Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Kleinbauern fürchten Groß-Kuhstall
Bei Pfullendorf sollen 1000 Tiere in einem Gebäude gehalten werden – Streit bei Versammlung
RAVENSBURG - Ein Großstall für 1000 Kühe – das plant eine Gemeinschaft von vier Landwirten in dem Dorf Ostrach-Hahnennest bei Pfullendorf im Landkreis Sigmaringen. Würde das Gebäude errichtet, wäre es der größte Milchviehstall in ganz Baden-Württemberg. Doch gegen die Pläne regt sich Widerstand.
Zu einer Informationsveranstaltung in Pfullendorf kamen rund 400 Bürger, zumeist Landwirte, die durch das Großprojekt steigende Pachtpreise und einen Verdrängungswettbewerb fürchten.
Die Grünen-Europaabgeordnete Maria Heubuch kritisierte die Pläne. „Mit dem Bau von Mega-Ställen verändern wir die Struktur unserer Landwirtschaft tiefgreifend und verbauen uns so die Zukunft“, sagte die Agrarpolitikerin aus Leutkirch, die selbst Milchbäuerin ist. Durch den Futterbedarf solcher überdimensionierten Projekte entstehe ein enormer Druck auf das verfügbare Land und die Pachtpreise.
Die Landesbeauftragte für den Tierschutz, Cornelie Jäger, betonte im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, dass es aus Sicht des Tierschutzes keine grundsätzlichen Einwände gegen Großställe gebe. Sie habe mit solchen Betrieben bereits gute Erfahrungen gemacht, sagte Jäger.
Befürchtungen von Landwirten um die kleinteilige Struktur der Landwirtschaft im Südwesten wies der Badische Landwirtschaftliche Hauptverband (BLHV), eine der beiden Landesvertretungen des Bauernverbands in Baden-Württemberg, zurück. „Den Trend, dass sich landwirtschaftliche Höfe vergrößern, gibt es schon seit der Mechanisie- rung in der Landwirtschaft“, sagte ein Sprecher des Verbands.
Die vier Landwirte in Ostrach erhoffen sich Synergie-Effekte zwischen dem neuen Großstall und einer Biogasanlage, die sie bereits in dem Ort betreiben. So wäre etwa die anfallende Gülle aus dem Stall in der Biogasanlage nutzbar. Die Planungen für das Projekt stehen derzeit allerdings noch ganz am Anfang. Der Ostracher Gemeinderat hat zuletzt den Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan verabschiedet. Stehen soll der neue Großstall bis zum Jahr 2017
- Hahnennest ist so, wie man sich einen Ort mit diesem Namen vorstellt. Eine Handvoll verputzter Häuser, die wie hingewürfelt in einer kleinen Senke liegen. Dazu eine Miniaturkapelle, weil gerade auf dem Land nichts geht ohne das Vertrauen in Gott, der hier über 43 Bewohner wacht. Was Ostrach-Hahnennest im Kreis Sigmaringen von umliegenden Dörfern wie Mühlebach und Taubenried unterscheidet, sind vier überdimensionale Kuppeln auf einer Anhöhe sowie ein verwegener Plan. Die Kuppeln gehören zu einer gigantischen Biogasanlage, einem Gemeinschaftsprojekt von vier Bauern im Ort. Der verwegene Plan: Zu dem „Energiepark Hahnennest“wünscht sich das Dorf nun auch einen „Milchpark Hahnennest“. Mit 1000 Kühen. Es wäre der bislang größte Kuhstall in Baden-Württemberg. Und ein Paradigmenwechsel in der Milchviehhaltung des Landes. Verbunden mit möglicherweise tiefgreifenden Veränderungen der ländlichen Struktur.
