Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Rajoy befindet sich im Sinkflug
- Wenn die Macht in Gefahr ist, neigen die Regierenden allerorten dazu, den Bürgern Wohltaten zu versprechen. Das ist im Königreich Spanien nicht anders. Nur vielleicht mit dem Unterschied, dass die Welle der politischen Gelöbnisse unter der spanischen Sonne derzeit besonders hoch schwappt. Denn das Krisenland, dessen Banken 2012 mit 41 Milliarden Euro gerettet werden mussten, befindet sich im Superwahljahr. In den nächsten Monaten wird nicht nur die Macht im nationalen Parlament, sondern auch in den Regionen und den Rathäusern neu verteilt.
Wohl deswegen nutzte der konservative Regierungschef Mariano Rajoy seine Rede zur Lage der Nation, um sich anderthalb Stunden lang an die Brust zu klopfen: Er rief das Ende der Krise aus, welche das Land seit Beginn des Immobiliencrashes 2007 in den Abgrund zog. „Die Nation hat den Alptraum hinter sich gelassen.“Spanien gehe es „wieder besser“: Die Wirtschaft wuchs in 2014 tatsächlich um 1,4 Prozent, 2015 sol- len es sogar 2,4 Prozent mehr sein. Und Rajoy versprach, dass im Land, in dem 24 Prozent der aktiven Bevölkerung – bei den unter 25-Jährigen gar 51 Prozent – arbeitslos sind, „allein in diesem Jahr mehr als 500 000 Jobs geschaffen werden“.
Schöne Worte, die aber nicht ankommen, weil die soziale Wirklichkeit der meisten Spanier anders aussieht. Vom verkündeten Aufschwung spürt das Volk wenig. Massenarbeitslosigkeit, Kürzung staatlicher Leistungen und sinkende Löhne sorgten dafür, dass die Familien immer weniger Geld in der Tasche haben. Der sozialistische Oppositionschef im Parlament, Pedro Sánchez, warf Rajoy vor, die Realität zu verkennen und empfahl ihm, doch mal „auf die Straße zu gehen“, um die Nöte der Menschen kennenzulernen.
Wahlprognosen sind schlecht
Auch den Umfragen zufolge wird die Glaubwürdigkeit von Rajoys konservativer Regierungspartei, deren Ruf zudem wegen einer unendlichen Serie von Korruptionsskandalen angeschlagen ist, von den Bürgern als ziemlich gering eingeschätzt: Laut der neusten Erhebung des staatlichen Meinungsinstituts CIS haben 86 Prozent der Spanier „wenig oder kein Vertrauen“in Rajoy und seine Mannschaft. Wahlumfragen zufolge steuert Rajoys Volkspartei, die 2011 noch eine absolute Mehrheit einfuhr, in 2015 auf eine der schlimmsten Wahlniederlagen überhaupt zu.
Die erste Ohrfeige droht den Konservativen im Mai bei den Regionalund Rathauswahlen. Sie gelten als Stimmungstest für die Parlamentsund Regierungswahlen Ende des Jahres. Wenn sich die Meinungsforscher nicht täuschen, wird Spaniens politische Landschaft, die bisher von den traditionsreichen Konservativen und Sozialisten dominiert wurde, ein Erdbeben erleben: Die neugeborene und aufsteigende linke Protestpartei Podemos, die mit dem in Griechenland regierenden Syriza-Bündnis sympathisiert, könnte zum entscheidenden Machtfaktor werden. Weitere Gefahr droht Rajoy im politischen Zentrum, wo eine ebenfalls boomende liberale „Bürgerpartei“namens Cuidadanos zum Angriff ansetzt.