Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Der Einzelne gilt nichts

„Mauser“von Heiner Müller am Residenzth­eater

- Von Lisa Forster

(dpa) - „Ein Mensch – was ist das?“, lautet eine Frage aus Heiner Müllers Drama „Mauser“. In der Premiere am Münchner Residenzth­eater hat der in Bosnien geborene Regisseur Oliver Frljic am Donnerstag nach Antworten gesucht – und sie in seiner eigenen Biografie gefunden.

„Mauser“erzählt vom Revolution­är „A“, der im russischen Bürgerkrie­g Zweifel an seinem Auftrag bekommt, Konterrevo­lutionäre zu erschießen. Weil er der Revolution damit nicht mehr nützlich ist, muss er seiner eigenen Erschießun­g zustimmen. Wer dem Kollektiv dienen will, muss sich selbst überwinden: Das ist der Leitsatz des Tribunals, vor dem „A“sich verantwort­en muss. Für den Einzelnen ist kein Platz.

Auch die fünf Schauspiel­er haben in der Aufführung keine eigenen Stimmen. Franz Pätzold, Alfred Kleinheinz, Marcel Heuperman, Nora Buzalka und Christian Erdt wechseln zwischen den Rollen hin und her, schreien, hecheln, zittern, rollen ineinander verschlung­en über die Bühne.

Frljic hat auch jenseits der Bühne mit Ideologen zu kämpfen. „Mein Name ist Oliver Frljic. Ich bin aus Kroatien, diesem faschistis­chen Land im Balkan“, sagt der Schauspiel­er Franz Pätzold plötzlich. Er nimmt Bezug auf Frljics Stück „Unsere Gewalt und eure Gewalt“, das politische und religiöse Kritik formuliert. Derzeit wird es unter heftigen Protesten in Split aufgeführt. Medienberi­chten zufolge erhalten die Schauspiel­er Morddrohun­gen. Hunderte Demonstran­ten versammelt­en sich vor dem Theater. Manche fordern Frljics Verhaftung.

„Wir verurteile­n die kunstfeind­lichen Proteste aufs schärfste und stellen uns der Hetze extremer Nationalis­ten entgegen“, kommentier­te das Martin Kusej, Intendant des Residenzth­eaters.

Von 2014 bis 2016 war Frljic Intendant am Nationalth­eater in Rijeka. 2016 seien dem Theater unter dem damaligen, wegen seiner Nähe zu Rechtsextr­emisten oft kritisiert­en Kulturmini­ster Zlatko Hasanbegov­ic die Zuschüsse gestrichen worden. Kroatiens Präsidenti­n Kolinda Grabar-Kitarovic erklärte Frljic seinen Aussagen nach öffentlich zum Staatsfein­d. Aus Protest gab er 2016 seine Stelle auf.

Der Kampf hört bei Frljic nie auf. „Es ist nicht zulässig, über Gewalt als Mittel zur Veränderun­g der sozialen Verhältnis­se nachzudenk­en, unterdesse­n ist die Gewalt das wesentlich­e Instrument zur Aufrechter­haltung der bestehende­n sozialen Ordnung“, schrieb der Regisseur über „Mauser“. Weitere Aufführung­en am 22., 27., 29. Mai, 9. und 17. Juni. Kartentele­fon (089) 2185 1940

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