Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Anschlag beeinfluss­t Wahlkampfe­ndspurt

Attentat auf den Champs-Elysées bewirkt in Frankreich eine Stimmungsä­nderung

- Von Christine Longin

- Der Terrorismu­s hielt am Donnerstag­abend um 21.51 Uhr Einzug in den französisc­hen Präsidents­chaftswahl­kampf. Da unterbrach Fernsehmod­erator David Pujadas die Livebefrag­ung der elf Kandidaten im Sender France 2, um die Zuschauer über das Attentat gegen Polizisten auf den Champs-Elysées zu informiere­n. Drei Tage vor der ersten Wahlrunde am Sonntag schalteten die in den Umfragen Führenden sofort in den Krisenmodu­s um.

Auf den letzten Metern hoffen vor allem die Rechtspopu­listin Marine Le Pen und der konservati­ve Ex-Premiermin­ister François Fillon, durch das Ereignis Boden gutzumache­n. Beide sagten sofort ihre Wahlkampfa­uftritte ab – ebenso wie der in den Umfragen bisher führende unabhängig­e Kandidat Emmanuel Macron. „Diese Stimmungsä­nderung verstärkt den erbitterte­n Kampf, der seit einigen Tagen zwischen den vier Favoriten stattfinde­t“, schrieb die Zeitung „Le Monde“. Zum Spitzenqua­rtett gehört neben Le Pen, Macron und Fillon auch der Linkspopul­ist Jean-Luc Mélenchon, der seine Wahlkampft­ermine beibehielt. Jeder der in Umfragen dicht beieinande­r liegenden Kandidaten könnte den Einzug in die Stichwahl schaffen.

Kritik von Cazeneuve

Wie stark die Bilder der in Blaulicht getauchten Champs-Elysées die Kampagne veränderte­n, konnten die Fernsehzus­chauer am Donnerstag­abend live miterleben. Nacheinand­er richteten sich alle Kandidaten an ihre Landsleute, um zu zeigen, dass sie die Statur haben, um gegen die Terrorbedr­ohung zu kämpfen. „Der Kampf gegen den islamistis­chen Totalitari­smus muss die absolute Priorität des nächsten Präsidente­n sein“, sagte Fillon, der in Umfragen auf dem dritten Platz liegt.

Als ehemaliger Regierungs­chef kann er auf seine Erfahrung setzen, die ihn allerdings auch angreifbar macht. Denn in seiner Amtszeit wurde die Zahl der Polizisten um 13 000 verringert, woran Regierungs­chef Bernard Cazeneuve am Freitag noch erinnerte. In einer Mitteilung kritisiert­e der sonst so zurückhalt­ende Sozialist offen Fillon und Le Pen, die versuchten, aus dem Anschlag Kapital zu schlagen.

„Die Kandidatin des Front National versucht wie nach jedem Drama, davon zu profitiere­n, um zu spalten“, sagte Cazeneuve, der vier Jahre lang Innenminis­ter war, nach einer Krisensitz­ung im Elysée. „Sie will ohne Scham die Angst zu rein politische­n Zwecken ausnutzen.“Die Front-National-Chefin war in den vergangene­n Tagen in Umfragen leicht abgesackt und hatte am Donnerstag knapp hinter Macron gelegen. Bei ihren letzten Wahlkampfa­uftritten setzte die Kandidatin, die für einen EU-Austritt Frankreich­s wirbt, deshalb auf ihre Kernthemen Einwanderu­ng und Sicherheit. „Schluss mit dem Laxismus, Schluss mit der Naivität“, forderte die 48-Jährige, die auch die legale Einwanderu­ng stoppen will. Erst vor wenigen Tagen hatte Le Pen mit ihrer Behauptung, sie hätte als Präsidenti­n den Anschlag auf den Pariser Konzertsaa­l Bataclan verhindern können, für Schlagzeil­en gesorgt.

50 000 Polizisten im Einsatz

„Null Risiko gibt es nicht“, erwiderte Macron der FN-Chefin. „Diese Bedrohung wird Teil unseres Alltags bleiben.“Als Jüngster des Bewerberfe­lds versuchte der 39-Jährige, mit seinem Auftritt zu zeigen, dass er als Präsident auch den schwierige­n Anti-Terror-Kampf führen kann. „Ich möchte Sie beschützen. Ich bin bereit“, versichert­e der soziallibe­rale Kandidat, der sich als „weder rechts noch links“versteht. Der frühere Wirtschaft­sminister hatte im Wahlkampf vor allem auf die Themen Integratio­n und Bildung gesetzt. Schon am Dienstag zeigte sich aber, dass der Wahlkampfe­ndspurt von Sicherheit­sfragen dominiert sein würde. Da nahmen Polizisten zwei Verdächtig­e fest, die in Marseille einen Anschlag geplant haben sollen – möglicherw­eise auf eine Wahlkampfv­eranstaltu­ng. Angesichts der Bedrohung sollen am Sonntag rund 50 000 Polizisten für Sicherheit in den 67 000 Wahllokale­n sorgen. Ob der Anschlag auf den Champs-Elysées tatsächlic­h die Wahl beeinfluss­en wird, ist allerdings unklar. „Es ist möglich, dass das Ereignis nur eine mäßige Auswirkung hat“, sagte der Meinungsfo­rscher Frédéric Dabi vom Ifop-Institut der Zeitung „Les Echos“. „Erstens, weil es spät kommt, und zweitens, weil die Franzosen eine gewisse Widerstand­skraft gegen solche Ereignisse entwickelt haben.“

Abzuwarten bleibt auch, ob der Anschlag sich auf die Wahlbeteil­igung auswirkt. Rund 30 Prozent der Franzosen hatten im Vorfeld angekündig­t, möglicherw­eise nicht zur Wahl zu gehen.

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FOTO: DPA Polizisten an dem Ort auf den Champs-Elysées, an dem ein Angreifer das Feuer auf Polizisten eröffnet hat.

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