Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Schlichtes Weltbild eines Scharfschützen
Clint Eastwoods umstrittenes Heldenepos „American Sniper“
atriotische Heldensaga oder geschöntes Porträt? Antikriegsfilm oder einseitige Propaganda? An „American Sniper“scheiden sich die Geister. Europäische Zuschauer dürften die Begeisterung für Clint Eastwoods bislang erfolgreichsten Film wohl nur bedingt nachvollziehen können. Und auch die traditionell liberale Oscar-Academy speiste den sechsfach nominierten Film mit der Auszeichnung für den besten Ton ab.
Bradley Cooper ist ein Sympathieträger selbst in Rollen, die dies nicht unbedingt auf Anhieb vermuten lassen – sei es als bipolarer Sohn in „Silver Linings“, schuldgeplagter Polizist in „Place Beyond the Pines“oder als Stimme eines genmanipulierten Waschbären in „Guardians of the Galaxy“. Das mag gut für den Schauspieler sein, ist aber problematisch für „American Sniper“, da Coopers Ausstrahlung die ohnehin halbherzigen Versuche des Films, auch die ambivalente Seite von Chris Kyle zu zeigen, zunichtemacht.
Kyle war ein hochdekoriertes Mitglied der Eliteeinheit U.S. Navy Seals mit legendärem Ruf: Als Scharfschütze im zweiten Irakkrieg tötete er mindestens 160 Menschen und damit so viele wie kein anderer „Sniper“vor oder nach ihm. Seine Autobiografie wurde ein Bestseller, trug ihm allerdings auch den Ruf der Selbstglorifizierung sowie einer schlichten Weltsicht ein. Seine Gegner nannte er „Wilde“und bedauerte, nicht noch mehr Feinde Amerikas aus dem Leben geschossen zu haben.
Eine faszinierende Vorlage bietet der Stoff dennoch: Was macht es mit einem Menschen, wenn sein Erfolg in Abschüssen gemessen wird? Und wie konnte es zu der tragischen Ironie kommen, dass Kyle vier Einsätze im Irak überstanden hat, dann aber in den USA von einem traumatisierten Veteranen, dem er helfen wollte, erschossen wurde?
Trotz des überragenden Publikumserfolgs in den USA muss man sagen: Clint Eastwood wird dem Thema nicht gerecht. Denn für eine radikal subjektive Studie Kyles macht der Film zu wenig von dessen Innenleben erfahrbar. Und für eine breitere Beschäftigung mit moralischen Fragen im modernen Kriegsgeschehen verzichtet der Film zu sehr auf den Kontext.
Eastwood argumentiert, „American Sniper“sei kein politischer Film, aber so naiv kann der 84-jährige Hollywood-Veteran kaum sein. Denn was im Krieg gezeigt oder nicht gezeigt wird, ist immer politisch. Und die simpel erzählte Vorgeschichte Kyles stellt bedenkliche Zusammenhänge her: Schon als Junge lernt der Texaner von seinem Vater, dass es Wölfe, Schafe und Schäferhunde gebe, und als solcher müsse man die Schafe gegen Angriffe verteidigen.
Kurz nach Filmaufnahmen der Anschläge vom 11. September sieht man Kyle in den Irak ziehen, um alKaida-Terroristen aufzuspüren. Dass der Krieg gegen den Irak zunächst eben nichts mit al-Kaida zu tun hatte, interessiert Eastwood ebenso wenig wie eine differenziertere Darstellung der Bevölkerung. Diese wird durchgängig als brutal und verschlagen gezeichnet. Dazu wird ein Sniper namens Mustafa (Sammy Sheik) als Gegenspieler aufgebaut, ohne dass der episodisch anmutende Film daraus viel Spannung erzeugen kann.
Das heißt nicht, dass einem so versierten Filmemacher wie Eastwood einzelne Szenen nicht gelungen wären. Überzeugen kann der Film immer dann, wenn er Nähe zu seinem stoischen Charakter zulässt: Etwa wenn Kyle vor der Entscheidung steht, Frauen und Kinder zu erschießen, oder sich im US-Alltag mit Frau (Sienna Miller) und Kindern immer noch im Irak wähnt. Hätte der Film diesen Szenen mehr Raum eingeräumt, wären die Oscar-Nominierungen weniger umstritten gewesen.