Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Ministerpr­äsident Weil ließ Rede von VW-Juristen lesen

Niedersach­sens Regierungs­chef massiv unter Druck – Kauder fordert Rücktritt

- Von Andreas Herholz und dpa

HANNOVER (dpa/AFP) - Die Probleme von Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil wachsen. Innerhalb weniger Tage ist der SPDPolitik­er an zwei Fronten schwer unter Druck geraten: Zum unerwartet­en Verlust seiner rot-grünen Koalitions­mehrheit kommen nun unangenehm­e Fragen zu einer Regierungs­erklärung zum Dieselskan­dal. Diese hatte der VW-Konzern im Oktober 2015 vorab zur Prüfung bekommen. Die „Bild am Sonntag“berichtete nun, Juristen des Automobilk­onzerns hätten den Text frisiert, weichgespü­lt und Kritik abgeschwäc­ht. Dieser Darstellun­g widersprac­h Weil am Sonntag vehement.

Der Ministerpr­äsident, der im Aufsichtsr­at von VW sitzt, verteidigt­e sich und sprach von einer „bodenlosen Unterstell­ung“. Auch ein VWSprecher erklärte, es sei üblich, dass Aufsichtsr­atsmitglie­der geplante Aussagen über Konzernang­elegenheit­en mit dem Unternehme­n abstimmen. Das Land Niedersach­sen ist mit 20 Prozent zweitgrößt­er VWAnteilse­igner. Weil sagte, der Konzern habe 2015 die Fakten einer Regierungs­erklärung prüfen dürfen. Im Kern sei der Text unveränder­t geblieben, insbesonde­re die klare und harte Kritik an VW: „Wir haben uns sehr verantwort­ungsvoll verhalten.“

Auch eine interne Mail könnte den SPD-Politiker entlasten. In dem Schreiben soll seine Sprecherin Anke Pörksen gut eine Woche vor der strittigen Rede ihren Mitarbeite­rn klare Anweisunge­n über Grenzen der Abstimmung mit VW gegeben haben, wie das Redaktions­netzwerk Deutschlan­d berichtet: Keinesfall­s dürften politische Äußerungen mit dem Konzern abgestimmt werden.

Dennoch wächst der Druck auf Weil. Grünen-Politiker Jürgen Trittin forderte ihn auf, beide Redefassun­gen zu veröffentl­ichen. Scharfe Kritik kam von FDP-Parteichef Christian Lindner. Unionsfrak­tionschef Volker Kauder forderte Weil zum Rücktritt auf – jedoch aus einem anderen Grund. Der CDU-Politiker nahm Bezug auf die Reaktion der SPD auf den Verlust der Mehrheit im Landtag. In der „Welt am Sonntag“nannte Kauder die Sozialdemo­kraten „eine Truppe von Heuchlern“und forderte Weil zum sofortigen Rücktritt auf. Weil will jedoch bis auf Weiteres im Amt bleiben und setzt auf Neuwahlen. Sein Bündnis hatte die Ein-Stimmen-Mehrheit verloren, nachdem die Landtagsab­geordnete Elke Twesten am Freitag ihren Wechsel von den Grünen zur CDU angekündig­t hatte. Danach sah sie sich massiver SPD-Kritik ausgesetzt.

Heute will Weil mit den Fraktionsc­hefs über einen Termin für vorgezogen­e Landtagswa­hlen beraten. Vielleicht wird parallel zur Bundestags­wahl am 24. September abgestimmt.

-Neuer Ärger für Ministerpr­äsident Stephan Weil in Niedersach­sen: Nachdem überrasche­nden Verlust seiner rot-grünen Koalitions­mehrheit muss sich der SPD-Politiker weiteren Vorwürfen im VW-Diesel skandals tellen.E in eRegierung­s erklärung zur VW-Affäre ließ er im Oktober 2015 vorab an den Autokonzer­n geben. Die „Bild am Sonntag“berichtete, VW habe den Text zu seinen Gunsten verändert. Weil weist dies und eine Beeinfluss­ung durch die Firma zurück.

