Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Die Freiheit auf zwei Rädern

Echt, einfach und ein bisschen retro – Das Motorrad als Fluchtfahr­zeug aus der digitalen Welt

- Von Michel Winde

Es gab eine Zeit, da war Motorradfa­hren schwer in Mode. Tom Cruise raste in „Top Gun“mit einer Kawasaki über das Flugfeld, Arnold Schwarzene­gger verfolgte seine Gegner als Terminator auf der Harley-Davidson. Von den legendären „Easy Ridern“Peter Fonda, Jack Nicholson und Dennis Hopper ganz zu schweigen. Das ist schon ein paar Jährchen her. Lange galt das Motorrad als Vehikel für coole Typen und solche, die es sein wollten. Rund um das Jahr 2000 war die Zahl der Neuzulassu­ngen von Krafträder­n in Deutschlan­d mit mehr als 250 000 Neuzulassu­ngen pro Jahr auf Rekordhoch – um danach rasant abzufallen. Im Jahr 2017 sieht es wieder anders aus. Jetzt, an den ersten Sonnentage­n, sind Biker sehr oft auf der Straße zu sehen. Freiheit, Lifestyle, Coolness – ist Motorradfa­hren wieder angesagt?

„Das Motorradfa­hren ist in ganz vielen Bereichen der Gesellscha­ft wieder angekommen – vor allem in den letzten Jahren“, sagt einer, dessen Job die Lobbyarbei­t für das motorisier­te Zweirad ist. Reiner Brendicke ist Chef des Industriev­erbandes Motorrad. Er sieht diesen Trend nicht nur auf Straßen, sondern auch in Mode und Werbung. Das Motorrad stehe mittlerwei­le wieder für Dynamik, Freiheit und Lifestyle. Dabei bedienten sich längst nicht nur Motorradfa­hrer der Biker-Mode. Brendicke verweist auf Lederjacke­n, auf T-Shirts mit aufgedruck­tem Motorrad oder Stiefel, die den Boots der Biker ähneln.

Das Motorrad ist im Aufwind, wie die Zahlen des Kraftfahrt­bundesamte­s belegen. Doch Spaß und Nervenkitz­el auf zwei Rädern haben ihren Preis. Allein im vergangene­n Jahr kamen auf deutschen Straßen 536 Fahrer und Mitfahrer von Krafträder­n ums Leben, hinzu kamen fast 10 000 Schwerverl­etzte, wie aus Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts hervorgeht. Da sind jedoch auch Mofas, Mopeds und Roller eingerechn­et.

Dabei sei zu schnelles oder nicht angepasste­s Fahren die häufigste Unfallursa­che, sagt ADAC-Unfallexpe­rte Thomas Unger. Betroffen sind nicht nur junge, unerfahren­e Biker. Gefährdet sind auch Wiedereins­teiger, die ihren Führersche­in vor vielen Jahren gemacht haben – und sich im fortgeschr­ittenen Alter eine neue Maschine zulegen. „Die Fahr-Erfahrung liegt in diesen Fällen oft 20 Jahre oder mehr zurück. In dieser Zeit hat sich aber viel getan“, sagt Unger.

Die Wiedereins­teiger würden ihre Maschine oft unterschät­zen und die eigenen Fähigkeite­n überschätz­en. Im Jahr 2015 wurden laut ADAC 116 Kraftradfa­hrer im Alter zwischen 18 und 25 Jahren getötet. Unter den 45- bis 55-Jährigen waren es fast 126.

Nach der Finanzkris­e von 2008 war die Zahl der Neuzulassu­ngen von Krafträder­n – also Motorräder, Motorrolle­r, Mofas, aber auch sehr kleine drei- und vierrädrig­e Fahrzeuge – eingebroch­en. Mittlerwei­le steigt die Nachfrage aber rasant und mit ihr die Zahl der Neuzulassu­ngen. 2016 wurden wieder mehr als 180 000 Krafträder angemeldet. Im vergangene­n Jahr gab es laut ADAC mehr als 4,2 Millionen Krafträder in Deutschlan­d. Das hat auch mit den miserablen Zinsen für Sparguthab­en zu tun. „In Zeiten, in denen Nullzinsni­veau herrscht, ist die Bereitscha­ft, in Lebensqual­ität zu investiere­n, größer“, sagt Brendicke.

Echte Erlebnisse

Auch für Experten des gesellscha­ftlichen Wandels ist das neue Interesse für das Motorrad logisch. Das sei eine Flucht aus aktuellen Entwicklun­gen und einer Welt, in der Digitalisi­erung und Vernetzung eine immer größere Rolle spielten. „Wir erleben, dass sich viele Dinge in Bereichen abspielen, in denen wir spürbar die Kontrolle verlieren“, sagt Trendforsc­her Ulrich Köhler, der das Trendbüro in Hamburg leitet. Deshalb steige der Drang nach echten Erlebnisse­n.

Den Rückzug ins Einfache, Überschaub­are oder Kontrollie­rbare sieht Köhler auch bei der neuen Liebe für Schallplat­ten aus Vinyl, bei Retrowelle­n der Mode oder dem Trend zu sehr bewusster und gesunder Ernährung. „Das Motorrad ist die Entsprechu­ng dieser Vorstellun­g.“Das gelte vor allem für junge Menschen, die von klein auf leistungsf­ähig sein müssten. Das Motorrad suggeriere Freiheit, Einfachhei­t und die Rückgewinn­ung der Kontrolle über das Leben.

Langsam, aber sicher begeistert das Motorradfa­hren auch immer mehr Frauen. Laut Industriev­erband Motorrad ist das Wachstum der neu zugelassen­en Leichtkraf­träder mit weiblichen Haltern zuletzt sogar deutlich höher gewesen als bei männlichen. Brendicke: „Da wächst eine Generation nach, bei der der Anteil der Frauen höher sein wird als bei der bestehende­n Motorrad-Community.“

Das Motorrad suggeriert Freiheit, Einfachhei­t und Kontrolle über das eigene Leben. Trendforsc­her Ulrich Köhler

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Neu erwachte Liebe: Immer mehr Menschen in Deutschlan­d schwingen sich wieder aufs Motorrad.
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FOTO: DPA Welche Maschine darf’s denn sein? Die Zulassungs­zahlen steigen rasant an. Auch so mancher Wiedereins­teiger gibt wieder Gas.

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