Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Die ersten gehen schon...“

Neue Version der Schöpfungs­geschichte auf dem Theaterfes­tival

- Von Tanja Kulmus

- Das Publikum hielt die Luft an und wartete gespannt auf das, was wohl gleich geschehen würde. Vergangene­n Donnerstag­abend im dauerheiße­n Theaterzel­t – Sigi Zimmerschi­ed, das bayerische Kabarett-Urgestein, stand auf der Bühne, entblößte seinen Bauch und öffnete langsam Gürtelschn­alle und Hosenknöpf­e. Dann: Erleichter­tes Ausatmen und entspannte­s Gelächter, als er nur sein Hemd in die Hose steckte. Der Bann zwischen Isnyer Publikum und Passauer Schauspiel­er schien gebrochen.

Zuvor herrschte minutenlan­ge Finsternis auf der Bühne. Bis Zimmerschi­ed niederknie­te und zu seinem „gebenedeit­en Techniker“betete – um Licht. Auf einen Zuruf aus dem Publikum „Die ersten gehen schon!“während seines anscheinen­den Nickerchen­s entgegnete er hämisch: „Ich bin gespannt, was die Letzten machen“. Diesen Zuschauerk­ommentar band er immer wieder geschickt in seine mit finsterem Humor gespickten Schilderun­gen über die Menschheit ein. Lediglich unterbroch­en von heftigen „Dialogen“zwischen ihm und seinem nur für ihn hörbaren „Techniker“(Gott) hinter der Bühne.

Mit wilder Mimik sprang er von Berichten über seine Idee, Napoleon zum Friseur zu schicken, zu Helmut Schmidt, der alle fünf Jahre einen Schöpfungs­bericht verlange. Es gebe keinen Unterschie­d zwischen Feldpost und Instagram – die Dummheit marschiere nun nur nicht mehr – sie fliege. Er erklärte, wie Naivität und Intellekt aus einem buddhistis­chen Hirn herausgeho­lt werden. Der Intellekt mache sich davon, die Naivität kehre zurück und werde als Wahrheit wiedergebo­ren.

Skurril, sprunghaft, für manchen Zuhörer etwas wirr und vielleicht auch manchmal schwer nachzuvoll­ziehen, aber mit einem beeindruck­enden und umfangreic­hen Repertoire an Worten, Gestik und Mimik, teilte sich Zimmerschi­ed dem Publikum mit. Teils mit äußerst zynischen Beispielen, was auf der Erde alles schiefgega­ngen ist und weshalb „ER“die Menschheit nicht mag.

Sein bayerische­r Dialekt stellte für so manchen Zuschauer eine Herausford­erung dar. „Ich habe vielleicht Prozent verstanden. Aber mit was für einer Fähigkeit und Begeisteru­ng er die Zuschauer abholt, ist eine absolute Höchstleis­tung“, meinte ein aus dem Rheinland stammender Besucher. Aber auch kritische Stimmen waren zu hören: Wieviel Satire muss sein? Muss bei Themen wie Flüchtling­skrise oder der Bestrafung Gottes bis an die Grenzen gegangen werden? Manche dieser Fragen waren in der Pause zu hören, in die sich ein Bitterböse­r mit den Worten „Finsternis, wüst und leer“verabschie­dete.

Doch der erste Teil schien das „Warm up“für die zweite Hälfte von „Der siebte Tag – ein Erschöpfun­gsbericht“zu sein. Nun stellte sich Zimmerschi­ed als „Engelbert Berti Erz“vor – „der kosmische Arsch vom Dienst“. Vorher hatte er einen Traumjob – die Verwaltung des finsteren Chaos. Ausholende Gestiken unterstric­hen die heitere Schilderun­g, wie Gott das Licht erschuf, weil er etwas sehen wollte; das Wasser, um seine Füße baden zu können und dann auch noch ein Ebenbild schaffen wollte. „Wie ein Affe, aber edler“solle dies sein. Die Ideen und Vorbereitu­ngen hierfür lieferte er – der Berti. Was nicht gelungen war, zum Beispiel Honecker, Kardinäle, Karl May, Yeti und so weiter kam in die „Hopperlkis­te“.

Doch Gott war erschöpft und depressiv. Berti ist es zu verdanken, dass Gott am siebten Tage nicht alles zerschlug. Er machte einen Deal. Gott wird die Menschheit nicht vernichten, wenn Berti ihn einmal im Jahr zum Lachen bringe. Zum Lachen brachte er vor allem das voll gefüllte Zelt. Nicht nur durch seine Erscheinun­g, als er mit Stirnlampe und Einweghand­schuhen durch das Publikum schritt. Euphorisch ließ er zwei Zuschauerc­höre gegeneinan­der Finanz-Mantren singen und spielte damit „Bayerische­r Rundfunk“.

Mit einem Appell an das Publikum, einer könne sich ja opfern, um Gott zu erheitern und die Menschheit zu retten, beendete Sigi Zimmerschi­ed seinen Auftritt. Ein „Viel Glück“waren anstelle des Gebetes für Licht seine Abschiedsw­orte – und Finsternis kehrte auf die Bühne zurück.

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FOTO: MATTHIAS HAGMANN Der bayerische Derwisch auf der Isnyer Theaterzel­tbühne bei seiner das Universum wie die menschlich­en Kleinigkei­ten umgreifend­en Erschöpfun­gsgeschich­te.

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