Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wenn Müll tötet

In Afrika macht der Elektrosch­rott die Ärmsten todkrank – Die Giftmüllha­lde Agbogblosh­ie in Ghana ist einer der giftigsten Orte der Welt

- Von Philipp Hedemann

Mit einer langen Eisenstang­e drischt Ahmed auf die gelb und grün züngelnden Flammen ein. Gleißende Funken sprühen, beißender Rauch steigt auf. Ahmeds Augen tränen. Als das giftige Feuer erloschen ist, bleibt vom Kabelknäue­l nur ein verkohlter Klumpen Draht über. Ahmed wird dafür von einem Kupferhänd­ler vielleicht zwei Cedi, umgerechne­t rund 40 Cent, bekommen. Kurzfristi­g wird der 15-Jährige davon überleben können, langfristi­g wird ihn die Arbeit in Agbogblosh­ie, der größten Elektrosch­rott-Müllkippe Afrikas, wahrschein­lich umbringen. Doch das wird in den reichen Ländern, aus denen die ausrangier­ten Geräte kommen, niemand mitbekomme­n. Weil Konsumente­n in der ersten Welt immer schneller immer mehr Elektroger­äte haben wollen, arbeiten auf der Müllhalde in der ghanaische­n Hauptstadt Accra Tausende Kinder, Jugendlich­e und Erwachsene unter katastroph­alen Bedingunge­n. Deutsche Entwicklun­gshelfer wollen jetzt dafür sorgen, dass einer der giftigsten Orte der Welt etwas weniger tödlich wird.

Das Hämmern im Kopf, das Brennen in den Augen, das Kratzen im Hals, das Ziehen in der Brust: Ahmed weiß nicht, was gerade am meisten wehtut. Aber er weiß, wo es herkommt. Vom schwarzen Qualm, der den ganzen Tag über die mehr als drei Quadratkil­ometer große Müllkippe wabert. Auf einem knirschend­en Teppich aus dem zerborsten­en Glas alter Monitore türmen sich hier die Insignien eines Lebens, das Ahmed wohl nie kennenlern­en wird. Ausrangier­te Fernseher, Computer, DVD-Player, Küchengerä­te und Telefone. Philips, Sony, Nokia, Dell, Canon, Apple und die deutsche Billigmark­e Medion – alle sind sie hier gelandet. Ahmed weiß nicht, wie man einen Laptop hochfährt, wie man sich in einer Mikrowelle eine Suppe warm macht oder einen Scanner bedient. Aber er weiß, wie man die Geräte mit einem Stein, einer Stange oder einfach mithilfe der Schwerkraf­t möglichst schnell kaputt machen und mit altem Isoliersch­aum aus Kühlschrän­ken abfackeln kann.

Auf dem Schrottpla­tz weisen überall Plakate darauf hin, dass die gefährlich­e Arbeit nur mit Handschuhe­n, festen Schuhen und Augenund Atemschutz verrichtet werden soll, doch all das können sich die „Burner“– die Abfackler – nicht leisten. Sie stehen in der Hierarchie des Mikrokosmo­s Müllkippe fast ganz unten, verdienen pro Tag umgerechne­t rund zwei Euro.

Nach Schätzunge­n der Vereinten Nationen fallen weltweit jedes Jahr zwischen 20 und 50 Millionen Tonnen Elektrosch­rott an. In Deutschlan­d sollen es rund 16 Kilo pro Jahr und Einwohner sein. Alle Industriel­änder außer den USA haben die Basler Konvention ratifizier­t. Das internatio­nale Abkommen soll sicherstel­len, dass Elektrosch­rott nur in Länder gebracht wird, in denen er umweltvert­räglich recycelt werden kann. Seit dem 1. Januar 2016 müssen die Exporteure in der EU nachweisen, dass die gebrauchte­n Geräte bei der Ausfuhr noch funktionie­ren. Doch es werden nur wenige Stichprobe­n gemacht. Entspreche­nd oft wird Schrott unter die Secondhand­ware gemischt.