Im VW-Aufsichtsr­at

Das sind schwere Vorwürfe gegen Stephan Weil, die der jedoch am Sonntag zurückwies. Die niedersäch­sische Landesregi­erung habe VW damals lediglich um eine Prüfung der Fakten und rechtliche­r Fragen gebeten. „Wir haben kritisch geprüft, welche Rückmeldun­gen von VW rechtliche Gründe hatten und wo Kritik abgemilder­t werden sollte“, sagte Weil, der für das Land Niedersach­sen im VW-Aufsichtsr­at sitzt. Rechtliche Klarstellu­ngen habe man nachvollzo­gen, „die Kritik ist dringeblie­ben“, verteidigt­e der SPDPolitik­er das Vorgehen. Im Kern sei der Text seiner Rede unveränder­t geblieben. „Deswegen halte ich die jetzt erhobenen Vorwürfe für völlig unbegründe­t“, wehrte sich der Ministerpr­äsident und wittert einen Zusammenha­ng mit dem bevorstehe­nden Wahlkampf. Niedersach­sens Regierungs­sprecherin nannte die Berichte „grob verzerrend und irreführen­d“. Es habe sich nur um eine „Rückkopplu­ng“gehandelt.

SPD-Politiker Weil gerät mächtig unter Druck. Nach dem Paukenschl­ag am vergangene­n Freitag, als seine rot-grüne Landesregi­erung mit dem Wechsel der grünen Landtagsab­geordneten Elke Twesten zur CDU die Mehrheit verloren hatte, werden jetzt schwere Vorwürfe gegen die Staatskanz­lei und den Ministerpr­äsidenten laut. „Das war kein Faktenchec­k, wir haben die Rede umgeschrie­ben und weichgespü­lt“, wird in dem Zeitungsbe­richt ein VW-Mitarbeite­r zitiert. Weil hatte am Freitag einen Rücktritt abgelehnt und will Neuwahlen anstreben. Die könnten zusammen mit der Bundestags­wahl am 24. September stattfinde­n.

Schnelle Klärung gefordert

Bundespoli­tiker anderer Parteien forderten unterdesse­n schnelle Aufklärung vom niedersäch­sischen Ministerpr­äsidenten und übten harsche Kritik: „Wenn Ministerpr­äsident Weil eine Regierungs­erklärung von Volkswagen abnicken lässt, ist das Fundament unserer Marktwirts­chaft bedroht“, erklärte Grünen-Chef Cem Özdemir. Die Verquickun­g von Politik und Automobilw­irtschaft schade dem Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d, warnte er. Özdemirs Parteifreu­nd, der frühere Bundesumwe­ltminister Jürgen Trittin forderte Weil auf, für Klarheit zu sorgen und beide Rede-Fassungen zu veröffentl­ichen. „Der Aufsichtsr­at heißt nicht Aufsichtsr­at, weil er sich der Aufsicht des Vorstands unterwirft“, kritisiert­e der Grüne den Ministerpr­äsidenten. Auch FDP-Chef Christian Lindner forderte schonungsl­ose Aufklärung. „Wenn Herr Weil gelogen hat, wäre das ein Anlass für einen Rücktritt, unabhängig von den bevorstehe­nden Neuwahlen“, erklärte der Liberale.

Der Vorsitzend­e des Wirtschaft­sausschuss­es des Deutschen Bundestage­s, Peter Ramsauer (CSU), nannte die Vorwürfe „höchst merkwürdig“. „In der bayerische­n Staatskanz­lei jedenfalls wäre das nicht passiert. Dort wäre es auf keinen Fall notwendig, eine Rede des Ministerpr­äsidenten in der Audi-Zentrale Ingolstadt oder bei BMW in München redigieren zu lassen“, sagte er. „Träfen die Vorwürfe aber zu, wäre dies ein Armutszeug­nis für Niedersach­sens Ministerpr­äsident Weil“, erklärte der CSU-Politiker. „In jedem anderen Bundesland wäre das undenkbar“, sagte er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Bundesfami­lienminist­erin Katarina Barley (SPD) verteidigt­e Ministerpr­äsident Weil: „Ich finde es zudem befremdlic­h, dass die CDU jetzt mit einer Geschichte aus dem Jahr 2015 in den Wahlkampf zieht. Das sieht mir doch sehr nach einer konzertier­ten Aktion aus, um den guten Ruf von Stephan Weil als Ministerpr­äsident zu beschädige­n“, sagte die frühere SPD-Generalsek­retärin. „Das ist alles sehr unappetitl­ich.“

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FOTO: IMAGO Neuer Ärger für Ministerpr­äsident Stephan Weil. Er weist jedoch Vorwürfe wegen Absprachen mit dem VW-Konzern zurück.

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