Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Schließen der Versorgungslücke
Für das Projekt Gerinove entsteht ein Neubau am Krankenhaus 14 Nothelfer in Weingarten
- Im Zuge des Projekts „Geriatrische Notfallversorgung“(Gerinove) wird der Medizin Campus Bodensee am Weingartener Krankenhaus 14 Nothelfer eine Station mit 18 Betten bauen. In Modulbauweise soll hinter der Klinik ein neues Gebäude mit neun Zweibettzimmern und Funktionsräumen entstehen, das über einen Gang mit dem Hauptgebäude verbunden ist. Gefördert wird das gemeinsame Projekt des Medizin Campus Bodensee und der Stiftung Liebenau über einen Bundes-Innovationsfonds in Höhe von 4,6 Millionen Euro für drei Jahre.
Bei dem Projekt geht es um die adäquate, bedarfsgerechte Betreuung geriatrischer Patienten. Als Beispiele nennt Projektleiterin Ingrid Jörg unter anderem Pflegebedürftige, die für einen bestimmten Zeitraum eine zeitlich aufwendigere und qualifiziertere Wundversorgung brauchten, oder demente Menschen, deren Betreuer für einen bestimmten Zeitraum ausfielen. Bundesweit landen solche Patienten oft in teuren Krankenhausbetten mit angeschlossener Diagnostik und medizinischer Versorgung.
Im Projekt Gerinove soll es ein mehrstufiges Verfahren geben. Ziel sei, den Patienten, wenn möglich, ambulant zu versorgen, sagt Ingrid Jörg. Sie ist zugleich auch Klinikleiterin in Tettnang und seit 1. Juli auch in Weingarten. Erst wenn das nicht funktioniere, komme es zum Aufenthalt auf der rein pflegerisch ausgerichteten Gerinove-Station. Bei der Entlassung werde dann geprüft, wie der Patient langfristig adäquat weiter versorgt werden könne. In der Praxis soll das so aussehen: Wenn ein Patient aufgenommen wird, soll ein Mitarbeiter prüfen, ob die Strukturen im häuslichen Umfeld so weit aufgebaut werden können, dass ein Daheimbleiben möglich ist. Ein eigener ambulanter Pflegedienst ist an Gerinove nicht angedockt, sagt Ingrid Jörg: „Es geht uns darum, die Versorgung zu koordinieren. Es wird keine Konkurrenz zu bestehenden Systemen geben.“In der Praxis könne das beispielsweise bedeuten, einen Quartiersmanager zu kontaktieren, einen Pflegedienst einzuschalten, eine vorhandene Nachbarschaftshilfe zu nutzen, Kontakt zu Angehörigen aufzunehmen oder auch mit Krankenkassen über Leistungen für den Patienten zu sprechen.
Mitarbeiter-Zahlen unklar
Erst wenn sich zeige, dass die Betreuung in den eigenen vier Wänden nicht engmaschig genug eingerichtet werden könne, sollen Patienten auf der neuen Station aufgenommen werden. Zur Zahl der Mitarbeiter äußert sich Ingrid Jörg nicht, sagt aber zum Konzept: „Es wird eine rein pflegerisch geleitete Station sein.“Die Qualifikationen der Mitarbeiter sollen dabei von hochqualifizierten akademischen Pflegekräften bis hin zu Altenpflegehelfern reichen. Sollte ein Arztbesuch notwendig sein oder müsse der Patient wegen einer Verschlechterung des Gesundheitszustands sogar in die Klinik, könnten die Strukturen des Krankenhauses 14 Nothelfer genutzt werden, sagt Ingrid Jörg. Schließlich sei dieses über den Gang erreichbar.
Bei der Entlassung seien verschiedene Szenarien denkbar: So könne es unter anderem sein, dass das verbesserte ambulante Netzwerk eine dauerhafte, adäquate Lösung sei, dass der stationäre Patient einfach wieder nach Hause könne, oder dass über die Station ein Platz in einem Pflegeheim organisiert werde.
Kosteneinsparung sei nicht das vorrangige Ziel, so Jörg, aber: „Wir gehen davon aus, dass die Betreuung auch günstiger sein wird.“Vor allem ginge es um die Frage, ob die Form der Versorgung besser auf die Patienten abgestimmt sei als bei vorhandenen Strukturen.
Ziel sei es, die Selbstständigkeit der Patienten zu erhalten, entweder über eine besondere Mobilisierung durch Netzwerke im häuslichen Umfeld oder auf der Station.
Betreut werden sollen Patienten von allen drei Medizin CampusStandorten Friedrichshafen, Tettnang und Weingarten. Ob eine solche Station, die weitere Finanzierung vorausgesetzt, überall oder zentral eingerichtet werden könnte, soll sich auch im Zuge des Projekts zeigen. Ingrid Jörg: „Wir müssen erst einmal prüfen, wie hoch der Bedarf genau sein wird.“Offizieller Projektstart ist Dezember 2017. Ab Juni 2018 sollen die ersten Patienten aufgenommen werden. Bis dahin soll das Personal eingestellt und das Gebäude aufgebaut sein. Zu den Baukosten äußert sich Ingrid Jörg nicht.
Hochschule begleitet Projekt
Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt von der Hochschule Ravensburg-Weingarten, namentlich von Maik Hans-Joachim Winter. Er ist Professor für Pflegelehre. Forschungsfragen werden unter anderem sein, ob Patienten seltener ins Krankenhaus müssen, wenn sie länger daheim bleiben können und ob das speziell qualifizierte Personal diese Versorgungsform effektiv abdecken kann. Die BKK MTU sowie die BKK ZF & Partner stellen für die Vergleichsgruppe der Untersuchung anonymisierte Patientendaten zur Verfügung. Auch die AOK habe Interesse angemeldet, sagt Ingrid Jörg.
In den 27 Monaten Betrieb rechnet Ingrid Jörg nach derzeitigem Stand bei einer Verweildauer von durchschnittlich fünf Tagen mit etwa 2500 Patienten. Die letzten drei Monate des Projekts sind für die Auswertung geplant. Sollte das neu entwickelte Modell des Medizin Campus und der Stiftung Liebenau Erfolg haben, könne es durchaus sein, so Jörg, dass daraus eine Regelversorgung erwachse: „Wir sehen da eine wirkliche Innovation.“