Optimismus in Hahnennest
Von dieser Fallhöhe ist am Dienstagmorgen, 24. Februar, in einem Büro des Energieparks nur wenig zu spüren. Das soll sich am Abend bei einer Bürgerversammlung ändern, doch dazu später. Im Büro servieren die Hahnennest-Bauern den Medienvertretern Butterbrezeln und Kaffee, sie strahlen Optimismus pur aus. „Wir machen keine Agrarindustrie, wir sind Familienbetriebe“, sagt Landwirt Georg Rauch mit kräftiger Stimme, er erinnert vom Körpervolumen her und mit Baskenmütze an Gérard Depardieu beziehungsweise an einen prominenten Gallier aus „Asterix und Obelix“. Nur muss sich das Hahnennest nicht wie das gallische Dorf einer Übermacht von außen stellen, sondern das Dorf selber wirkt übermächtig gegenüber seinem Umfeld. Die Ausnahmestellung begann 2002 mit Inbetriebnahme der Biogasanlage, die Strom und Wärme ins Netz speist, dazu braucht es täglich 100 Tonnen Gülle sowie 90 Tonnen Mais, Mist oder Silage. Und es braucht Fläche, nicht zu knapp. 1180 Hektar bewirtschaften die vier Landwirte, zwei Drittel sind gepachtet. Ein schlichtes Zahlenwerk im Vergleich zu dem, was noch kommen soll.
Auf 10 000 Quadratmeter soll ein Stall für 1000 Kühe entstehen – Dimensionen, die man bisher nur von Ostdeutschland und Niedersachsen kannte. Gülle und Dung des Viehs sollen künftig die Hälfte des Substratbedarfs der Biogasanlage decken. Außerdem plant man mit mindestens 24 Tonnen Milch, täglich. Egal also, ob die Kühe Milch oder Mist produzieren, es soll Gewinne sprudeln, wobei der Strompreis als deutlich stabiler gilt. Angesichts dieser Aussichten herrscht Euphorie unter der Bauerngemeinschaft, die zwar um ihre Kritiker weiß, sich bei dem Projekt aber auf der sicheren Seite wähnt. Stichwort Massentierhaltung: „Bei Milchvieh gibt es keine Massentierhaltung“, sagt Landwirt Edwin König, weil diese Tiere sich in der Herde am wohlsten fühlten. Stichwort Grundwasserverschmutzung durch Gülle: „Überschüssige Gülle wird aufgefangen, aufbereitet und an andere Landwirte veräußert“, antwortet Simon Rauch. Stichwort Strukturwandel: „Wir sind alles Familienbetriebe in der zigsten Gene- ration. Durch das Wachstum machen wir die Höfe auch für unsere Kinder attraktiv. Strukturwandel ist immer eine Nachfolgefrage.“Stichwort Tierschutz: Herdentrieb hin oder her, ist eine unter 1000 noch eine glückliche Kuh? „Unser Stallkonzept kommt dem Tierwohl 1:1 zugute“, sagt Edwin König.
Allein der Gedanke an eine Halle mit 1000 Tieren löst beim Normalbürger Schauder aus, er denkt an Massenhaltung von Hühnern und Puten, eben an Tierquälerei. Auf Kühe lassen sich diese Vorstellungen allerdings nicht übertragen, sagt Cornelie Jäger, Landesbeauftragte für Tierschutz: „Ich habe mit großen Kuhställen schon gute Erfahrungen gemacht.“
Durch die Automatisierung sei die Betreuungsintensität der Tiere oft höher, jede Kuh habe eine Liegefläche, Licht und Luft seien gut – ein solch hochmoderner Freilaufstall soll auch in Hahnennest entstehen. Cornelie Jäger spricht aber auch von einem zweiten Aspekt: „Ein Großstall kann sich strukturell auf die Region auswirken.“Sprich: Es könne zu Preisverschiebungen kommen. Bei der Milch, vor allem aber bei der Pacht. In der Folge droht ein Verdrängungswettbewerb. Und damit doch ein Strukturwandel.
