Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Diese Frauen helfen Prostituierten in Ulm
Sozialpädagoginnen berichten von ihrer Arbeit bei der Beratungsstelle „Ela“
- Rund 25.000 Menschen sind in Deutschland offiziell im Sexgewerbe aktiv. Eine Dunkelziffer lässt auf bis zu vier Mal so viele schließen. In Ulm sind - zumindest nach offiziellen Angaben aktuell genau 218 Prostituierte gemeldet. Für sie gibt es in der Stadt seit 2017 eine eigene Beratungsstelle - „Emanzipiert leben und arbeiten“, kurz: „Ela“.
Die Sozialpädagoginnen Tanja Wöhrle und Maren Kuwertz haben „Ela“vor sieben Jahren aufgebaut und mittlerweile in Ulm etabliert. Einst unter dem Dach der Aids-Hilfe gestartet, ist das Angebot seit anderthalb Jahren bei der Diakonie angesiedelt. Regelmäßig sind die beiden Frauen in den Bordellen und Lauf häusern der Stadt unterwegs, um sich dort bekannt zu machen, Kontakte zu den Prostituierten herzustellen und Vertrauen aufzubauen. Die Beratung ist kostenlos und erfolgt auf Wunsch auch anonym. „Das Wichtigste ist für uns erst einmal immer, dass wir uns mit den Frauen auf Augenhöhe unterhalten wollen“, erklärt Wöhrle. Denn nach wie vor würden Prostituierte in der Gesellschaft häufig herabwürdigend behandelt und diskriminiert. „Sexarbeit ist ein hochtabuisiertes Feld“, ergänzt Kuwertz. „Das bekommen die Frauen täglich zu spüren.“
Nach offiziellen Angaben gibt es in Ulm aktuell 15 Prostitutionsstätten, darunter zwei Studios für erotische Massagen und Tantra. Die meisten Einrichtungen sind in der Blaubeurer Straße zu finden, ein größeres Etablissement steht zudem im Donautal. Es sei oft schwierig, einen Zugang zu den Prostituierten zu finden, erzählt Kuwertz. Zum einen sei da die Sprachbarriere, weshalb die Sozialpädagoginnen stets einen Flyer hinterlassen, den es inzwischen in acht Sprachen zu lesen gibt.
Rumänien, Bulgarien oder Ungarn: Der Großteil der Frauen, die in den Ulmer Bordellen und Laufhäusern ihrer Arbeit nachgehen, stamme aus Osteuropa. Zunehmend verzeichnen Tanja Wöhrle und Maren Kuwertz aber auch
Frauen aus Südamerika. Bei den Wenigsten handle es sich um Deutsche. In seltenen Fällen würden sexuelle Dienstleistungen in der Stadt auch von Männern und Transpersonen angeboten, die vor allem aus Asien stammen. Den Großteil machen aber laut „Ela“auch in Ulm Frauen aus.
Nicht selten stoßen Tanja Wöhrle und Maren Kuwertz bei ihren Bordellbesuchen auf Zurückhaltung oder Scham. „In Rumänien ist Prostitution zum Beispiel immer noch verboten“, erklärt Erstgenannte. „Die Frauen haben dann das Gefühl, sie machen etwas Verbotenes.“Und auch die hohe Fluktuation in der Branche, was den Arbeitsort betrifft, erschwert die Arbeit der beiden Beraterinnen. „Es geht immer um Angebot und Nachfrage. Oft arbeiten die Frauen nur für wenige Wochen in Ulm und wechseln dann die Stadt.“
Aus diesem Grund sei es auch kaum möglich, verlässliche Zahlen für Sexarbeit in Ulm abzuleiten. „Die Frauen sind häufig zur selben Zeit im gesamten Bundesgebiet gemeldet“, weiß Kuwertz. Ähnliches teilt eine Stadtsprecherin
auf Nachfrage mit: Zwar seien in Ulm bis dato für 218 Personen Anmeldebescheinigungen ausgestellt worden (Stand: 13. März 2024), was jedoch nicht bedeute, dass sich diese Personen derzeit auch alle in Ulm aufhalten würden. Tanja Wöhrle und Maren Kuwertz schätzen, dass Prostitution in Ulm zudem auch verdeckt ablaufe, meist in Wohnungen oder Hotels.
Beratungsstellen wie „Ela“findet man heutzutage in fast jeder größeren Stadt. Vor sieben Jahren, als Wöhrle und Kuwertz das Angebot in Ulm initiierten, sah das noch anders aus. „Da waren wir wirklich eine der ersten“, erinnert sich Tanja Wöhrle. Um heute so viele Frauen wie möglich mit ihrer kostenlosen Beratung zu erreichen, findet die aufsuchende Arbeit von Wöhrle und Kuwertz immer häufiger auch im Internet statt. „Digitales Streetwork“nennen die Frauen das. „Wir schauen uns die einschlägigen Seiten an und schreiben Frauen direkt an, die Ulm als ihren Standort angegeben haben.“Häufig sei die Hemmschwelle für eine Kontaktaufnahme auf diese Weise viel niedriger.
Ein Schwerpunkt der Arbeit bei „Ela“ist die Unterstützung der Frauen bei der medizinischen Versorgung, denn die meisten Prostituierten sind nicht krankenversichert. „Der Besuch beim Frauenarzt stellt für sie eine große Hürde dar“, so Wöhrle. „Ela“kooperiert deshalb mit ehrenamtlichen Gynäkologen in der Stadt und begleitet die Frauen bei Bedarf auch dorthin. Das Gleiche gilt für Behördengänge, denn wer in Deutschland der Prostitution nachgehen will, benötigt eine Arbeitserlaubnis und dafür jährlich eine Bescheinigung vom Gesundheitsamt. Und auch bei finanziellen Fragen stehen die Frauen von „Ela“den Prostituierten zur Seite. Die Gründe für den Einstieg in die Branche seien zwar vielfältig, hätten aber häufig mit familiärem Druck in Verbindung mit finanzieller Not zu tun.
Viele Frauen träumen vom Ausstieg aus der Prostitution, auch in Ulm. Auf Wunsch wollen Wöhrle und Kuwertz sie dabei unterstützen. Denn: „Dieser Weg ist langwierig und prozesshaft“, weiß Tanja Wöhrle. „Man darf sich das nicht so vorstellen, dass eine Frau bei uns klingelt und sagt: Ich möchte aussteigen. Und zwei Wochen später hat sie einen neuen Job und eine Wohnung gefunden.“Neben der finanziellen Unsicherheit würden die Frauen bei der Suche nach Arbeit und Unterkunft häufig auf Diskriminierung stoßen. „In der Regel muss ich da meinen Lebenslauf vorzeigen oder mein Einkommen vorweisen“, erklärt Kuwertz. „Was schreibe ich denn da rein, wenn ich die letzten Jahre als Prostituierte gearbeitet habe?“Es gebe viele Aspekte, die es den Frauen schwierig machen, in der Gesellschaft Fuß zu fassen.
Das Ziel der Beratungsstelle „Ela“ist es letztlich nicht, möglichst viele Frauen aus der Prostitution zu holen. „Wir möchten den Frauen ihre Optionen aufzeigen und ganz individuell nach ihren Bedürfnissen schauen“, sagt Maren Kuwertz. Tanja Wöhrle ergänzt: „Es geht darum, die Selbstbestimmung der Frau zu wahren oder in kleinen Schritten aufzubauen.“
„Es geht immer um Angebot und Nachfrage. Oft arbeiten die Frauen nur für wenige Wochen in Ulm und wechseln dann die Stadt.“Tanja Wöhrle, Beratungsstelle „Ela“