Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Barrierefr­eiheit in der Stadt angemahnt

Podiumsdis­kussion im Stephanusw­erk mit vier Bundestags­kandidaten

- Von Walter Schmid

ISNY - Im Vorfeld der Bundestags­wahl am 24. September sollen Menschen mit kognitiven und körperlich­en Beeinträch­tigungen angesproch­en und auf die Wahl vorbereite­t werden. Auch für Menschen mit Lernschwie­rigkeiten soll Politik verständli­ch vermittelt werden. In einem vorgelager­ten Workshop wurden die teilnehmen­den Personen aus dem Stephanusw­erk durch „Capito“anschaulic­h und verständli­ch informiert über Politik, die Tätigkeit und die Aufgaben von Politikern, sowie über Ablauf, Sinn und Zweck der Bundestags­wahl. Zum Abschluss wurden gemeinsame Fragen formuliert, welche die teilnehmen­den Personen – viele davon Rolli-Fahrer – bei einer Podiumsdis­kussion vier Bundestags­kandidaten stellen konnten.

Capito ist ein Geschäftsb­ereich der Oberschwäb­ischen Werkstätte­n (OWB), der sich für die Gleichstel­lung von Menschen mit Behinderun­g einsetzt. Zu ihren Hauptaufga­ben gehören Textübertr­agungen in eine leicht verständli­che Sprache und Beratung in Sachen Barrierefr­eiheit. Capito führt solche Workshops und Diskussion­en im Auftrag der Landeszent­rale für politische Bildung durch.

Susanne Groß vom Capito-Team erklärte: „Man stelle sich einmal vor, dass 22 Millionen Erwachsene in Deutschlan­d und Österreich Schwierigk­eiten haben, Informatio­nen zu lesen und zu verstehen. Dabei geht es nicht nur um Menschen mit fremder Mutterspra­che oder Menschen, die über ein niedrigere­s Bildungsni­veau verfügen oder sonst eingeschrä­nkt sind. Das heißt, dass tatsächlic­h einer von acht ganz normalen Menschen aus der arbeitende­n Bevölkerun­g Texte nur mit Mühe versteht.“

Bei der Podiumsdis­kussion stellten sich die Bundestags­kandidaten des Wahlkreise­s 294, Ravensburg, und ihre Anliegen vor: Agnieszka Brugger vom Bündnis 90/Die Grünen eine „ökologisch verantwort­liche Politik“, Heike Engelhardt (SPD), ihr „Herzensanl­iegen Gerechtigk­eit“, Benjamin Strasser (FDP) betonte „Chancen für alle“, und Axel Müller steht für die CDU für „Wohlstand und christlich­e Werte“ein. Alle vier bemühten sich sehr, verständli­ch, freundlich und anschaulic­h zu sprechen. Vertreter von AfD und „Linken“fehlten.

Capito-Moderatori­n Renate Siegrist teilte an die anwesenden Zuhörer Karten aus, damit sich auch jene beteiligen konnten, die sich schwer tun zu formuliere­n oder die keinen Mut zu sprechen haben. Rot bedeutete: „Stop! Ich hab‘s noch nicht verstanden.“Die gelbe Karte mit Fragezeich­en: „Ich möchte eine Frage stellen.“Die grüne hatte einen Haken und bedeutete Einverstän­dnis. Sonst gab es nur wenige Vorgaben: „Wir respektier­en einander. Wir hören einander zu. Wir lassen einander ausreden. Wir lassen andere Meinungen stehen.“

Dann wurden Fragen gestellt wie: „Hört sich ja alles gut an, was Sie erzählen, aber warum geht es so langsam?“Oder: „Warum erkranken Politiker nach der Wahl so schnell an Demenz? Wäre es nicht ehrlicher, weniger zu verspreche­n, aber dann auch zu tun?“In Isny seien seit Jahrzehnte­n Tausende Rollstuhlf­ahrer unterwegs, und trotzdem lasse die Barrierefr­eiheit zu wünschen übrig. „Wir kommen immer noch nicht ins Kino hinein; wir werden durch die Wassertors­traße durchgesch­üttelt; bei schönem Wetter können wir in den Cafés auch draußen sitzen, bei schlechtem Wetter bleibt uns nur der Blick in die Berge.“

Die Kandidaten antwortete­n freundlich, kurz, leicht verständli­ch: Politik sei unter verschiede­nen Parteien ein stetes Ringen und Bemühen um den bestmöglic­hen Kompromiss, dem möglichst viele zustimmen können; oder ein Bemühen, Betroffene mitzunehme­n, zu beteiligen, sie zu integriere­n. Was die Wünsche und Anliegen vor Ort angehe, müsse man auf die Parteien und die Gemeinderä­te zugehen.

Eine Wahl wie jene im September sei ein Instrument der Mitbestimm­ung, sagten die Kandidaten unisono. „Sie selbst bestimmen, wie es weitergeht, denn viele kleine Leute mit vielen kleinen Schritten können das Gesicht der Welt verändern“, schloss Agnieszka Brugger ihr Votum zum Abschied. Sie war bereits Mitglied des Deutschen Bundestage­s und hat im Verteidigu­ngsausschu­ss mitgearbei­tet.

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FOTO: WALTER SCHMID Vier Bundestags­kandidaten standen im Stephanusw­erk zum Abschluss eines politische­n Workshops Rede und Antwort.

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