Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Aberwitz aus dem Ghettoblaster
Landestheater Tübingen liefert zum Abschluss der Theatersaison mit „Soul Kitchen“lautstarke Subkultur
- Beim letzten Theaterabend der Saison hat die Festhalle gedröhnt: Das zehnköpfige Ensemble des Landestheaters Tübingen (LTT) knallte mit der Musik bei „Soul Kitchen“dem Publikum tüchtig eins auf die Ohren.
Trotzdem bleibt festzuhalten: Die Truppe ist nicht nur laut, sondern sie hat auch sehr viel Talent: Sie ist schauspielerisch, musikalisch und akrobatisch immer wieder für Extremtouren gut. Einige Sitze blieben nach der Pause zwar leer. Dennoch großer Applaus für diese abgedrehte, lustvoll übersteuerte Show um Subkultur, Zuwanderer und Randständige aus dem Ghettoblaster.
Zugegeben: Es war kein feinsinniger Theaterabend, den hier Regisseur Dominik Günther nach dem Film des renommierten Autors und Filmemacher Fatih Akin über die Bühne schickte: Das Leben in der abgewrackten Hamburger Szenekneipe des Griechen Zinos Kazantsakis (Daniel Tille) ist eine grelle, multikulturelle Baustelle – Unfälle inbegriffen.
So landet auch Zinos – weil er eine Spülmaschine in seinen Laden bugsieren will – mit einem Bandscheibenvorfall auf der Liege der Physiotherapeutin, dumm gelaufen. Außerdem hat er das Finanzamt auf dem Hals, und dann taucht auch noch sein Bruder Illias (Thomas Zerck) auf, Knast-Freigänger und Zocker. Noch dümmer gelaufen. Eine kritische Masse.
Aber Zinos hat Herz und stellt ihn pro forma ein. Dafür macht sich seine Freundin Nadine (Carolin Schupa) vom Acker. Die Journalistin geht nach Shanghai. Kein Problem: Wozu gibt es Skype? Wie diese Kommunikation funktioniert – oder auch nicht, das wurde als groteske Persiflage inszeniert: sie hoch oben aus dem Gucklock, er unten in seiner Wohnung vor dem imaginären Bildschirm.
Apropos Imagination: Die war vom Publikum gefordert, wenn sich die originelle Ghettoblaster-Bühne (Sandra Fox) von der Küche zum Schlafzimmer wandelte oder von der Disco zum Wartezimmer. Wer noch nie jemanden via Skype auf den Bildschirm geholt hat, wird seine Fragezeichen hinter die Szenen gemacht haben, die atemberaubend schnell wechselten. Im Vorteil waren deshalb sicher jene Besucher, die vor der Vorstellung die Einführung von Birgit Reiher gehört hatten.
Akins Anliegen bei „Soul Kitchen“ist es, den Ausverkauf von Traditionen und das Plattmachen gewachsener Milieus anzuprangern, weil nur noch Geld und Profit zählen. Stichwort Gentrifizierung. „Es wird verkauft, was nicht verkauft werden kann: die Liebe, der Sex, die Seele und die Tradition!“, klagt Sternekoch Shayn (Andreas Guglielmetti), als Immobilienhai Neumann (Michael Ruchter) dem braven Zinos die Kneipe abluchsen will. Akin, der Hamburger mit türkischen Wurzeln, weiß genau, was er schreibt und inszeniert: Er engagierte sich zusammen mit anderen Künstlern gegen den Ausverkauf des Gängeviertels der Hansestadt. Mit Erfolg – die Stadt kaufte das Gebiet von den Investoren zurück.
Verdichtet, überdreht
Es gab also durchaus einen ernsthaften Anlass zu dem Treiben auf der Bühne. Doch der war allzu verrätselt in dieser Aufführung von Regisseur Günther und Dramaturgin Kerstin Grübmeyer. Sie haben die Vorlage eine Spur zu rasant verdichtet und überdreht, übrigens auch herzhaft sexuell aufgeladen. So blieb Transparenz auf der Strecke. Dazu passte allerdings der Probencharakter des Ganzen. Denn Sokrates, Zinos Untermieter ohne Zahlungsmoral, spielt den Regisseur, gibt Szeneneinsätze und blockt schon mal eine Handlung ab. Der Grieche Ermis Zilelidis, langjähriger Bühneninspezient beim LTT, sorgt in dieser Rolle für ein Stück Authentizität.
„Musik ist Essen für die Seele “– so schließt das Programmheft. Vermutlich hätten sich viele Besucher auch eine andere Seelenspeise vorstellen können. Anrührend immerhin das Duett von Daniel Tille und Carolin Schupa „Where the Wild Roses Grow“nach Kylie Minogue. Musikalisch aufwendig „Move on up“von Custis Mayfield, und eine Verbeugung vor dem verstorbenen Prince bot die Truppe mit „Cream“. „Alcohol is Free“war nicht zwangsläufig eine Labsal, aber mit „I want you Back“setzte Franziska Beyer (Lucia) zum Schluss einen musikalischen Höhepunkt. Hut ab auch vor dem musikalischen Leiter Jörg Wockenfuß. Szenenfoto aus dem Stück „Soul Kitchen“.