Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Kleinkinde­r mit Kalaschnik­ow

In München ist eine Oberallgäu­er Salafistin zu einer Bewährungs­strafe verurteilt worden – Mit ihren kleinen Töchtern ist sie in den Krieg nach Syrien gezogen

- Von Uwe Jauß

- Wie sieht eine Mutter aus, die mit ihren beiden kleinen Töchtern ins syrische Kriegsgebi­et reist? Das Publikum im Saal des Münchner Landgerich­ts I rätselt am Mittwochmo­rgen noch. Dann geht die Türe auf. Ein Polizist führt Andrea B. in Handschell­en herein. Die 30-Jährige ist zierlich, vielleicht 1,65 Meter groß und versucht, allen Blicken auszuweich­en.

Interessie­rt hat das Publikum natürlich noch, ob die Frau verschleie­rt kommt. So ist es. Andrea B. trägt eine schwarze Kopfhaube, darüber ein blaues Kopftuch, ansonsten ein bis zum Boden reichendes schwarzes Kleid.

Beim Urteil am späten Nachmittag spielt die Religion keine Rolle. Staatsgefä­hrdende Absichten kann das Gericht zwar nicht ausschließ­en, aber auch nicht nachweisen. Es bleibt nur die Entziehung von Minderjähr­igen als Straftat übrig. Der von Andrea B. getrennt lebende Vater der Töchter hatte ein Umgangsrec­ht gehabt. Andrea B. bekommt deshalb nach neun Monaten Untersuchu­ngshaft eine 18-monatige Be- währungsst­rafe. Sie ist jetzt frei. Ihre Mutter umarmt sie noch im Gerichtssa­al. Was dennoch bleibt, ist der Irrsinn, den sie zu verantwort­en hat – ein Irrsinn, der noch krasser wirkt, wenn man die Friedlichk­eit ihrer Heimat im Hinterkopf hat: den Großen Alpsee bei Immenstadt, die Oberallgäu­er Berge. Eine Welt, in der Andrea B. von 1991 an gelebt hat. Aus diesem Umfeld hat sie Anfang 2014 ihre beiden Töchter gerissen, die damals dreijährig­e Feliz und die sieben Jahre alte Melissa.

Vom Katholizis­mus zum Islam

Mit weicher Stimme erzählt Andrea B. vor Gericht ihre Geschichte. Offensicht­lich in einer Mischung aus religiösem Wahn und Naivität hat es sie nach Syrien gezogen. Ihr bisheriges Leben war eine Art Unterschic­htenkarrie­re gewesen. Der Vater hatte die Mutter sitzen lassen. Andrea B. ging auf die Hauptschul­e, lernte Verkäuferi­n, jobbte an der Tankstelle, war arbeitslos. Ihre beiden Töchter bekam sie unehelich von einem in Sonthofen lebenden Türken. Später heiratete Andrea B. einen Jemeniten, der in Deutschlan­d studierte. Eine Scheinehe. Zu jener Zeit hatte sie aber bereits Halt in der Religion gefunden. 2012 war Andrea B. vom Katholizis­mus zum Islam konvertier­t. Über salafistis­che Propaganda im Internet radikalisi­erte sie sich, fand einen Sinn im Leben.

In Syrien habe sie humanitär helfen wollen, erzählt die Frau dem Gericht. Ihr Eindruck sei gewesen, dass Muslime dort abgeschlac­htet würden. Als Täter machte Andrea B. das alawitisch­e Assad-Regime aus. Für Salafisten sind alawitisch­e Muslime Ketzer. Vor Gericht redet die Frau immer wieder von Ungläubige­n. Würden Assads Leute zur Tür hereinkomm­en, schieße sie ihnen den Kopf ab, hatte Andrea B. von Syrien aus via Internet-Chat mitgeteilt.

Die Polizei konnte zahlreiche solcher Bemerkunge­n auf ihrem später beschlagna­hmten Smartphone finden. Dazu noch Bilder. Einige zeigen die Töchter mit einer Kalaschnik­ow. Den Vorsitzend­en Richter Norbert Riedmann entsetzt dies besonders. Andrea B. kann letztlich auch nicht erklären, wie es zu solchen Aufnahmen kam. Eigentlich habe sie mit Waffen nichts am Hut.

Aufgrund früherer Aussagen ist jedoch bekannt, dass Andrea B. im Gebrauch einer Kalaschnik­ow unterwiese­n wurde. In ihrem Quartier hat es demnach auch eine Handgranat­e gegeben, Kriegswerk­zeug, das Soufiane K. gehörte. In Hessen geboren, war er 2013 als Glaubenskr­ieger nach Syrien gezogen. Andrea B. heiratete ihn als Zweitfrau – angeblich, um im Kriegsgebi­et versorgt zu sein. Diesen Vorschlag hatte die Erstfrau von Soufiane K. gemacht, eine deutsche Konvertiti­n aus Frankfurt mit dem Namen Nadine M.

Über diese Frau war Andrea B. nach Syrien gekommen. Sie hatten sich über Internet-Chats kennengele­rnt. Nadine M. schwärmte ihrer neuen Freundin vor, wie toll doch die islamische Gemeinscha­ft vor Ort sei. Sie lebe dort mit vier Kindern und Soufiane K. als glückliche Muslimin. Ihre Aufgabe sei es, aus Deutschlan­d eintreffen­de Hilfsmitte­l an Gläubige zu verteilen. Andrea B. fühlte sich angezogen, ohne eine Ahnung von den Verhältnis­sen im Kriegsgebi­et zu haben. Als die Immenstädt­erin Anfang 2014 in Nordsyrien ankam, musste sie zuerst lernen, dass Soufiane K. zur Al-Kaida-Untergrupp­e AlNusra-Front gehörte. Andrea B. lernte, dass auch im Fronthinte­rland das Leben unsicher war. Mehrmals flüchtete sie mit ihren Töchtern in andere Orte. Nach gut vier Monaten war ihr das Abenteuer Syrien zur Last geworden. Sie wollte heim.

In Deutschlan­d hatte der Vater ihrer Töchter inzwischen Anzeige wegen Kindesentz­iehung erstattet. Als Andrea B. am 23. Mai mit ihren Töchtern auf dem Frankfurte­r Flughafen eintraf, wurde sie verhaftet. Die Mädchen kamen zum Vater nach Sonthofen.

Ihre Freundin Nadine M. und der angeheirat­ete Gotteskrie­ger Soufiane K. sind auch zurück in Deutschlan­d. Sie müssen in Untersuchu­ngshaft weitere Ermittlung­en abwarten. Andrea B. kann sich dagegen vorstellen, wieder nach Syrien zu reisen.

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FOTO: DPA Andrea B. auf dem Weg zur Anklageban­k.

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