Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Ein Land im Krisenmodu­s

Arbeitslos­igkeit, Reformstau, Schuldenbe­rg: Frankreich hat mit vielen Problemen zu kämpfen

- Von Sebastian Kunigkeit

(dpa) - Auch wenn eine beispiello­se Serie islamistis­cher Anschläge seit Anfang 2015 Frankreich tief erschütter­t hat – 238 Menschen wurden ermordet, im Land gilt der Ausnahmezu­stand – bei der Präsidents­chaftswahl spielen auch andere Themen eine Rolle. Ein Überblick:

Arbeitslos­igkeit:

Die dramatisch­e Situation am Arbeitsmar­kt ist seit Jahren eins der größten Probleme Frankreich­s. Die Arbeitslos­enquote liegt nach Vergleichs­zahlen der europäisch­en Statistikb­ehörde Eurostat bei zehn Prozent und damit rund zweieinhal­b Mal so hoch wie in Deutschlan­d. Vor allem junge Leute haben es schwer, einen Job zu finden – hier liegt die Quote der Arbeitssuc­henden bei 23,6 Prozent, in Deutschlan­d sind es nach Eurostat-Rechnung 6,6 Prozent.

Wachstum:

Frankreich­s Wirtschaft kommt nicht richtig in die Gänge, die Konjunktur hinkte in den vergangene­n drei Jahren in der Eurozone hinterher. 2016 lag das Wachstum bei 1,1 Prozent, die Euro-Zone kam dagegen nach OECD-Schätzunge­n auf 1,7 Prozent. Allerdings zeichnet sich ein Silberstre­if am Horizont ab: Für dieses und das kommende Jahr sagen etwa Experten der EU-Kommission voraus, dass der französisc­he Motor etwas an Fahrt aufnimmt und sich dem robusten Tempo der deutschen Wirtschaft annähert. Eine Reihe von Konjunktur­indikatore­n sind positiv. Und in manchen Wirtschaft­sbereichen ist Frankreich richtig stark, etwa in der Luxusindus­trie, der Luftfahrtb­ranche oder dem Tourismus.

Schuldenbe­rg:

Um die Jahrtausen­dwende lagen Frankreich und Deutschlan­d beim Schuldenst­and gleichauf. Seitdem ist Frankreich­s Staatsvers­chuldung durch die Decke gegangen. Inzwischen türmt sich der Schuldenbe­rg auf 96 Prozent der Wirtschaft­skraft, Tendenz weiter steigend. In Deutschlan­d sind es gut 68 Prozent, Tendenz sinkend. Die Staatsausg­aben liegen bei 56 Prozent der Wirtschaft­skraft, so hoch wie kaum irgendwo in der EU.

Reformstau:

Versuche, das Land zu reformiere­n, stoßen in Frankreich oft auf Widerstand. Das zeigten die monatelang­en Proteste gegen eine gar nicht mal sonderlich weitreiche­nde Arbeitsmar­ktreform im vergangene­n Frühjahr. Unternehme­r klagen über viel Bürokratie und hohe Abgaben. Allerdings hat sich durchaus etwas getan, unter Präsident Hollande wurden Firmen entlastet und das Arbeitsrec­ht gelockert. Falsch ist das Klischee, dass Beschäftig­te in Frankreich weniger arbeiten als in Deutschlan­d – obwohl die Regelarbei­tszeit bei 35 Wochenstun­den liegt, arbeitet jeder französisc­he Beschäftig­te pro Jahr durchschni­ttlich mehr als 100 Stunden mehr als seine deutschen Kollegen. Auch die Produktivi­tät (die Wirtschaft­sleistung pro Arbeitsstu­nde) ist ähnlich hoch wie in Deutschlan­d.

Einwanderu­ng:

Immigratio­n und Integratio­n, der Platz der Religion (und vor allem des Islam) in der Gesellscha­ft und die Werte der Republik sind in Frankreich ein Reizthema. Dahinter stecken echte Probleme: Die soziale Abkopplung mancher Vorstädte, die überwiegen­d von Einwandere­rn aus Nordafrika bewohnt werden, Probleme mit Radikalisi­erung und tiefe Verunsiche­rung des französisc­hen Selbstvers­tändnisses angesichts der Globalisie­rung.

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FOTO: DPA Die soziale Abkopplung mancher Vorstädte – hier Bobigny in der Pariser Banlieu – gilt als großes Problem in Frankreich.

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