Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Im Grübelfach, direkt beim Aha-Effekt
Theaterfestival: Poetry Slam im ausverkauften Zelt begeistert ein frenetisches Publikum
- Unbeleckte dürfte es überraschen, Germanisten dagegen vor Freude das Herz in der Brust hüpfen, wenn 750 Zuhörer aus Liebe zum Wort für ein ausverkauftes, brechend volles Zelt beim Isnyer Theaterfestival sorgen. Wo sie Reime, Zeilen, Verse, Gedanken, Komik punktgenau aneinander gereiht bekamen in einem Trommelfeuer der Skurrilitäten – von hinten durch die Brust ins Ohr. In den Hirnapparat. Ins Grübelfach. Direkt neben den Aha-Effekt, der sich manchmal nur beim genauen Hinhören überhaupt einstellte. Kein Wunder, dass es mucksmäuschenstill war, über zwei Stunden lang, bei der zehnten Auflage des Poetry Slams am Montagabend; jener Form der literarischen Darbietung, die jederzeit als das moderne Bardentum ohne Musik bezeichnet werden darf.
Wehwalt Koslovsky – der im gesamten Wort-Wettbewerbs-Verlauf äußerst feinfühlige Moderator, was Pointen, Publikum und Publizisten anging – gab anfangs und außer Konkurrenz das Motto des Abends vor mit seiner „Ode an den Reim“, einem schon älteren Text, der unter anderem um das „Reim-Department des FBI“kreist.
Beim erste Paar versuchte Rhea Seleger aus Zürich ein „GedankenExperiment“mit ihrem Text über einen rosaroten Elefanten, der dafür sorgen soll: „Ich hab’ nicht an dich gedacht.“Für ihren vergnüglichen Stilwechsel zwischen Reimform und Prosa spendete das Publikum den ersten Riesenapplaus des Abends, dem noch so mancher frenetische folgen sollte. Allerdings bei anderen Kandidaten: Seleger schied aus im Duell mit Filomena Franke, die virtuos bewies, dass sich auch Schwaben der deutschen Hochsprache in all ihrer Farbigkeit und Bedeutungsschwere zu bedienen vermögen. Kostprobe aus ihrem „Brief an die Eltern“: Sie bemängelte beispielsweise, die hätten ihr T-Shirt „kaum lustig gefunden, auf dem stand: Trübsal ist nicht das Einzige, was man blasen kann.“Ein Lacher von vielen, gipfelnd in stürmischem Applaus.
Ob es tatsächliches Unvermögen war oder nur eingestreuter Gag, um sich zu inszenieren, dürfte das Geheimnis von Sven Kemmler bleiben. Jedenfalls gab er vor, nicht zu wissen, wie Schnick-Schnack-Schnuck gespielt wird, als es darum ging, ob er oder Lisa Marie Ströhlein aus Stuttgart anfangen darf, die kurzfristig für Monika Mertens einspringen musste. Kemmler verlor das Fingerspiel und spielte den Beleidigten: „Ich fühl’ mich betrogen!“– der nächste Lacher. Der um Längen getoppt wurde, als er Hannibal Lecter, den Kannibalen aus dem Film „Das Schweigen der Lämmer“den „Kleinen Prinz“von Antoine de Saint Exupery fragen ließ: „Willst Du mit mir gehen?“Nach sechs Minuten gleichzeitigen Erzählens und Erlebens tobte das Zelt. Trotzdem scheiterte Kemmler gegen das „Märchen meiner Lieblingskneipe in Stuttgart“, den „Palast der Republik“, von Ströhlein gepriesen in „Klo-Poetik“.
Dann der erste Höhepunkt des Abends – der „Riesen Käse“von Noah Klaus aus Berlin. Vom „Sprungbrett“für den Text „Käsida – gegen die Salamisierung des Abendlandes“, wo „wir zu Cheesus beten“angesichts der „Salamisten“, wo „Brie heil“geschrien werde in einem „Käsefaschismus, den die Welt nicht braucht“, landete Klaus nach atemberaubendem Tempo und unübertroffener Komik und Hirnakrobatik bei den Veganern, gegen die anzugehen er „im Wurst-Käse-Krieg alle Frankfurter und Wiener“herbeiflehte. Daniel Wagner, Isnyer PoetrySlam-Preisträger 2016, hatte dem mit einem moralisierenden Vortrag nichts entgegenzusetzen, der das Publikum vernehmbar langweilte.
Ironie im Lampenfieber
Vierte Paarung war schließlich das „Local-Duell“Dietmar Wielgosch gegen Brigitte Schnell. Der Kaufbeurener bot eine Opernkritik, ein „Opernkonzentrat“über Lohengrin alias „Lodengrün“auf gegen die literarische Aufarbeitung des Hamburger G20-Gipfels der Heimenkircherin. Moderator Koslovsky gab angesichts des augenscheinlichen Lampenfiebers von Schnell dem Publikum vor der Abstimmung zu bedenken: „Vergesst nicht, Ironie ist ein Stilmittel“. Eins zu Null für Kaufbeuren, das mit dem zweiten Text über die Reeperbahn, für die der Vatikan anrege, „warum wir nicht Massenmord betreiben sollten“, im Halbfinale gegen Berlin scheiterte. Kein Wunder: Klaus legte mit seinem „Klima-Porno – ein zynischer Vorschlag“die zweite Schippe drauf.
Das zweite Duell verlor Filomena Franke mit zweit Texten, darunter einem über eine „Krabbe am Stuttgarter Hauptbahnhof“, schwabenmetropolenintern gegen Ströhleins „Verlobung auf mathematisch“.
Finale: Klaus gegen Ströhlein, die ein „Gedicht auf die griechischen Götter mit Twitter“verbreitete, in dem sie unter anderem „Glyphosat in Dionysos Fässern“bemängelte. Das wertete das Publikum allerdings hinter den „Offenen Brief an die westliche Welt“von Noah Klaus, der bekannte: „Auf Weltreise dachte ich, ich wär’ individuell, bis ich in Bangkok angekommen bin.“Isnyer Poetry-Slam-Sieger 2017 also: ein Berliner. Zu Recht.