Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Ich glaube nicht, dass ich spießiger geworden bin“
Wotan Wilke Möhring spielt in seinem neuen Film den Alt-Punk „Fussel“
In seinem neuen Film „Happy Burnout“, der am 27. April in die Kinos kommt, spielt Wotan Wilke Möhring den Alt-Punk und Leistungsbetrüger Fussel, der sich ausgerechnet als Burn-out-Patient einliefern lässt. Dabei arbeitete er erneut mit Regisseur André Erkau zusammen, mit dem er bereits beim Kinohit „Das Leben ist nichts für Feiglinge“kooperierte. André Wesche hat mit dem Schauspieler über alte Zeiten, Spießigkeit und die VaterRolle geredet.
Herr Möhring, Sie gehörten früher selbst der Punk-Szene an. Wie sehr haben Sie Fussel geähnelt?
Ich habe mich sehr wohl gefühlt, für sechs Wochen mal wieder Springerstiefel anziehen zu dürfen. Ich habe beim Gang tatsächlich einen sehr guten Freund von mir kopiert, der diesen schlurfenden Jojo-Schritt hatte. Wie Fussel war ich politisch als Zecke einzuordnen, also eher anarchoorientiert. Gar nicht so der bunte, schrille Punk aus England mit Schottenrock. Deshalb waren da sehr viele Überschneidungen möglich.
War es mit Wehmut verbunden, in die alten Zeiten zurückzublicken?
Ehrlich gesagt, ja. Tatsächlich wühle ich jetzt wieder vermehrt in alten Musikkassetten (Anm.: prähistorischer Tonträger) herum. Die Musik ist ja bei jeder Jugendkultur die Grundlage für die Entscheidung, sich als Punk, Hip-Hopper oder Metaller zu sehen. Dieses Lebensgefühl geht vor allem von der Musik aus. Ich fand es total lustig, nun wieder mit derselben „linksverbesserlichen“Lebenshaltung herumzulaufen, alles besser zu wissen und sehr viel herumzulabern. Ich konnte auch sehr gut nachvollziehen, wie wohl sich Fussel auf seinem Planeten der Provokation fühlt. Bis er merkt, dass Provokation als Selbstzweck ziemlich armselig ist. Das ist dann sein erster Schritt zur Erwachsenwerdung.
Was hat diesen Schritt bei Ihnen bewirkt?
Ich war schon voll auf Provokation getrimmt, das will man ja auch. Man will eine Reaktion der Menschen auf das, was man sagt oder wie man aussieht. Dieses Element des Chaos mag ich nach wie vor noch gern. Gewohnheiten aufmischen, Regeln durchbrechen, ins kalte Wasser springen, über den Tellerrand schauen – egal, wie man das nennt. In meinem Beruf kann ich das ausleben. Aber auch im Privaten interessiert mich nach wie vor mehr dieses Element des lebenserhaltenden Chaos. Das finde ich spannender als die totale Sicherheit. So richtig, richtig erwachsen habe ich mich erst gefühlt, als meine erste Tochter zur Welt gekommen ist. Dann kann man sich der Verantwortung plötzlich nicht mehr entziehen. Ab jetzt bist du dran! Das war ein ganz wichtiger Moment.
Hatte er auch etwas Beängstigendes?
Gerade als später Vater habe ich das immer anders empfunden. Das, was dir am schwersten fällt oder am meisten Bammel macht, ist das, woraus du den größten Gewinn ziehen kannst, Erfahrung und Weisheit. Bei Dingen, die dir leicht fallen, ist diese „Gewinnspanne“bei weitem nicht so groß. In früheren Zeiten gab es häufiger die Panik: „Oh Gott, ist sie jetzt schwanger oder nicht?“Das gab es da gar nicht. Es war so sehr willkommen, obwohl du weißt, dass es dein Leben vollkommen verändern wird. Dieses Unbekannte, Ungewisse fand ich toll. Auch dass bestimmte Dinge nicht kalkulierbar sind. Das ist das Leben.