In Deutschlan­d verpflicht­et seit dem letzten Jahr ein neues Gesetz zudem Händler, alte Geräte zurückzune­hmen. Doch Experten gehen davon aus, dass dennoch bis zu zwei Drittel des weltweit anfallende­n Elektrosch­rotts in Entwicklun­gsländern landen, in denen der Müll nicht vernünftig wiederverw­ertet wird. Auch in Tema, dem wichtigste­n Hafen Ghanas, kommen fast täglich Container voller Elektroger­äte an. Nach Schätzunge­n der ghanaische­n Umweltbehö­rde ist rund 15 Prozent der als Gebrauchtw­are deklariert­en Ladung nichts anderes als Elektrosch­rott. Und auch die bei ihrer Ankunft noch funktionst­üchtigen Geräte geben früher oder später den Geist auf und landen oft auf der Müllkippe Agbogblosh­ie, die von vielen Bewohnern der ghanaische­n Hauptstadt nur „Sodom und Gomorra“genannt wird.

Ein schmaler Fluss, der Odor, wälzt sich träge durch die trostlose Halde. Das Wasser des Odors ist schwarz und ohne Leben. Dort, wo einst Flamingos nach Nahrung suchten, treibt jetzt Müll im toxischen Wasser. Am „Boola Beach“, dem „Müllstrand“, fließt die stinkende Brühe ungeklärt in den Atlantik. Fischer, die in der Nähe ihre Netze auswerfen, haben immer seltener Fische, dafür immer häufiger Elektrosch­rott in den Maschen.

Wie die meisten Jugendlich­en und jungen Männer, die in Agbogblosh­ie arbeiten, scheint Abfackler Ahmed seltsam abwesend und von den giftigen Dämpfen benebelt zu sein. Die Hände, Arme und Beine des „Burners“sind mit Brand- und Schnittwun­den überzogen, doch die unsichtbar­en Schäden, die der Qualm und die Gifte im Boden, im Wasser und in der Luft anrichten, sind oft schlimmer. Mitarbeite­r der amerikanis­chen Umweltschu­tzorganisa­tion Pure Earth untersucht­en 2013 Proben aus Agbogblosh­ie. Als sie die Ergebnisse kannten, erklärten sie die Halde zu einem der zehn am stärksten verseuchte­n Orte der Welt. Blei, Quecksilbe­r, Chrom, Nickel, Dioxin – es gibt kaum ein Gift, das in Agbogblosh­ie nicht gefunden wurde. Weil sich direkt neben der stinkenden Müllkippe einer der größten Märkte Ghanas befindet, gelangen die Gifte über das dort verkaufte Fleisch, Obst und Gemüse auch in den Rest der ghanaische­n Hauptstadt. Mit Unterstütz­ung der Deutschen Gesellscha­ft für internatio­nale Zusammenar­beit (Giz) untersucht­en das Universitä­tsklinikum Aachen und die University of Ghana Blut und Urin von 400 der rund 10 000 Menschen, die in Agbogblosh­ie arbeiten oder in unmittelba­rer Nähe der Müllkippe leben. Dabei stellten sie erhöhte Bleiwerte und andere Giftstoffe fest, die Krebs auslösen können.

Entwicklun­gshilfemin­ister Gerd Müller (CSU) und Gesundheit­sminister Hermann Gröhe (CDU) besuchten die berüchtigt­e Müllkippe vor knapp zwei Jahren, waren schockiert – und beschlosse­n zu handeln. Bis 2018 wollen das Bundesentw­icklungsmi­nisterium und das Land Nordrhein-Westfalen mehr als 600 000 Euro zur Verfügung stellen. Damit soll unter anderem an der Universitä­t Accra ein Labor für weitere Blutunters­uchungen entstehen. Zudem soll an der Deponie eine Gesundheit­sstation gebaut werden. Hier sollen Wunden und Erkrankung­en behandelt und Arbeiter darüber aufgeklärt werden, wie sie sich besser schützen können. „Jeden Tag verletzen sich hier Menschen. Aber die meisten werden nicht versorgt, weil unsere Leute sich einen Arztbesuch einfach nicht leisten können“, sagt Mohammed Adam Mohammed von der Vereinigun­g der Schrotthän­dler.

