das ist laut Heidi Drews aktuell die Lage im Bereich des Staatlichen Schulamts Biberach, zu dem auch die Stadt Ulm und der AlbDonau-Kreis zählen. Drews ist Lehrerin an einer Gemeinschaftsschule in Biberach und Kreisvorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). Sie sitzt in einem karminroten Sessel auf der Bühne des Otmar-Schick-Festsaals im Kulturhaus in Laupheim, neben ihr die Landtagsabgeordneten Stefan Fulst-Blei von der SPD und Ralf Nentwich von Bündnis 90/Die Grünen. Statt die Mittagspause auf der Personalversammlung zu nutzen, um einen Happen zu essen, diskutieren sie mit der Presse darüber, was schief läuft in der Bildung, was man verbessern müsste und wo das Land bereits auf einem guten Weg ist.
Einig sind sich die Gewerkschafterin und die beiden Politiker darin, dass der Lehrermangel in Baden-Württemberg ein ernsthaftes Problem darstellt. Für Drews steht fest, dass die angespannte Situation bei vielen Lehrerinnen und Lehrern zu einer Überlastung führt, was wiederum Ausfälle zur Folge hat: „Viele können einfach nicht mehr.“Um die Situation zumindest kurzfristig zu entspannen, schlägt Drews vor, die Stunden in ausgewählten Fächern vorübergehend zu reduzieren. Dabei solle jede Schule selbst entscheiden können, in welchen Fächern – Mathematik, Deutsch und Englisch ausgenommen. „Das wäre eine einfache Lösung“, ist die Lehrerin überzeugt. Allerdings solle es nicht nur die Fächer Sport, Kunst und Musik treffen.
Was Drews ärgert, ist, dass Verträge für Personen ohne Lehramtsausbildung häufig nicht entfristet würden, obwohl deren Arbeit für die Schulen essentiell sei. Auch beim Quer- und Direkteinstieg von Menschen ohne Lehramtsstudium, aber mit wissenschaftlichem Hochschulabschluss gehe das Schulamt teilweise sehr restriktiv vor und verhindere so die Besetzung vakanter Stellen. Ebenso bei Sonderfällen, die nicht in ein vorgegebenes Muster passten. So sei bei der Personalversammlung eine Lehrerin
aus der Ukraine anwesend, die nun im öffentlichen Dienst auf derselben Stufe eingruppiert wurde wie eine Erzieherin. „Die fühlt sich zurückgesetzt und nicht ernst genommen“, sagt Drews. „Was Sie beschließen, das wird von manchen Schulämtern unterbunden“, beklagt sich die Gewerkschafterin gegenüber dem Grünen-Politiker Nentwich als Repräsentanten der grünschwarzen Landesregierung.
Auch Fulst-Blei ist überzeugt, dass etwas passieren muss im Land. „Was mich extrem ärgert, ist, dass Winfried Kretschmann oft sagt, es liegt am Fachkräftemangel“,
sagt der SPD-Politiker. Das sei an sich zwar richtig, aber unter Kretschmann habe die Landesregierung 2017 noch Lehrerstellen abgebaut. Da denke man einfach immer zu kurzfristig, findet Fulst-Blei. Außerdem ist er überzeugt, dass Schulleitungen in die Lage versetzt werden müssen, unternehmerischer zu agieren. Dazu gehöre es auch, den Schulleitungen bei der Einstellung von Personal mehr Freiheiten zu geben, gerade was Querund Direkteinstiege in den Beruf angehe sowie die Entfristung von angestellten Lehrern ohne Verbeamtung.
Ralf Nentwich stimmt zu, dass man die Entscheidungsbefugnis von Schulleitungen stärken müsse. Allerdings verteidigt er die Bildungspolitik der Landesregierung. So habe man in den vergangenen Jahren die Zahl der Studienplätze für das Lehramt an den Pädagogischen Hochschulen und Universitäten erhöht und den Quer- und Direkteinstieg für Seiteneinsteiger vereinfacht. Dass
dies in der Praxis manchmal nicht klappe, sei kein politisches Problem, sondern ein bürokratisches. „Da sind wir leider typisch Deutsch“, sagt der GrünenPolitiker. In seinem Wahlkreis Backnang hatte er selbst vor Kurzem einen schwierigen Fall. Da wollte ein Tierarzt als Berufsschullehrer einsteigen – und durfte es zuerst nicht, weil Veterinärmediziner nicht auf der Liste für den Direkteinstieg standen. Letztlich sei die Geschichte aber gut ausgegangen, so Nentwich.
Um Lehrkräfte zu unterstützen und so die Unterrichtsversorgung zu verbessern, ist es aus Sicht des Grünen-Politikers auch essenziell, sie bei Aufgaben zu entlasten, die nicht den Unterricht betreffen. So werde die IT an Schulen häufig von Lehrkräften selbstverwaltet, so Nentwich. Davon müsse man wegkommen und stattdessen eigene IT-Abteilungen aufbauen.
Auch die aktuelle Forderung nach einer Arbeitszeiterfassung von Lehrkräften unterstützt Nentwich. Eine saubere Zeiterfassung anstelle der Deputate bilde die Arbeitsbelastung realistisch ab. Das sieht auch Gewerkschafterin Heidi Drews so: „Das würde den Lehrerinnen und Lehrern entgegenkommen.“
„Was mich extrem ärgert, ist, dass Winfried Kretschmann oft sagt, es liegt am Fachkräftemangel.“Stefan Fulst-Blei