Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Barrierefreiheit in der Stadt angemahnt
Podiumsdiskussion im Stephanuswerk mit vier Bundestagskandidaten
ISNY - Im Vorfeld der Bundestagswahl am 24. September sollen Menschen mit kognitiven und körperlichen Beeinträchtigungen angesprochen und auf die Wahl vorbereitet werden. Auch für Menschen mit Lernschwierigkeiten soll Politik verständlich vermittelt werden. In einem vorgelagerten Workshop wurden die teilnehmenden Personen aus dem Stephanuswerk durch „Capito“anschaulich und verständlich informiert über Politik, die Tätigkeit und die Aufgaben von Politikern, sowie über Ablauf, Sinn und Zweck der Bundestagswahl. Zum Abschluss wurden gemeinsame Fragen formuliert, welche die teilnehmenden Personen – viele davon Rolli-Fahrer – bei einer Podiumsdiskussion vier Bundestagskandidaten stellen konnten.
Capito ist ein Geschäftsbereich der Oberschwäbischen Werkstätten (OWB), der sich für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung einsetzt. Zu ihren Hauptaufgaben gehören Textübertragungen in eine leicht verständliche Sprache und Beratung in Sachen Barrierefreiheit. Capito führt solche Workshops und Diskussionen im Auftrag der Landeszentrale für politische Bildung durch.
Susanne Groß vom Capito-Team erklärte: „Man stelle sich einmal vor, dass 22 Millionen Erwachsene in Deutschland und Österreich Schwierigkeiten haben, Informationen zu lesen und zu verstehen. Dabei geht es nicht nur um Menschen mit fremder Muttersprache oder Menschen, die über ein niedrigeres Bildungsniveau verfügen oder sonst eingeschränkt sind. Das heißt, dass tatsächlich einer von acht ganz normalen Menschen aus der arbeitenden Bevölkerung Texte nur mit Mühe versteht.“
Bei der Podiumsdiskussion stellten sich die Bundestagskandidaten des Wahlkreises 294, Ravensburg, und ihre Anliegen vor: Agnieszka Brugger vom Bündnis 90/Die Grünen eine „ökologisch verantwortliche Politik“, Heike Engelhardt (SPD), ihr „Herzensanliegen Gerechtigkeit“, Benjamin Strasser (FDP) betonte „Chancen für alle“, und Axel Müller steht für die CDU für „Wohlstand und christliche Werte“ein. Alle vier bemühten sich sehr, verständlich, freundlich und anschaulich zu sprechen. Vertreter von AfD und „Linken“fehlten.
Capito-Moderatorin Renate Siegrist teilte an die anwesenden Zuhörer Karten aus, damit sich auch jene beteiligen konnten, die sich schwer tun zu formulieren oder die keinen Mut zu sprechen haben. Rot bedeutete: „Stop! Ich hab‘s noch nicht verstanden.“Die gelbe Karte mit Fragezeichen: „Ich möchte eine Frage stellen.“Die grüne hatte einen Haken und bedeutete Einverständnis. Sonst gab es nur wenige Vorgaben: „Wir respektieren einander. Wir hören einander zu. Wir lassen einander ausreden. Wir lassen andere Meinungen stehen.“
Dann wurden Fragen gestellt wie: „Hört sich ja alles gut an, was Sie erzählen, aber warum geht es so langsam?“Oder: „Warum erkranken Politiker nach der Wahl so schnell an Demenz? Wäre es nicht ehrlicher, weniger zu versprechen, aber dann auch zu tun?“In Isny seien seit Jahrzehnten Tausende Rollstuhlfahrer unterwegs, und trotzdem lasse die Barrierefreiheit zu wünschen übrig. „Wir kommen immer noch nicht ins Kino hinein; wir werden durch die Wassertorstraße durchgeschüttelt; bei schönem Wetter können wir in den Cafés auch draußen sitzen, bei schlechtem Wetter bleibt uns nur der Blick in die Berge.“
Die Kandidaten antworteten freundlich, kurz, leicht verständlich: Politik sei unter verschiedenen Parteien ein stetes Ringen und Bemühen um den bestmöglichen Kompromiss, dem möglichst viele zustimmen können; oder ein Bemühen, Betroffene mitzunehmen, zu beteiligen, sie zu integrieren. Was die Wünsche und Anliegen vor Ort angehe, müsse man auf die Parteien und die Gemeinderäte zugehen.
Eine Wahl wie jene im September sei ein Instrument der Mitbestimmung, sagten die Kandidaten unisono. „Sie selbst bestimmen, wie es weitergeht, denn viele kleine Leute mit vielen kleinen Schritten können das Gesicht der Welt verändern“, schloss Agnieszka Brugger ihr Votum zum Abschied. Sie war bereits Mitglied des Deutschen Bundestages und hat im Verteidigungsausschuss mitgearbeitet.