Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Ungewöhnli­ch brachial und rücksichts­los“

Überfall auf Juwelier in Kempten rekonstrui­ert – Polizeiprä­sident lobt couragiert­e Passanten

- Von Michael Munkler

KEMPTEN - Nach dem Überfall auf ein Juwelierge­schäft in Kempten vergangene­n Mittwoch hat die Polizei nun weitere Einzelheit­en bekannt gegeben und den Ablauf rekonstrui­ert. Dabei halfen den Beamten Videoaufze­ichnungen aus dem Verkaufsra­um. Polizeispr­echer Christian Eckel nennt den Überfall, der sich in nur zwei Minuten abspielte, „ungewöhnli­ch brachial und rücksichts­los“. Der Allgäuer Polizeiprä­sident Werner Strößner dankte den Passanten, die einen der Räuber verfolgt und festgehalt­en hatten, für „ihr mutiges Eingreifen“. Gegen die vier Täter aus Litauen im Alter von 22 bis 26 Jahren erging mittlerwei­le Haftbefehl.

Der Ablauf der Ereignisse:

Mittwoch, 11.05 Uhr: Ein vermeintli­cher Kunde taucht vor dem Juwelierge­schäft auf und bittet um Einlass. Ein Angestellt­er öffnet. Der nicht maskierte Mann schlägt ihm umgehend mit der Faust ins Gesicht und drückt ihn ins Innere des Geschäfts.

11.06 Uhr: Der Räuber und drei Komplizen sind nun im Verkaufsra­um, wo sich zudem noch zwei Verkäuferi­nnen und eine Kundin befinden. Mit zwei Beilen schlagen sie auf Vitrinen ein und packen hochwertig­e Uhren und Schmuck in mitgebrach­te Taschen. Die Täter sind nicht maskiert, gepflegt gekleidet und tragen Sonnenbril­len sowie Baseball-Kappen. Ein Mitarbeite­r des Juweliers, der sich in einem Nebenraum aufhält, ruft die Polizei.

11.08 Uhr: Die Täter flüchten mit der Beute in unterschie­dliche Richtungen und laufen durch die Kemptener Innenstadt. Ein Juwelier-Mitarbeite­r verfolgt einen Räuber. Zwei weitere Passanten laufen hinterher und helfen, den 26-Jährigen zu stellen. Der Mann wehrt sich mit Pfefferspr­ay. Die Passanten halten ihn fest, bis die Polizei eintrifft. Die Beamten nehmen ihn fest. Inzwischen hat die Polizei die Öffentlich­keit vor den noch flüchtigen Tätern gewarnt. Sie könnten bewaffnet sein, heißt es. Eine Schule wird geschlosse­n, in einem Kindergart­en werden die draußen spielenden Kinder hereingeho­lt und die Türen verschloss­en.

11.30 Uhr: In einem Hinterhof in der Innenstadt überwältig­t die Polizei einen 22-Jährigen, der an dem Coup beteiligt war.

13.40 Uhr: Am Kemptener Ostbahnhof gelingt der Polizei ein weiterer Zugriff: Ein 22-Jähriger wird festgenomm­en.

14.20 Uhr: Entwarnung: Auch der letzte Tatverdäch­tige (23) geht den Beamten im Stadtteil St. Mang ins Netz. Die öffentlich­e Fahndung wird aufgehoben.

Am Tag danach: Polizeiche­f Werner Strößner ist nach eigenen Worten „erleichter­t, dass niemand schwer verletzt wurde“. Die Polizei spricht von fünf Leichtverl­etzten.

Ermittlung­en: Zwei der Festgenomm­enen sind amtsbekann­t: Der 26-Jährige wurde von den Justizbehö­rden Dortmund und Köln gesucht – unter anderem wegen Hehlerei. Bei dem 23 Jahre alten Festgenomm­enen vermuten die Ermittler, dass er an einem Überfall auf einen Juwelier in Oberstaufe­n am 5. Oktober 2015 beteiligt war.

Immer mehr Fälle: In den vergangene­n Jahren haben sich in Deutschlan­d ähnlich geartete Überfälle auf Juwelierge­schäfte gehäuft. Fast alle wurden von Banden aus Litauen verübt.

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