Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Gennevilliers hat es zu trauriger Berühmtheit gebracht
Der „Charlie-Hebdo“-Attentäter Chérif Kouachi wohnte in der Pariser Vorstadt
- Eigentlich müsste sich Patrice Leclerc freuen, dass Gennevilliers in den Schlagzeilen ist. Doch der Bürgermeister findet seine Stadt am Rande von Paris momentan hauptsächlich im Zusammenhang mit dem Mann wieder, der Gennevilliers im Januar zu trauriger Berühmtheit brachte: Chérif Kouachi. Der 32-Jährige verübte zusammen mit seinem Bruder Saïd den Anschlag auf die Satirezeitung „Charlie Hebdo“mit zwölf Toten. Chérif Kouachi wohnte seit 2008 in Gennevilliers und liegt dort nun begraben. Leclerc musste der anonymen Bestattung zustimmen, doch sie ist für ihn auch Anlass zu zeigen, dass seine 40 000-Einwohner-Stadt mehr ist als die Heimat eines Attentäters. „Hier gibt es nicht mehr Islamisten als anderswo“, sagt der Kommunist, der seit 2014 Bürgermeister ist. „Kouachi hatte hier überhaupt keinen Einfluss.“
Auch Christophe Louÿs kannte Kouachi nicht. „Er war von hier und war es doch nicht“, sagt der Sozialarbeiter, der sich mit seiner Organisation APG in Gennevilliers um vernachlässigte Jugendliche kümmert. Denn die Vorstadt gehört zur Pariser Banlieue, also zu jenem Gürtel um die Hauptstadt, in dem Arbeitslosigkeit und Armut hoch sind. Rund 18 Prozent der Einwohner von Gennevilliers haben keine Arbeit – fast doppelt so viele wie im Landesdurchschnitt. Auch Chérif Kouachi lebte in den Jahren vor den Anschlägen von illegalen Jobs.
Gedenken an „Charlie Hebdo“
Der Lebenslauf des 32-Jährigen passt zu den Jugendlichen, die Louÿs und seine 14 Pädagogen betreuen: Ein früh verstorbener Vater und eine überforderte Mutter, später dann ein Heim. Louÿs und seine Leute sind Streetworker: „Wir gehen zu denjenigen, die sich verweigern, die unfähig sind, eine Beziehung zur Gesellschaft aufzubauen.“
Die Schule besuchen seine „Jungs“, wie der Mann mit dem graumelierten Kinnbart sie nennt, nur selten. Doch auch so war der Angriff auf „Charlie Hebdo“in den Tagen danach ein Thema. „Die Jugendlichen haben unsere Sozialarbeiter gefragt, wie sie zu den Ereignissen stehen.“Die zogen es vor zu schweigen. „Ein solches Thema kann man nur mit viel Zeit und Ruhe erörtern und die haben wir auf der Straße nicht“, rechtfertigt der 56-Jährige die Reaktion seiner Leute.
An der Pinnwand seines Büros in einem Hinterhof von Gennevilliers hängen zwei Fotos des Gedenkmarsches auf der Pariser Place de la République. Auch in Gennevilliers versammelten sich Einwohner im Gedenken an die Opfer der Anschläge. Zwischenfälle bei der Schweigeminute in den Schulen gab es dem Bürgermeister zufolge nur wenige.
„Die Einwohner von Gennevilliers vereint gegen die Barbarei und für die Meinungsfreiheit“, steht in schwarz-weiß noch immer auf einem Transparent über der Eingangstür der Mediathek Robert Doisneau. Etwas weiter die Straße hinunter liegt die vor fünf Jahren eingeweihte Moschee der Stadt, in die freitags Hunderte zum Gebet gehen. Auch die Brüder Kouachi waren eine Zeitlang unter den Besuchern. Doch 2012 überwarf sich Saïd mit dem Imam, weil der die Muslime aufgefordert hatte, bei der Präsidentschaftswahl ihre Stimme abzugeben.