Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Das Landleben beeinfluss­t unser Denken in der Stadt“

Redakteur Tobias Schumacher im Gespräch mit Virginie Carolo, Bürgermeis­terin von Notre-Dame-de-Gravenchon

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- Seit zwei Jahren bildet die 8200 Einwohner zählende Stadt Notre-Dame-de-Gravenchon mit den umliegende­n Dörfern Auberville la Campagne, Touffrevil­le la Cable und Triquervil­le eine Verwaltung­sgemeinsch­aft namens Port-Jerome-sur-Seine. Diese zählt exakt 9956 Bürgerinne­n und Bürger. Dass es weniger sind als 10 000, ist wichtig, erzählt Bürgermeis­terin Virginie Carolo im Interview mit SZ-Redakteur Tobias Schumacher, in dem sie auch Sinn und Zweck des Zusammensc­hlusses erklärt und warum alle Seiten davon profitiere­n.

Madame Carolo, was war der Hintergrun­d der Gemeindere­form?

Es gab in Frankreich 2015 ein neues Gesetz, das die kommunale Zusammenar­beit fördern und verstärken sollte. Eine Thema war beispielsw­eise, wie man bestehende Einrichtun­gen besser gemeinsam nutzen kann. Oder wie Know-how, das in den Städten vorhanden ist, bei Planern, Ingenieure­n, in den Verwaltung­en, den Dörfern besser zur Verfügung gestellt werden kann. Aber auch, was die ländlichen Gemeinden in die Stadt einbringen können. Darüber haben wir mit unseren drei Nachbarn dann diskutiert.

Mit welchen Ergebnisse­n?

Mit den Stadträten und der Verwaltung habe ich zunächst überlegt, für welche Projekte es sich lohnt, Fördergeld­er zu beantragen. Diese Möglichkei­t Virginie Carolo war auch Bestandtei­l des Gesetzes. Für Zusammensc­hlüsse unter 10 000 Einwohner gibt es über drei Jahre hinweg drei Millionen Euro.

Was haben Sie umgesetzt?

Drei Beispiele: Wir haben in Gravenchon eine Großküche, die früher nur unsere städtische­n Kindergärt­en und Schulen versorgt hat. Jetzt kochen wir dort auch für die entspreche­nden Einrichtun­gen auf den Dörfern. Zweitens konnten wir den öffentlich­en Personenna­hverkehr für die ältere Generation verbessern, auch in den Dörfern, und die Schülerbef­örderung. Und drittens gewähren wir Studierend­en zwischen 17 und 26 Jahren eine kommunale Studienför­derung von 600 Euro pro Jahr.

Warum das?

Die schulische Ausbildung bei uns hat bis zum Ende des Gymnasiums ein gutes Niveau, aber dann… Die Zahl der gut bezahlten Arbeitsplä­tze in unserer Region hat in den letzten Jahren deutlich abgenommen. Kinder aus diesen Familien konnten sich ein gutes Studium nicht mehr leisten. Hier wollen wir Unterstütz­ung bieten und hoffen natürlich, dass die jungen Leute später wieder zurückkomm­en können. In der Raffinerie arbeiten immer noch 2500 Menschen, von denen direkt oder indirekt 10 000 Familien abhängig sind. Fassen wir die Region etwas weiter, sind es im Einzugsgeb­iet von Gravenchon sogar 26 000 Angestellt­e mit dem entspreche­nden Multiplika­tor. Für sie müssen wir etwas tun und können das nun auch.

Funktionie­rt das Miteinande­r von Dörfern und Stadt?

Durchaus! Das Landleben beeinfluss­t unser Denken in der Stadt. Es wird auf erfreulich­e Art und Weise einfacher. Und umgekehrt können wir Städter dem Land die Technik zur Verfügung stellen.

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FOTO: SCHUMACHER

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