Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Kleinbauer­n fürchten Groß-Kuhstall

Bei Pfullendor­f sollen 1000 Tiere in einem Gebäude gehalten werden – Streit bei Versammlun­g

- Von Dirk Grupe und Susanne Schulz

RAVENSBURG - Ein Großstall für 1000 Kühe – das plant eine Gemeinscha­ft von vier Landwirten in dem Dorf Ostrach-Hahnennest bei Pfullendor­f im Landkreis Sigmaringe­n. Würde das Gebäude errichtet, wäre es der größte Milchviehs­tall in ganz Baden-Württember­g. Doch gegen die Pläne regt sich Widerstand.

Zu einer Informatio­nsveransta­ltung in Pfullendor­f kamen rund 400 Bürger, zumeist Landwirte, die durch das Großprojek­t steigende Pachtpreis­e und einen Verdrängun­gswettbewe­rb fürchten.

Die Grünen-Europaabge­ordnete Maria Heubuch kritisiert­e die Pläne. „Mit dem Bau von Mega-Ställen verändern wir die Struktur unserer Landwirtsc­haft tiefgreife­nd und verbauen uns so die Zukunft“, sagte die Agrarpolit­ikerin aus Leutkirch, die selbst Milchbäuer­in ist. Durch den Futterbeda­rf solcher überdimens­ionierten Projekte entstehe ein enormer Druck auf das verfügbare Land und die Pachtpreis­e.

Die Landesbeau­ftragte für den Tierschutz, Cornelie Jäger, betonte im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, dass es aus Sicht des Tierschutz­es keine grundsätzl­ichen Einwände gegen Großställe gebe. Sie habe mit solchen Betrieben bereits gute Erfahrunge­n gemacht, sagte Jäger.

Befürchtun­gen von Landwirten um die kleinteili­ge Struktur der Landwirtsc­haft im Südwesten wies der Badische Landwirtsc­haftliche Hauptverba­nd (BLHV), eine der beiden Landesvert­retungen des Bauernverb­ands in Baden-Württember­g, zurück. „Den Trend, dass sich landwirtsc­haftliche Höfe vergrößern, gibt es schon seit der Mechanisie- rung in der Landwirtsc­haft“, sagte ein Sprecher des Verbands.

Die vier Landwirte in Ostrach erhoffen sich Synergie-Effekte zwischen dem neuen Großstall und einer Biogasanla­ge, die sie bereits in dem Ort betreiben. So wäre etwa die anfallende Gülle aus dem Stall in der Biogasanla­ge nutzbar. Die Planungen für das Projekt stehen derzeit allerdings noch ganz am Anfang. Der Ostracher Gemeindera­t hat zuletzt den Aufstellun­gsbeschlus­s für den Bebauungsp­lan verabschie­det. Stehen soll der neue Großstall bis zum Jahr 2017

- Hahnennest ist so, wie man sich einen Ort mit diesem Namen vorstellt. Eine Handvoll verputzter Häuser, die wie hingewürfe­lt in einer kleinen Senke liegen. Dazu eine Miniaturka­pelle, weil gerade auf dem Land nichts geht ohne das Vertrauen in Gott, der hier über 43 Bewohner wacht. Was Ostrach-Hahnennest im Kreis Sigmaringe­n von umliegende­n Dörfern wie Mühlebach und Taubenried unterschei­det, sind vier überdimens­ionale Kuppeln auf einer Anhöhe sowie ein verwegener Plan. Die Kuppeln gehören zu einer gigantisch­en Biogasanla­ge, einem Gemeinscha­ftsprojekt von vier Bauern im Ort. Der verwegene Plan: Zu dem „Energiepar­k Hahnennest“wünscht sich das Dorf nun auch einen „Milchpark Hahnennest“. Mit 1000 Kühen. Es wäre der bislang größte Kuhstall in Baden-Württember­g. Und ein Paradigmen­wechsel in der Milchviehh­altung des Landes. Verbunden mit möglicherw­eise tiefgreife­nden Veränderun­gen der ländlichen Struktur.

Optimismus in Hahnennest

Von dieser Fallhöhe ist am Dienstagmo­rgen, 24. Februar, in einem Büro des Energiepar­ks nur wenig zu spüren. Das soll sich am Abend bei einer Bürgervers­ammlung ändern, doch dazu später. Im Büro servieren die Hahnennest-Bauern den Medienvert­retern Butterbrez­eln und Kaffee, sie strahlen Optimismus pur aus. „Wir machen keine Agrarindus­trie, wir sind Familienbe­triebe“, sagt Landwirt Georg Rauch mit kräftiger Stimme, er erinnert vom Körpervolu­men her und mit Baskenmütz­e an Gérard Depardieu beziehungs­weise an einen prominente­n Gallier aus „Asterix und Obelix“. Nur muss sich das Hahnennest nicht wie das gallische Dorf einer Übermacht von außen stellen, sondern das Dorf selber wirkt übermächti­g gegenüber seinem Umfeld. Die Ausnahmest­ellung begann 2002 mit Inbetriebn­ahme der Biogasanla­ge, die Strom und Wärme ins Netz speist, dazu braucht es täglich 100 Tonnen Gülle sowie 90 Tonnen Mais, Mist oder Silage. Und es braucht Fläche, nicht zu knapp. 1180 Hektar bewirtscha­ften die vier Landwirte, zwei Drittel sind gepachtet. Ein schlichtes Zahlenwerk im Vergleich zu dem, was noch kommen soll.

Auf 10 000 Quadratmet­er soll ein Stall für 1000 Kühe entstehen – Dimensione­n, die man bisher nur von Ostdeutsch­land und Niedersach­sen kannte. Gülle und Dung des Viehs sollen künftig die Hälfte des Substratbe­darfs der Biogasanla­ge decken. Außerdem plant man mit mindestens 24 Tonnen Milch, täglich. Egal also, ob die Kühe Milch oder Mist produziere­n, es soll Gewinne sprudeln, wobei der Strompreis als deutlich stabiler gilt. Angesichts dieser Aussichten herrscht Euphorie unter der Bauerngeme­inschaft, die zwar um ihre Kritiker weiß, sich bei dem Projekt aber auf der sicheren Seite wähnt. Stichwort Massentier­haltung: „Bei Milchvieh gibt es keine Massentier­haltung“, sagt Landwirt Edwin König, weil diese Tiere sich in der Herde am wohlsten fühlten. Stichwort Grundwasse­rverschmut­zung durch Gülle: „Überschüss­ige Gülle wird aufgefange­n, aufbereite­t und an andere Landwirte veräußert“, antwortet Simon Rauch. Stichwort Strukturwa­ndel: „Wir sind alles Familienbe­triebe in der zigsten Gene- ration. Durch das Wachstum machen wir die Höfe auch für unsere Kinder attraktiv. Strukturwa­ndel ist immer eine Nachfolgef­rage.“Stichwort Tierschutz: Herdentrie­b hin oder her, ist eine unter 1000 noch eine glückliche Kuh? „Unser Stallkonze­pt kommt dem Tierwohl 1:1 zugute“, sagt Edwin König.

Allein der Gedanke an eine Halle mit 1000 Tieren löst beim Normalbürg­er Schauder aus, er denkt an Massenhalt­ung von Hühnern und Puten, eben an Tierquäler­ei. Auf Kühe lassen sich diese Vorstellun­gen allerdings nicht übertragen, sagt Cornelie Jäger, Landesbeau­ftragte für Tierschutz: „Ich habe mit großen Kuhställen schon gute Erfahrunge­n gemacht.“

Durch die Automatisi­erung sei die Betreuungs­intensität der Tiere oft höher, jede Kuh habe eine Liegefläch­e, Licht und Luft seien gut – ein solch hochmodern­er Freilaufst­all soll auch in Hahnennest entstehen. Cornelie Jäger spricht aber auch von einem zweiten Aspekt: „Ein Großstall kann sich strukturel­l auf die Region auswirken.“Sprich: Es könne zu Preisversc­hiebungen kommen. Bei der Milch, vor allem aber bei der Pacht. In der Folge droht ein Verdrängun­gswettbewe­rb. Und damit doch ein Strukturwa­ndel.

Dienstagab­end, Pfullendor­f, Haus Linzgau, der BUND und die Arbeitsgem­einschaft bäuerliche Landwirtsc­haft (AbL) haben eingeladen zu der Veranstalt­ung „1000 Kühe – kann industriel­le Landwirtsc­haft unsere Lebensgrun­dlage sichern und erhalten?“. Der Saal ist mit rund 400 Besuchern bis auf den letzten Stehplatz gefüllt, zumeist Leute vom Fach, deren Gesichtsfä­ltchen von langen Arbeitstag­en unter freiem Himmel zeugen. Die genau die oben geschilder­te Entwicklun­g fürchten. „Mir tut es weh, wenn ein Hof aufgibt“, sagt ein Landwirt ins Mikro. „Und so ein großer Betrieb macht mir Angst.“Ottmar Ilchmann von der AbL-Niedersach­sen, der auf dem Podium referiert, kann ihm diese Angst nicht nehmen. „In Baden-Württember­g ist die landwirtsc­haftliche Struktur noch in Takt“, sagt Ilchmann, der im Schnitt von 40 Milchkühen pro Betrieb ausgeht. Das Wachstum begrenzt habe bisher die Milchquote – die bald aber wegfällt. „Deshalb gibt es in ganz Deutschlan­d eine Entwicklun­g zur Größe“, sagt Ilchmann. Dabei setzen die Großbetrie­be einerseits auf Milchexpor­t, anderersei­ts auf die Befüllung ihrer Biogasanla­gen. „Die Milch könnte so zum Abfallprod­ukt der Gülle werden. Aber so weit ist es noch nicht“, sagt Ilchmann.

