Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Anschlag beeinflusst Wahlkampfendspurt
Attentat auf den Champs-Elysées bewirkt in Frankreich eine Stimmungsänderung
- Der Terrorismus hielt am Donnerstagabend um 21.51 Uhr Einzug in den französischen Präsidentschaftswahlkampf. Da unterbrach Fernsehmoderator David Pujadas die Livebefragung der elf Kandidaten im Sender France 2, um die Zuschauer über das Attentat gegen Polizisten auf den Champs-Elysées zu informieren. Drei Tage vor der ersten Wahlrunde am Sonntag schalteten die in den Umfragen Führenden sofort in den Krisenmodus um.
Auf den letzten Metern hoffen vor allem die Rechtspopulistin Marine Le Pen und der konservative Ex-Premierminister François Fillon, durch das Ereignis Boden gutzumachen. Beide sagten sofort ihre Wahlkampfauftritte ab – ebenso wie der in den Umfragen bisher führende unabhängige Kandidat Emmanuel Macron. „Diese Stimmungsänderung verstärkt den erbitterten Kampf, der seit einigen Tagen zwischen den vier Favoriten stattfindet“, schrieb die Zeitung „Le Monde“. Zum Spitzenquartett gehört neben Le Pen, Macron und Fillon auch der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon, der seine Wahlkampftermine beibehielt. Jeder der in Umfragen dicht beieinander liegenden Kandidaten könnte den Einzug in die Stichwahl schaffen.
Kritik von Cazeneuve
Wie stark die Bilder der in Blaulicht getauchten Champs-Elysées die Kampagne veränderten, konnten die Fernsehzuschauer am Donnerstagabend live miterleben. Nacheinander richteten sich alle Kandidaten an ihre Landsleute, um zu zeigen, dass sie die Statur haben, um gegen die Terrorbedrohung zu kämpfen. „Der Kampf gegen den islamistischen Totalitarismus muss die absolute Priorität des nächsten Präsidenten sein“, sagte Fillon, der in Umfragen auf dem dritten Platz liegt.
Als ehemaliger Regierungschef kann er auf seine Erfahrung setzen, die ihn allerdings auch angreifbar macht. Denn in seiner Amtszeit wurde die Zahl der Polizisten um 13 000 verringert, woran Regierungschef Bernard Cazeneuve am Freitag noch erinnerte. In einer Mitteilung kritisierte der sonst so zurückhaltende Sozialist offen Fillon und Le Pen, die versuchten, aus dem Anschlag Kapital zu schlagen.
„Die Kandidatin des Front National versucht wie nach jedem Drama, davon zu profitieren, um zu spalten“, sagte Cazeneuve, der vier Jahre lang Innenminister war, nach einer Krisensitzung im Elysée. „Sie will ohne Scham die Angst zu rein politischen Zwecken ausnutzen.“Die Front-National-Chefin war in den vergangenen Tagen in Umfragen leicht abgesackt und hatte am Donnerstag knapp hinter Macron gelegen. Bei ihren letzten Wahlkampfauftritten setzte die Kandidatin, die für einen EU-Austritt Frankreichs wirbt, deshalb auf ihre Kernthemen Einwanderung und Sicherheit. „Schluss mit dem Laxismus, Schluss mit der Naivität“, forderte die 48-Jährige, die auch die legale Einwanderung stoppen will. Erst vor wenigen Tagen hatte Le Pen mit ihrer Behauptung, sie hätte als Präsidentin den Anschlag auf den Pariser Konzertsaal Bataclan verhindern können, für Schlagzeilen gesorgt.
50 000 Polizisten im Einsatz
„Null Risiko gibt es nicht“, erwiderte Macron der FN-Chefin. „Diese Bedrohung wird Teil unseres Alltags bleiben.“Als Jüngster des Bewerberfelds versuchte der 39-Jährige, mit seinem Auftritt zu zeigen, dass er als Präsident auch den schwierigen Anti-Terror-Kampf führen kann. „Ich möchte Sie beschützen. Ich bin bereit“, versicherte der sozialliberale Kandidat, der sich als „weder rechts noch links“versteht. Der frühere Wirtschaftsminister hatte im Wahlkampf vor allem auf die Themen Integration und Bildung gesetzt. Schon am Dienstag zeigte sich aber, dass der Wahlkampfendspurt von Sicherheitsfragen dominiert sein würde. Da nahmen Polizisten zwei Verdächtige fest, die in Marseille einen Anschlag geplant haben sollen – möglicherweise auf eine Wahlkampfveranstaltung. Angesichts der Bedrohung sollen am Sonntag rund 50 000 Polizisten für Sicherheit in den 67 000 Wahllokalen sorgen. Ob der Anschlag auf den Champs-Elysées tatsächlich die Wahl beeinflussen wird, ist allerdings unklar. „Es ist möglich, dass das Ereignis nur eine mäßige Auswirkung hat“, sagte der Meinungsforscher Frédéric Dabi vom Ifop-Institut der Zeitung „Les Echos“. „Erstens, weil es spät kommt, und zweitens, weil die Franzosen eine gewisse Widerstandskraft gegen solche Ereignisse entwickelt haben.“
Abzuwarten bleibt auch, ob der Anschlag sich auf die Wahlbeteiligung auswirkt. Rund 30 Prozent der Franzosen hatten im Vorfeld angekündigt, möglicherweise nicht zur Wahl zu gehen.