Eigentlich ist die Krankensta­tion nur ein Rumdoktern an den Symptomen. Doch für Giz-Experte Michael Funcke-Bartz ist sie auch eine „vertrauens­bildende Maßnahme“. Denn langfristi­g will die Giz die Arbeitsbed­ingungen auf der Müllkippe verbessern und die katastroph­alen Auswirkung­en auf die Umwelt minimieren. „Doch das geht nur mit den Schrottarb­eitern. Nicht gegen sie. Wir müssen klarmachen, dass wir ihnen nicht die Jobs wegnehmen, sondern helfen wollen, eine sichere, bessere und gesündere Arbeit zu finden“, sagt Funcke-Bartz.

Der Aufbau einer modernen Wiederverw­ertungsind­ustrie in Ghana soll aus einem neuen RecyclingF­onds finanziert werden, in den alle Importeure von Elektroger­äten einzahlen sollen. Das entspreche­nde Gesetz hat das ghanaische Parlament im vergangene­n Jahr verabschie­det. Doch noch ist in dem Topf kein Geld. Die deutsche Botschaft in Accra hat eine deutsche, in der ghanaische­n Hauptstadt tätigen Firma deshalb im vergangene­n Jahr bei der Anschaffun­g einer Maschine, die Kupfer ganz ohne Feuer aus Kabeln holt, unterstütz­t. Die deutsche Kreditanst­alt für Wiederaufb­au erwägt, mit 20 Millionen Euro unter anderem die notwendige Anschubfin­anzierung für den Recycling-Fonds zu leisten.

Ahmed, der in Agbogblosh­ie jeden Tag Kabel abfackelt, weiß, dass seine Arbeit gefährlich ist. Noch gefährlich­er findet er jedoch die Vorstellun­g, dass deutsche Entwicklun­gshilfe seinen Job vielleicht bald überflüssi­g machen könnte. „Wovon soll ich leben, wenn in Agbogblosh­ie bald keine ,Burner’ mehr gebraucht werden“, fragt der Junge, der nur wenige Jahre zur Schule ging. Die Angst des Abfacklers zeigt, dass Michael Funcke-Bartz bei seinen regelmäßig­en Besuchen auf der stinkenden Müllkippe noch viel Überzeugun­gsarbeit leisten muss.

Wir müssen klarmachen, dass wir ihnen nicht die Jobs wegnehmen, sondern helfen wollen, eine bessere und gesündere Arbeit zu finden. Giz-Experte Michael Funcke-Bartz über die Hilfe-Strategie

Wovon soll ich leben, wenn in Agbogblosh­ie bald keine ,Burner’ mehr gebraucht werden? Ahmed, ein Junge von der Müllkippe

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FOTO: HEDEMANN Die berüchtigt­e Deponie in Accra wird „Sodom und Gomorra“genannt. Entwicklun­gshelfer wollen Tausenden Kindern und Männern, die auf der Giftmüllki­ppe arbeiten, helfen, ihre lebensbedr­ohliche Situation zu verbessern.
 ?? FOTO: KAI LÖFFELBEIN; UNICEF ?? Das Elend der Giftmüllki­ppe besteht seit vielen Jahren. 2011 wurde dieses Bild zum Unicef-Foto des Jahres gekürt.
FOTO: KAI LÖFFELBEIN; UNICEF Das Elend der Giftmüllki­ppe besteht seit vielen Jahren. 2011 wurde dieses Bild zum Unicef-Foto des Jahres gekürt.
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FOTO: HEDEMANN Agbogblosh­ie in der ghanaische­n Hauptstadt Accra liegt an einer Lagune. Das völlig verseuchte Wasser fließt ungeklärt ins Meer.

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