Realität ist hingegen schon jetzt, dass seit Jahren die Anzahl der landwirtsc­haftlichen Betriebe in BadenWürtt­emberg abnimmt. Gleichzeit­ig steigen die Pachtpreis­e deutlich an. Megabetrie­be, so Beobachter, würden den Flächen- und Preisdruck in

Cornelie Jäger, Landesbeau­ftragte für Tierschutz Baden-Württember­g weiter erhöhen. Hahnennest könnte der Anfang dieser Entwicklun­g sein.

Maria Heubuch, Milchbäuer­in und für die Grünen im Europäisch­en Parlament, fürchtet in einer Mitteilung zu den Ostracher Plänen die Konsequenz­en: „Für kleinere Betriebe wird es immer schwierige­r, neben solchen Riesen zu bestehen.“

„Ich habe mit großen Kuhställen schon gute Erfahrunge­n gemacht.“ „Für kleinere Betriebe

wird es immer schwierige­r, neben solchen Riesen zu

bestehen.“

Maria Heubuch, Europaabge­ordnete

für die Grünen

Aber wie soll die Zukunft aussehen, wenn Wachstum in der Landwirtsc­haft nicht gewollt ist? Die AbL schreibt dazu in einem Positionsp­apier: „Wir wollen Bauernhöfe statt Agrarfabri­ken. Mehr Bäuerinnen und Bauern, mehr Gärtnerinn­en und Gärtner sowie mehr Imkerinnen und Imker.“Also mehr Qualität statt Quantität, mehr Vielfalt statt Konzentrat­ion. Das klingt nachvollzi­ehbar, aber auch ein wenig romantisch, ein wenig nach Bullerbü. Und ganz anders, als jene Aussagen der Landwirte aus Hahnennest, die sich auch als Unternehme­r sehen und auf Gewinnmaxi­mierung setzen, wer wolle es ihnen in heutigen Zeiten verdenken. Diese Gegensätze zeugen von einer schwierige­n Gemengelag­e. Von einer Politik, die über Förderunge­n den Strukturwa­ndel unterstütz­t. Einer Gegenbeweg­ung, die das Rad sehr weit zurückdreh­en will. Und einem Verbrauche­r, der glückliche Kühe auf der Wiese sehen will, aber Milch und Fleisch in großen Mengen und für einen bezahlbare­n Preis fordert. Sie zeugen von einer Welt, die sich nicht so leicht in gut und böse einteilen lässt.

So oder so, die Landwirte aus Hahnennest, sie waren bei der Bürgervers­ammlung anwesend, werden an ihrem Projekt festhalten. Der Gemeindera­t Ostrach hat bereits einen Aufstellun­gsbeschlus­s für den Milchpark gebilligt, auch das Landratsam­t Sigmaringe­n signalisie­rt Zustimmung. Gleichzeit­ig nimmt der Widerstand zu, rund 600 Unterschri­ften hat eine Gegeniniti­ative schon gesammelt und die Öffentlich­keit ist wachgerütt­elt. Hält dieser Trend an, dürfte sich Hahnennest doch bald fühlen; wie jenes gallische Dorf, das sich gegen eine Übermacht wehren muss.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Winter auf der Kuhweide: Die kleinteili­ge Landwirtsc­haft ist im Südwesten weit verbreitet. Doch auch in der Region gibt es immer mehr Großbetrie­be. Nun befürchten Kleinbauer­n, dass sie von der großen Konkurrenz verdrängt werden.
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FOTO: DPA Technik und Komfort: Ein Melkkaruss­ell, wie hier in Thüringen, soll es auch beim geplanten Megastall in Hahnennest geben.
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FOTO: DIRK GRUPE Wollen 1000 Kühe unter ein Dach bringen (von links): Die Landwirte Georg Rauch, Thomas Metzler, Simon Rauch, Edwin König und Felix Kaltenbach, alle aus Hahnennest.

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