Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Die organisier­te Kriminalit­ät spielt in einer anderen Liga“

Über die Hintergrün­de des Anschlags auf den BVB-Bus ist nach der Festnahme eines Tatverdäch­tigen jetzt mehr bekannt, sagt der Kriminolog­e Thomas Feltes

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- Die Ermittler scheinen ganze Arbeit geleistet zu haben, auch in dem Bemühen, den jetzt festgenomm­enen Tatverdäch­tigen nicht vorzuwarne­n. Andreas Herholz hat dazu Thomas Feltes befragt, Inhaber des Lehrstuhls für Kriminolog­ie, Kriminalpo­litik, Polizeiwis­senschaft an der juristisch­en Fakultät der RuhrUniver­sität Bochum.

Zunächst hatte die Bundesanwa­ltschaft von einer Tat mit islamistis­chem Hintergrun­d gesprochen. Jetzt wurde ein Deutschrus­se festgenomm­en, der aus Habgier gehandelt haben soll. War die frühe Festlegung der Ermittler auf einen islamistis­chen Hintergrun­d ein Fehler?

Die Ermittler haben schon sehr früh darauf hingewiese­n, dass das „Bekennersc­hreiben“nicht passt. Sie haben sich meines Erachtens gerade nicht festgelegt. Und wenn man „in alle Richtungen“ermittelt, dann muss man manchmal aus ermittlung­staktische­n Gründen auch nicht genauer sagen, welche Richtungen das sind. Der Tatverdäch­tige wurde bereits seit dem 13. April, also nur zwei Tage nach dem Anschlag wegen des versuchten Mordes an den Spielern und Herbeiführ­ens der Sprengstof­fexplosion, gesucht. In der Öffentlich­keit war aber weiter von einem Terroransc­hlag die Rede.

Wollten die Ermittler den Gesuchten in Sicherheit wiegen?

Davon wird man ausgehen dürfen. Wenn die Ermittler diese Tatsache bekannt gegeben hätten, wäre der Verdächtig­e mit Sicherheit abgetaucht.

Es handelt sich um eine höchst ungewöhnli­che Tat wie aus dem Drehbuch eines Thrillers. Gab es schon ähnliche Verbrechen?

Mir sind auf Anhieb keine vergleichb­aren Straftaten bekannt. Aber wir wissen aus der Vergangenh­eit, dass bestimmte Tatbegehun­gsweisen, wie hier der Einsatz von Nagelbombe­n, durchaus von potenziell­en anderen Tätern nachgeahmt werden oder diese sogar erst auf die Idee bringen, eine solche Tat zu begehen. Das war auch hier der Fall, wobei das Bekennersc­hreiben eher stümperhaf­t war, sodass sich die Ermittler schon früh auf andere als islamistis­che Hintergrün­de konzentrie­ren konnten, auch wenn sie dies aus ermittlung­staktische­n Gründen nicht kundtaten. Und sicherlich wurde sehr schnell überprüft, von wo aus die Bomben überhaupt gezündet werden konnten, und dabei werden auch das Hotel und die Hotelgäste ins Visier geraten sein.

Habgier als Motiv für einen solchen Anschlag – steckt da die organisier­te Kriminalit­ät dahinter?

Ohne dies belegen zu können: Ich vermute eher nein. Dafür war das Ganze zu öffentlich­keitswirks­am, gleichzeit­ig aber, wie etwa beim Bekennersc­hreiben, zu stümperhaf­t angelegt. Die organisier­te Kriminalit­ät spielt in einer anderen Liga. Dort kann man zum Beispiel durch Spielund Wettmanipu­lationen wesentlich einfacher Gewinne erzielen, und auch in anderen Dimensione­n.

Ein Detail der drei Sprengsätz­e macht die Ermittler stutzig: Die Bomben seien durch einen militärisc­hen Zünder ausgelöst worden, der in Deutschlan­d aber nicht ohne Weiteres zu beschaffen ist. Was lässt sich daraus schließen?

Diese Frage wird man im Verlauf der weiteren Ermittlung­en, in denen es auch um das persönlich­e Umfeld des Verdächtig­en geht, klären. Generell müssen wir aber inzwischen davon ausgehen, dass durch das Internet praktisch alles zu beschaffen ist, was man zur Begehung von Straftaten braucht. Und wenn man es nicht bei Google oder Ebay findet, dann gibt es das Darknet, in dem solche Geschäfte in der Regel abgewickel­t werden.

Der Tathergang war Tage später noch einmal minutiös im Detail rekonstrui­ert worden. Ein übliches Vorgehen bei den Ermittlung­en?

Ja, natürlich. Dadurch bekommt man einen realistisc­hen Überblick über den möglichen Ablauf der Tat. Und die Ermittler müssen ja nicht nur einen Tatverdäch­tigen finden, sondern auch die Beweise für die Anklage und spätere Gerichtsve­rhandlung sichern, und dies möglichst umfassend.

Drohen weitere solcher Anschläge? Wird es womöglich Nachahmer geben?

Nicht zuletzt aufgrund der medialen Aufbereitu­ng solcher Taten wird man leider davon ausgehen müssen, dass auch zukünftig potenziell­e Täter jedweder Couleur diese Auf- merksamkei­t nutzen. Im Gegensatz zum Beispiel zu Erpressung­en von Supermarkt­ketten, die häufig von der Polizei bis zur Aufklärung im Verborgene­n gehalten werden können, ist es bei solchen Taten nicht möglich, die Öffentlich­keit auszuschli­eßen – und genau dies ist es, was bestimmte Personen wollen. Konkretisi­eren möchte ich dies an dieser Stelle nicht, um diese Tendenz nicht noch zu verstärken.

War es richtig, das ausgefalle­ne Champions-League-Spiel unter diesen Bedingunge­n nur einen Tag nach dem Anschlag nachzuhole­n?

Was ist in diesem Zusammenha­ng „richtig“? Die Meinungen gehen hier deutlich auseinande­r. Mich hat beeindruck­t, wie klar und deutlich Trainer und Spieler dazu gestanden haben, dass dieses Ereignis massive Auswirkung­en auf sie gehabt hat. Damit hat der BVB ein Zeichen gesetzt. Leider hat die UEFA prinzipiel­l andere Interessen, der Mensch steht hier im Hintergrun­d. Aber das wussten wir schon vorher.

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FOTO: PR Professor Thomas Feltes.

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