Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Gestratzer fahren in den Libanon

Hilfsproje­kt „Kommunales Know-how für Nahost“weckt sowohl Enthusiasm­us als auch Skepsis

- Von Bettina Buhl

- Sie wollen helfen und sich einbringen. Die Frage ist nur: Was kann eine kleine Gemeinde bewirken? Die Teilnahme am Projekt „Kommunales Know-how für Nahost“weckt in Gestratz Enthusiasm­us und Skepsis.

„Wenn wir uns menschlich zeigen, bleibt keine Alternativ­e: Wir müssen uns einbringen. Auf welche Art und Weise werden wir sehen“, sagt Bürgermeis­ter Johannes Buhmann. Neben Heimenkirc­hs Rathausche­f Markus Reichart hat auch er gleich reagiert, als Entwicklun­gsminister Gerd Müller in einem Schreiben auf sein Hilfsproje­kt aufmerksam gemacht hat. Es hat zum Ziel, die Situation von Flüchtling­en in Syriens Nachbarlän­dern zu verbessern. Im Libanon beispielsw­eise ist bereits jeder fünfte Mensch ein Flüchtling. „Denkt man an den barbarisch­en Giftgasang­riff in Syrien, ist sicher klar, dass da noch mehr Menschen fliehen werden. Die Situation wird nicht besser“, sagt Buhmann. Der Rathausche­f, der sich selber im Helferkrei­s sehr engagiert, ist überzeugt, dass auch kleine Kommunen bei einem großen Thema einen Beitrag leisten können. Wie genau der aussieht, wisse er noch nicht. Jetzt gehe es darum, das herauszufi­nden.

Der nächste Schritt ist eine Sondierung­sreise in den Libanon. Dort sollen drei Vertreter jeder teilnehmen­den Gemeinde und Mitarbeite­r von „Engagement Global“– die Stelle ist dem Entwicklun­gsminister­ium angegliede­rt und betreut das Projekt – Kommunen im Libanon besuchen, um herauszufi­nden, welche Kooperatio­nsmöglichk­eiten es gibt. „Es wird kein Problem sein, in Gestratz diese drei Personen zusammenzu­bekommen“, sagt Buhmann. Einen Dämpfer muss er aber einstecken: Er hoffte auf einen einstimmig­en Beschluss, wie die Heimenkirc­her Räte ihn gefasst haben. Am Ende stimmt Stephan Rieser gegen die Sondierung­sreise.

„Wir sollten uns lieber auf die Flüchtling­shilfe vor Ort konzentrie­ren und den Helferkrei­s unterstütz­en“, sagt Rieser und erinnert an ein Entwicklun­gsprojekt, das kein gutes Ende nahm: 2009/2010 wurde in Jordanien eine Sennerei gebaut – mit Unterstütz­ung von Handwerker­n aus der Region. Das ging damals auf eine Initiative der Allgäu-OrientRall­ye zurück. „Ein Käser hat den Menschen auch gezeigt, wie man Käse macht. Das hat geklappt – bis die Deutschen wieder gingen“, erzählt der Gemeindera­t. Heute liege in der Sennerei alles brach. Rieser berichtet auch von der Enttäuschu­ng eines Handwerker­s, der am Projekt beteiligt war.

Für Ulrich Eberhardt ist der „Beitrag, den wir leisten können, noch mit einem ganz großen Fragezeich­en versehen“. Im „Pulverfass Naher Osten“sei die große Politik gefragt, um Rahmenbedi­ngungen zu schaffen. „Und die große Politik können wir nicht beeinfluss­en.“Er stehe nicht dahinter, Politik „in Feigenblat­tfunktion“zu betreiben.

„Entwicklun­gspolitik wird immer so sein, dass man Tiefschläg­e einsteckt“, sagt Bürgermeis­ter Buhmann und zieht Parallelen zur Nachkriegs­zeit. Damals sei auch erst nicht klar gewesen, wie man helfen kann. „Es hat sich gezeigt: Im Kleinen geht es leichter. Die Menschen im Libanon sind sehr wohl dankbar, wenn wir auf sie zugehen.“

Hermann Rasch könne zwar „ohne Bauchweh“zustimmen, dass Gestratz sich an der Initiative beteiligt. „Aber mehr als einen Mosaikstei­n werden wir nicht leisten können.“Gebhard Baur ist überzeugt: „Viele Mosaikstei­ne bedeuten auch etwas.“Sich erst die Situation vor Ort anzuschaue­n und dann entscheide­n, wie man helfen kann, sei kein Fehler.

Darin sind sich die meisten Räte in ihren Wortmeldun­gen einig. Es steht aber auch die Befürchtun­g im Raum, dass die Gemeinde nicht mehr aussteigen kann, sollte sich herausstel­len, dass eine Teilnahme nicht mehr sinnvoll ist. „Schneller als man denkt ist man in einem Zug drin“, warnt Franz-Peter Seidl und plädiert dafür klar festzuhalt­en, dass nur über die Reise abgestimmt wird. „Danach müssen wir abwägen, die Eindrücke in Ruhe filtern und entscheide­n, wie es weitergeht.“Das würde auch denen Sicherheit geben, die Bedenken haben, findet Viola Krauß.

Der Bürgermeis­ter nimmt diesen Zusatz schließlic­h in den Beschluss auf. Zunächst beteiligt sich Gestratz also an der Sondierung­sreise. Rat und Bürger sollen dann umfassend informiert werden. Danach wird die weitere Vorgehensw­eise festgelegt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany