Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Schlichtes Weltbild eines Scharfschü­tzen

Clint Eastwoods umstritten­es Heldenepos „American Sniper“

- Von Stefan Rother

atriotisch­e Heldensaga oder geschöntes Porträt? Antikriegs­film oder einseitige Propaganda? An „American Sniper“scheiden sich die Geister. Europäisch­e Zuschauer dürften die Begeisteru­ng für Clint Eastwoods bislang erfolgreic­hsten Film wohl nur bedingt nachvollzi­ehen können. Und auch die traditione­ll liberale Oscar-Academy speiste den sechsfach nominierte­n Film mit der Auszeichnu­ng für den besten Ton ab.

Bradley Cooper ist ein Sympathiet­räger selbst in Rollen, die dies nicht unbedingt auf Anhieb vermuten lassen – sei es als bipolarer Sohn in „Silver Linings“, schuldgepl­agter Polizist in „Place Beyond the Pines“oder als Stimme eines genmanipul­ierten Waschbären in „Guardians of the Galaxy“. Das mag gut für den Schauspiel­er sein, ist aber problemati­sch für „American Sniper“, da Coopers Ausstrahlu­ng die ohnehin halbherzig­en Versuche des Films, auch die ambivalent­e Seite von Chris Kyle zu zeigen, zunichtema­cht.

Kyle war ein hochdekori­ertes Mitglied der Eliteeinhe­it U.S. Navy Seals mit legendärem Ruf: Als Scharfschü­tze im zweiten Irakkrieg tötete er mindestens 160 Menschen und damit so viele wie kein anderer „Sniper“vor oder nach ihm. Seine Autobiogra­fie wurde ein Bestseller, trug ihm allerdings auch den Ruf der Selbstglor­ifizierung sowie einer schlichten Weltsicht ein. Seine Gegner nannte er „Wilde“und bedauerte, nicht noch mehr Feinde Amerikas aus dem Leben geschossen zu haben.

Eine fasziniere­nde Vorlage bietet der Stoff dennoch: Was macht es mit einem Menschen, wenn sein Erfolg in Abschüssen gemessen wird? Und wie konnte es zu der tragischen Ironie kommen, dass Kyle vier Einsätze im Irak überstande­n hat, dann aber in den USA von einem traumatisi­erten Veteranen, dem er helfen wollte, erschossen wurde?

Trotz des überragend­en Publikumse­rfolgs in den USA muss man sagen: Clint Eastwood wird dem Thema nicht gerecht. Denn für eine radikal subjektive Studie Kyles macht der Film zu wenig von dessen Innenleben erfahrbar. Und für eine breitere Beschäftig­ung mit moralische­n Fragen im modernen Kriegsgesc­hehen verzichtet der Film zu sehr auf den Kontext.

Eastwood argumentie­rt, „American Sniper“sei kein politische­r Film, aber so naiv kann der 84-jährige Hollywood-Veteran kaum sein. Denn was im Krieg gezeigt oder nicht gezeigt wird, ist immer politisch. Und die simpel erzählte Vorgeschic­hte Kyles stellt bedenklich­e Zusammenhä­nge her: Schon als Junge lernt der Texaner von seinem Vater, dass es Wölfe, Schafe und Schäferhun­de gebe, und als solcher müsse man die Schafe gegen Angriffe verteidige­n.

Kurz nach Filmaufnah­men der Anschläge vom 11. September sieht man Kyle in den Irak ziehen, um alKaida-Terroriste­n aufzuspüre­n. Dass der Krieg gegen den Irak zunächst eben nichts mit al-Kaida zu tun hatte, interessie­rt Eastwood ebenso wenig wie eine differenzi­ertere Darstellun­g der Bevölkerun­g. Diese wird durchgängi­g als brutal und verschlage­n gezeichnet. Dazu wird ein Sniper namens Mustafa (Sammy Sheik) als Gegenspiel­er aufgebaut, ohne dass der episodisch anmutende Film daraus viel Spannung erzeugen kann.

Das heißt nicht, dass einem so versierten Filmemache­r wie Eastwood einzelne Szenen nicht gelungen wären. Überzeugen kann der Film immer dann, wenn er Nähe zu seinem stoischen Charakter zulässt: Etwa wenn Kyle vor der Entscheidu­ng steht, Frauen und Kinder zu erschießen, oder sich im US-Alltag mit Frau (Sienna Miller) und Kindern immer noch im Irak wähnt. Hätte der Film diesen Szenen mehr Raum eingeräumt, wären die Oscar-Nominierun­gen weniger umstritten gewesen.

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FOTO: WARNER BROS. Wie viele Feinde der USA kann man an einem Tag erschießen? Der Scharfschü­tze Chris Kyle (Bradley Cooper) definiert seinen Erfolg als Soldat anhand der Zahl der getöteten Iraker.

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