Dienstagabend, Pfullendorf, Haus Linzgau, der BUND und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) haben eingeladen zu der Veranstaltung „1000 Kühe – kann industrielle Landwirtschaft unsere Lebensgrundlage sichern und erhalten?“. Der Saal ist mit rund 400 Besuchern bis auf den letzten Stehplatz gefüllt, zumeist Leute vom Fach, deren Gesichtsfältchen von langen Arbeitstagen unter freiem Himmel zeugen. Die genau die oben geschilderte Entwicklung fürchten. „Mir tut es weh, wenn ein Hof aufgibt“, sagt ein Landwirt ins Mikro. „Und so ein großer Betrieb macht mir Angst.“Ottmar Ilchmann von der AbL-Niedersachsen, der auf dem Podium referiert, kann ihm diese Angst nicht nehmen. „In Baden-Württemberg ist die landwirtschaftliche Struktur noch in Takt“, sagt Ilchmann, der im Schnitt von 40 Milchkühen pro Betrieb ausgeht. Das Wachstum begrenzt habe bisher die Milchquote – die bald aber wegfällt. „Deshalb gibt es in ganz Deutschland eine Entwicklung zur Größe“, sagt Ilchmann. Dabei setzen die Großbetriebe einerseits auf Milchexport, andererseits auf die Befüllung ihrer Biogasanlagen. „Die Milch könnte so zum Abfallprodukt der Gülle werden. Aber so weit ist es noch nicht“, sagt Ilchmann.
Realität ist hingegen schon jetzt, dass seit Jahren die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe in BadenWürttemberg abnimmt. Gleichzeitig steigen die Pachtpreise deutlich an. Megabetriebe, so Beobachter, würden den Flächen- und Preisdruck in
Cornelie Jäger, Landesbeauftragte für Tierschutz Baden-Württemberg weiter erhöhen. Hahnennest könnte der Anfang dieser Entwicklung sein.
Maria Heubuch, Milchbäuerin und für die Grünen im Europäischen Parlament, fürchtet in einer Mitteilung zu den Ostracher Plänen die Konsequenzen: „Für kleinere Betriebe wird es immer schwieriger, neben solchen Riesen zu bestehen.“
„Ich habe mit großen Kuhställen schon gute Erfahrungen gemacht.“ „Für kleinere Betriebe
wird es immer schwieriger, neben solchen Riesen zu
bestehen.“
Maria Heubuch, Europaabgeordnete
für die Grünen
Aber wie soll die Zukunft aussehen, wenn Wachstum in der Landwirtschaft nicht gewollt ist? Die AbL schreibt dazu in einem Positionspapier: „Wir wollen Bauernhöfe statt Agrarfabriken. Mehr Bäuerinnen und Bauern, mehr Gärtnerinnen und Gärtner sowie mehr Imkerinnen und Imker.“Also mehr Qualität statt Quantität, mehr Vielfalt statt Konzentration. Das klingt nachvollziehbar, aber auch ein wenig romantisch, ein wenig nach Bullerbü. Und ganz anders, als jene Aussagen der Landwirte aus Hahnennest, die sich auch als Unternehmer sehen und auf Gewinnmaximierung setzen, wer wolle es ihnen in heutigen Zeiten verdenken. Diese Gegensätze zeugen von einer schwierigen Gemengelage. Von einer Politik, die über Förderungen den Strukturwandel unterstützt. Einer Gegenbewegung, die das Rad sehr weit zurückdrehen will. Und einem Verbraucher, der glückliche Kühe auf der Wiese sehen will, aber Milch und Fleisch in großen Mengen und für einen bezahlbaren Preis fordert. Sie zeugen von einer Welt, die sich nicht so leicht in gut und böse einteilen lässt.
So oder so, die Landwirte aus Hahnennest, sie waren bei der Bürgerversammlung anwesend, werden an ihrem Projekt festhalten. Der Gemeinderat Ostrach hat bereits einen Aufstellungsbeschluss für den Milchpark gebilligt, auch das Landratsamt Sigmaringen signalisiert Zustimmung. Gleichzeitig nimmt der Widerstand zu, rund 600 Unterschriften hat eine Gegeninitiative schon gesammelt und die Öffentlichkeit ist wachgerüttelt. Hält dieser Trend an, dürfte sich Hahnennest doch bald fühlen; wie jenes gallische Dorf, das sich gegen eine Übermacht wehren muss.