Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Der Ball rollt
Mit Spenden von Lesern der „Schwäbischen Zeitung“konnte im Flüchtlingscamp Mam Rashan ein Fußballplatz finanziert werden
- Die Sonne ist schon tief im Westen, doch sie brennt immer noch heiß vom Himmel. Es sind 40 Grad, vielleicht auch mehr. Trotz der Gluthitze springen die jungen Männer auf dem Platz auf und ab, sie können den Anfang des Spiels kaum erwarten. Dann endlich der ersehnte Anpfiff. Der Ball rollt auf dem Fußballfeld im Flüchtlingscamp Mam Rashan im Nordirak. Die Zaungäste jubeln.
Dass die Jungs heute hier spielen können, verdanken sie den Leserinnen und Lesern der „Schwäbischen Zeitung“. Der Platz wurde mit den Spenden finanziert, die im Rahmen der letztjährigen Weihnachtsaktion eingingen. „Es ist für uns ein großes Glück, dass dieser Platz gebaut werden konnte“, sagt Shero Simo Juqi, der junge Leiter des Camps. Fast 6000 Flüchtlinge leben in Mam Rashan, zurzeit ziehen mehr als 2500 Neuzugänge ein. Das Camp ist längst zu einer Kleinstadt geworden. „Es ist wichtig, dass die Jugendlichen eine Beschäftigung haben“, betont Shero.
In Mam Rashan leben Jesiden aus der Sindschar-Region ganz im Nordwesten des Irak. Sie flohen im Sommer vor drei Jahren, als der sogenannte „Islamische Staat“die Region überrannte. Jesiden sind für die Dschihadisten Teufelsanbeter. Die Fanatiker brachten Tausende von ihnen um, verschleppten und vergewaltigten jesidische Frauen und Kinder. Jetzt zerfällt ihr dunkles, menschenfeindliches Reich.
Keine rasche Rückkehr
Ihre einstige Hauptstadt im Irak, die Millionenstadt Mossul, in der ihr Führer Abu Bakr al-Bagdadi am 4. Juli 2014 das Terror-Kalifat ausrief, ist gerade in blutigen, opferreichen Kämpfen von der irakischen Armee zurückerobert worden, auch die Sindschar-Region ist befreit. Eine rasche Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat ist aber nicht zu erwarten.
Die Stadt Sindschar und alle Dörfer in der Umgebung sind noch immer Trümmerwüsten. Der Aufbau kommt nicht voran, auch, weil sich in der Region verschiedene kurdische Gruppen und schiitische Milizen feindlich gegenüberstehen. Nach dem Niedergang des Terror-Kalifats brechen alte Konfliktlinien zwischen den bislang Verbündeten wieder auf. Leidtragende sind die Flüchtlinge, die in den gut zwei Dutzend Camps in der autonomen Region Kurdistan leben müssen.
In Mam Rashan richten sie sich darauf ein, noch lange hier bleiben zu müssen. „Fünf Jahre oder mehr“, schätzt Campleiter Shero, wird das Camp noch Bestand haben. Sie werden auch weiter auf Hilfe angewiesen sein. Die kurdische Autonomieregierung schultert die Last von über zwei Millionen Binnenvertriebenen und syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen. Für Deutschland entspräche das, gemessen an der Einwohnerzahl, einem Flüchtlingszustrom von fast 40 Millionen Menschen.
Die Schlacht um Mossul hat mehr als eine Million Menschen obdachlos gemacht. Der Westteil der Stadt ist eine apokalyptische Ruinenlandschaft, zermalmt von den Luftangriffen der US-geführten Koalition, dem gnadenlosen Artilleriefeuer der irakischen Armee und Bundespolizei und den zahllosen Selbstmordangriffen der Terroristen, die dort bis zum ihrem Untergang gekämpft haben. Die Kurden befürchten jetzt, dass sich die internationale Hilfe auf die Nothilfe für die Opfer der Kämpfe um Mossul konzentrieren wird und sie im Stich gelassen werden.
In Mam Rashan geht es nicht mehr nur um Nothilfe. Es geht um Perspektiven für die Einwohner des Camps. Bildung, Arbeit, Beschäftigung. Die Dankbarkeit über die Hilfe aus dem fernen Schwabenland ist deswegen groß. Im Begegnungszentrum am Rande des Camps, das ebenfalls mit Spenden aus der Weihnachtsaktion der „Schwäbischen Zeitung“gebaut werden konnte, können die Kinder und Jugendlichen Tischtennis und Kicker spielen, Abwechslung vom oft so eintönigen Alltag. Hier werden Englischkurse angeboten, Frauengruppen nähen gemeinsam, Therapeuten aus dem nahen Dohuk unterstützen diejenigen, die sich aus der Gefangenschaft der Terroristen retten konnten, bei der Aufarbeitung der Schrecken, die sie durchleiden mussten.
Der Fußballplatz ist aber jetzt das neue Herz des Camps. Jeder Junge spielt hier Fußball, viele, die sich das Eröffnungsspiel anschauen, tragen Trikots von Real Madrid und Barcelona, einige wenige auch die Trikots deutscher Mannschaften. Arshad, 15, hat eines von Bayern München an, und er lacht, als er die älteren Jungs spielen sieht. „Das ist sehr schön, dass wir jetzt so einen guten Platz haben“, sagt er. Das Feld ist sogar mit Flutlicht ausgestattet, damit sie hier spätabends spielen können, wenn es nicht mehr so heiß ist. Campleiter Shero will auch Mädchen-Teams aufstellen und trainieren lassen. Das wäre ein Novum. Die jesidische Gesellschaft ist eine sehr patriarchale.
„Ich wünsche den Jugendlichen, dass sie den Kummer vergessen können, wenn sie hier spielen“, sagt Ismail Mohammed Ahmad, der Vizegouverneur der Provinz Dohuk, bei der feierlichen Eröffnung, während der viel gesprochen wird, wie es hier üblich ist. Dann endlich ertönt der Anpfiff. Das Spiel endet 0:0. Als Gewinner können sich an diesem Tag aber viele fühlen.