Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Gruppentherapie in Biberach
Eine Runde mit Ministerpräsident und Innenminister arbeitet den Aschermittwoch auf
- Der Krawall in Biberach hat bundesweit die Schlagzeilen bestimmt. Ein unangemeldeter Protest vor der Stadthalle war eskaliert, die Grünen sagten ihre Traditionsveranstaltung zum Aschermittwoch darauf hin ab. „Das ist nicht Biberach, das ist nicht Oberschwaben“, hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann jüngst im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“betont. Um das deutlich zu machen, ist er am Freitag mit seinem Vize und Innenminister Thomas Strobl (CDU) an den Ort des Geschehens gekommen – eigentlich zu einer Diskussion zur politischen Streitkultur und deren Grenzen. „Es soll heute in eher kleinen Dosen um den pathologischen Blick nach hinten gehen“, sagt Oberbürgermeister Norbert Zeidler noch zu Beginn des Abends, zu dem er gemeinsam mit Landrat Mario Glaser (beide parteilos) in die Gigelberghalle eingeladen hat. Tatsächlich folgt dann eine zweistündige Gruppentherapie zur Verarbeitung dessen, was am 14. Februar in der Stadt passiert war.
Wirtschaftszentrum, Filmfestspiele, Schützenfest: Das sind Markenzeichen, mit denen sich Biberach gerne schmückt. Auch mit dem politischen Aschermittwoch, zu dem sich die Landesgrünen seit 1996 hier versammeln, betont Oberbürgermeister Norbert Zeidler (parteilos). Zumindest bis zu der Veranstaltung vor einem guten Monat. „Seitdem steht der Name unserer Stadt sinnbildlich für ein neues Niveau undemokratischer Unkultur.“
Landwirte hatten zwei Protestaktionen für diesen Tag angemeldet – eine Sternfahrt nach Biberach sowie eine Kundgebung auf dem Gigelberg. Letztere sei auch nicht gerade nett gewesen, sagt Kretschmann, aber zivilisiert. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) sprach dort, stellte sich der Debatte. Diese Form von Streit sei erfolgreich gewesen, die Bauern seien mit ihren Anliegen bei der Politik durchgedrungen. Zwar haben Bund und Länder knapp 200 einzelne Maßnahmen zur bürokratischen Entlastung der Landwirte identifiziert, im Bundesrat beschworen die Länder am Freitag ihren Willen hierzu. Konkrete Beschlüsse, etwa auch zu steuerlichen Entlastungen der Landwirte, gibt es aber noch nicht.
Und dann war da noch ein dritter Protest. Einer vor der Stadthalle, der nicht angemeldet war. „Da waren Leute unterwegs, denen ging es nicht um die Zukunftschancen der Bauern“, sagt Kretschmann. „Die wollten nicht etwas zum Besseren bewegen. Denen ging es ausschließlich darum, die Wut rauszulassen und die Wut anderer anzustacheln, Emotionen hochzukochen und andere zum Schweigen zu bringen.“Und zwar mit Erfolg. Die Grünen sagten ihre Traditionsveranstaltung ab.
Für Gemurmel und Raunen sorgt der Ulmer Polizeipräsident Bernhard Weber, als er sagt: Aus Sicht der Polizei hätte die Veranstaltung in der Halle stattfinden können. „Wenn dann kolportiert wird, die Polizei sei nicht in der Lage gewesen, die Sicherheit zu gewährleisten, dann stimmt das nicht“, sagt er. Anja Reinalter, Biberacher Bundestagsabgeordnete der Grünen, kritisiert Webers Darstellung der Lage vor der Stadthalle. „Er tut so, als ob alles gut war“, sagt sie. „Aber woher kommen dann die ganzen Anzeigen?“Viele
Fragen hatte es zum Polizeieinsatz gegeben – dazu, ob die Lage vorab falsch eingeschätzt worden sei, zu spät und zu wenige Beamte nachgeordert wurden, warum die Halle nicht abgesperrt worden sei. „Wir hatten keinerlei Hinweise, dass es zu Gewaltaktionen kommen könnte“, erklärt Weber.
Die Konsequenzen des Aschermittwochs in Biberach haben die 370 Gäste des Abends auf ihrem Weg in die Gigelberghalle erlebt. Hunderte Polizisten sind bereits den Tag über in der Stadt unterwegs, haben die Halle weiträumig abgesperrt, der Zugang ist streng kontrolliert, ein Polizeihubschrauber kreist. Ministerpräsident Kretschmann schmeckt diese Polizeipräsenz ganz und gar nicht. Für den Polizeieinsatz jüngst bei seiner Fastenpredigt auf dem Berg Bussen „musste ich mich ein bisschen entschuldigen“, hatte er der „Schwäbischen Zeitung“gesagt. Laut „Bild“-Zeitung hat allein dieser 331.000 Euro gekostet. „Leider müssen wir das derzeit bei Veranstaltungen dieser Art machen“, erklärt Innenminister Strobl.
Die juristische Aufarbeitung des Protests läuft. 108 strafrechtliche Ermittlungsverfahren seien eingeleitet, 47 namentlich bekannte Tatverdächtige ermittelt und 48 Straftaten identifiziert – die Zahlen nennt Strobl als aktuelle Zwischenbilanz. Es geht um Widerstand gegen und Angriffe auf Vollstreckungsbeamte, um schweren Landfriedensbruch, um Aufforderung zur Begehung einer Straftat. „Natürlich werden sich die Zahlen weiter entwickeln, da sind wir in der Ermittlungsarbeit.“Mit ihren Ermittlungen kämpften Polizei und Staatsanwaltschaft auch gegen Verschwörungserzählungen, sagt Strobl. Etwa
gegen die, dass die Polizei die Scheibe eines Autos aus dem Konvoi von Minister Özdemir selbst eingeschlagen habe. Der Tatverdächtige, der die Autoscheibe mit einem Meterstab eingeworfen haben soll, habe inzwischen Besuch von der Polizei bekommen, sagt Strobl. Es handelt sich laut früheren Angaben der Polizei um einen 43-Jährigen aus dem Kreis Sigmaringen. Im Auto selbst seien drei Polizisten gesessen, erläutert Polizeipräsident Weber. Der Meterstab sei auf dem Rücksitz neben einem Kollegen vom Ulmer Polizeipräsidium gelandet.
Vorab konnten Fragen zur Veranstaltung eingesendet werden, die Gerd Mägerle, Redaktionsleiter der „Schwäbischen Zeitung“in Biberach, in die Diskussion einbringt. 1000 Menschen verfolgen den Abend per Livestream, die 370 Gäste in der voll besetzten Gigelberghalle können ihre Fragen direkt stellen. Unter ihnen: Michael von Lüttwitz. Er erklärt, er sei in der ersten Reihe neben dem beschädigten Fahrzeug gestanden. Die Polizei habe die Situation eskalieren lassen, sagt er. Sie habe ohne Vorwarnung Schlagstöcke und Pfefferspray eingesetzt. Das werde dank des sehr großen Fundus an Videomaterial aufgearbeitet, beteuert Strobl – genauso wie die Mär, die Polizei habe die Scheibe des Fahrzeugs selbst eingeschlagen.
An diesem Abend habe sich Biberach wieder als „würdiger Gastgeber“beweisen können, sagt Landrat Glaser. Kretschmann betont: „Gewaltsame Auseinandersetzungen stehen nicht für den Geist, die Werte und die Geschichte von Stadt und Region.“Der Aschermittwoch hier sei also ein Ausreißer gewesen, sagte auch Strobl.