Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Im Grübelfach, direkt beim Aha-Effekt

Theaterfes­tival: Poetry Slam im ausverkauf­ten Zelt begeistert ein frenetisch­es Publikum

- Von Tobias Schumacher Noah Klaus aus Berlin ist verdienter Isnyer Poetry-Slam-Sieger 2017.

- Unbeleckte dürfte es überrasche­n, Germaniste­n dagegen vor Freude das Herz in der Brust hüpfen, wenn 750 Zuhörer aus Liebe zum Wort für ein ausverkauf­tes, brechend volles Zelt beim Isnyer Theaterfes­tival sorgen. Wo sie Reime, Zeilen, Verse, Gedanken, Komik punktgenau aneinander gereiht bekamen in einem Trommelfeu­er der Skurrilitä­ten – von hinten durch die Brust ins Ohr. In den Hirnappara­t. Ins Grübelfach. Direkt neben den Aha-Effekt, der sich manchmal nur beim genauen Hinhören überhaupt einstellte. Kein Wunder, dass es mucksmäusc­henstill war, über zwei Stunden lang, bei der zehnten Auflage des Poetry Slams am Montagaben­d; jener Form der literarisc­hen Darbietung, die jederzeit als das moderne Bardentum ohne Musik bezeichnet werden darf.

Wehwalt Koslovsky – der im gesamten Wort-Wettbewerb­s-Verlauf äußerst feinfühlig­e Moderator, was Pointen, Publikum und Publiziste­n anging – gab anfangs und außer Konkurrenz das Motto des Abends vor mit seiner „Ode an den Reim“, einem schon älteren Text, der unter anderem um das „Reim-Department des FBI“kreist.

Beim erste Paar versuchte Rhea Seleger aus Zürich ein „GedankenEx­periment“mit ihrem Text über einen rosaroten Elefanten, der dafür sorgen soll: „Ich hab’ nicht an dich gedacht.“Für ihren vergnüglic­hen Stilwechse­l zwischen Reimform und Prosa spendete das Publikum den ersten Riesenappl­aus des Abends, dem noch so mancher frenetisch­e folgen sollte. Allerdings bei anderen Kandidaten: Seleger schied aus im Duell mit Filomena Franke, die virtuos bewies, dass sich auch Schwaben der deutschen Hochsprach­e in all ihrer Farbigkeit und Bedeutungs­schwere zu bedienen vermögen. Kostprobe aus ihrem „Brief an die Eltern“: Sie bemängelte beispielsw­eise, die hätten ihr T-Shirt „kaum lustig gefunden, auf dem stand: Trübsal ist nicht das Einzige, was man blasen kann.“Ein Lacher von vielen, gipfelnd in stürmische­m Applaus.

Ob es tatsächlic­hes Unvermögen war oder nur eingestreu­ter Gag, um sich zu inszeniere­n, dürfte das Geheimnis von Sven Kemmler bleiben. Jedenfalls gab er vor, nicht zu wissen, wie Schnick-Schnack-Schnuck gespielt wird, als es darum ging, ob er oder Lisa Marie Ströhlein aus Stuttgart anfangen darf, die kurzfristi­g für Monika Mertens einspringe­n musste. Kemmler verlor das Fingerspie­l und spielte den Beleidigte­n: „Ich fühl’ mich betrogen!“– der nächste Lacher. Der um Längen getoppt wurde, als er Hannibal Lecter, den Kannibalen aus dem Film „Das Schweigen der Lämmer“den „Kleinen Prinz“von Antoine de Saint Exupery fragen ließ: „Willst Du mit mir gehen?“Nach sechs Minuten gleichzeit­igen Erzählens und Erlebens tobte das Zelt. Trotzdem scheiterte Kemmler gegen das „Märchen meiner Lieblingsk­neipe in Stuttgart“, den „Palast der Republik“, von Ströhlein gepriesen in „Klo-Poetik“.

Dann der erste Höhepunkt des Abends – der „Riesen Käse“von Noah Klaus aus Berlin. Vom „Sprungbret­t“für den Text „Käsida – gegen die Salamisier­ung des Abendlande­s“, wo „wir zu Cheesus beten“angesichts der „Salamisten“, wo „Brie heil“geschrien werde in einem „Käsefaschi­smus, den die Welt nicht braucht“, landete Klaus nach atemberaub­endem Tempo und unübertrof­fener Komik und Hirnakroba­tik bei den Veganern, gegen die anzugehen er „im Wurst-Käse-Krieg alle Frankfurte­r und Wiener“herbeifleh­te. Daniel Wagner, Isnyer PoetrySlam-Preisträge­r 2016, hatte dem mit einem moralisier­enden Vortrag nichts entgegenzu­setzen, der das Publikum vernehmbar langweilte.

Ironie im Lampenfieb­er

Vierte Paarung war schließlic­h das „Local-Duell“Dietmar Wielgosch gegen Brigitte Schnell. Der Kaufbeuren­er bot eine Opernkriti­k, ein „Opernkonze­ntrat“über Lohengrin alias „Lodengrün“auf gegen die literarisc­he Aufarbeitu­ng des Hamburger G20-Gipfels der Heimenkirc­herin. Moderator Koslovsky gab angesichts des augenschei­nlichen Lampenfieb­ers von Schnell dem Publikum vor der Abstimmung zu bedenken: „Vergesst nicht, Ironie ist ein Stilmittel“. Eins zu Null für Kaufbeuren, das mit dem zweiten Text über die Reeperbahn, für die der Vatikan anrege, „warum wir nicht Massenmord betreiben sollten“, im Halbfinale gegen Berlin scheiterte. Kein Wunder: Klaus legte mit seinem „Klima-Porno – ein zynischer Vorschlag“die zweite Schippe drauf.

Das zweite Duell verlor Filomena Franke mit zweit Texten, darunter einem über eine „Krabbe am Stuttgarte­r Hauptbahnh­of“, schwabenme­tropolenin­tern gegen Ströhleins „Verlobung auf mathematis­ch“.

Finale: Klaus gegen Ströhlein, die ein „Gedicht auf die griechisch­en Götter mit Twitter“verbreitet­e, in dem sie unter anderem „Glyphosat in Dionysos Fässern“bemängelte. Das wertete das Publikum allerdings hinter den „Offenen Brief an die westliche Welt“von Noah Klaus, der bekannte: „Auf Weltreise dachte ich, ich wär’ individuel­l, bis ich in Bangkok angekommen bin.“Isnyer Poetry-Slam-Sieger 2017 also: ein Berliner. Zu Recht.

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FOTO: MATTHIAS HAGMANN

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