Muss man denn überhaupt erwachsen werden?
Gute Frage. Ich glaube, man muss nicht alles erfüllen, was als erwachsen gilt. Physisch ist man irgendwann erwachsen, biologisch ausgewachsen sozusagen. Aber was ist eigentlich „erwachsen“? Mit der VaterRolle ist es ganz ähnlich. Man wird jeden Tag mehr Vater. Und du wirst auch jeden Tag mehr erwachsen.
Waren Sie schon einmal an einem Punkt, an dem ein Burn-out nicht fern war?
Wirklich ausgebrannt sein kenne ich nicht, aber das Gefühl des Auf-sichaufpassen-müssens, das kenne ich auch, ja. Vor zwei Jahren, etwa nach der Winnetou-Zeit zum Beispiel. Man unterschätzt das leicht: die Kombination aus dem sehr physischen Beruf und dem Privatleben, was auch nicht immer ganz rund lief. Physischen Signale wie Schlafmangel, Ungeduld und Zerfahrensein, ignoriert man leicht zu Beginn, wenn man sie nicht kennt. Ich habe das zum Glück rechtzeitig bemerkt und für mehr Ausgleich gesorgt.
Wie?
Es war mir schon immer wichtig, dann innezuhalten und zu fragen, was ich eigentlich mache und für wen ich das mache. Ist das noch für mich, bereitet mir das Spaß? Kann ich abends in den Spiegel gucken oder nicht? Wenn man dieses Gefühl verliert, läuft etwas nicht rund. Erstaunlicherweise hat der Körper viele Reserven. Ich werde selten beim Filmdreh krank. Wenn, dann danach. Irgendwie kriegt der Körper es bei der Arbeit mit Adrenalin noch hin. Und dann kann man sich fallenlassen. Es sei denn, man hat drei kleine Kinder, die einen auf andere Weise wieder erden. Außerdem musste ich lernen, dass es wichtig ist, Zeiten nur für sich selbst zu haben. Weder Familie noch Arbeit. Im letzten Jahr haben ich in Spanien Spanisch gelernt – nur für mich. Oder es zumindest versucht. Ich habe angefangen zu surfen. Ich gehe zum Fußball – nur für mich. Dieser Ausgleich ist wichtig. Davon profitiert man selbst und die anderen um einen herum auch.
Sind Sie im Laufe der Jahre spießiger geworden?
Nee! Ich weiß nicht genau, welche Merkmale die Spießigkeit auszeichnen. Mir ist die Nähe zu einem gewissen Maß an Chaos immer noch näher als die absolute Ordnung durch immer gleiche, nicht hinterfragte Regeln. Die Erhaltung einer lebendigen Unordnung ist mir wichtiger als Ordnung um jeden Preis. Ich glaube nicht, dass ich spießiger geworden bin. Im Gegenteil, meine Zündschnur in Bezug auf spießige Organisationen ist heute noch schneller aufgebraucht als früher.
Hat Ihre Älteste schon mitbekommen, dass ihr Papa etwas Besonderes macht?
So ein bisschen hat sie es schon mitbekommen. Sie dreht sich weg, wenn fotografiert wird oder fragt, warum der jetzt eine Unterschrift von mir wollte. Aber für Kinder ist es leichter verständlich, wenn der Papa Polizist, Feuerwehrmann oder Bauarbeiter ist. Irgendetwas, was sie auch aus Kinderbüchern kennen. Meine Kinder haben mich in Kroatien am Set von „Winnetou“besucht. Das fanden sie natürlich spannend, aber sie verstehen diese abstrakte Erwachsenenwelt noch nicht so ganz. Sie unterscheiden nicht zwischen echt und unecht. Und wenn sie selbst Prinzessin oder Lehrerin spielen, dann sind sie es auch wirklich, mit Leib und Seele. Da kann ich mir noch etwas abgucken, was Intensität angeht.