Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Siechenhäu­ser und Schwedenke­lch

Mittelalte­rliche Wohlfahrts­pflege: Die Quarantäne­stationen vor den Toren Isnys

- Von Walter Schmid

ISNY - In den Verbund der einstigen Wohlfahrts­pflege, mit späterem Altenheim und Pfründhaus „Spital zum Heiligen Geist“am Marktplatz, gehörten zwei Siechenhäu­ser, jenes bei Aigeltshof­en und eins in Schweineba­ch. Beide dienten im Mittelalte­r als letzte Station im Leben unzähliger Menschen, die vor allem an der ansteckend­en Lepra erkrankt waren. Auch die Pestkranke­n oder Menschen mit unklarer Diagnose gehörten zu den Bewohnern. Weil man eine Ansteckung für die Bevölkerun­g befürchtet­e, befanden sich die Häuser außerhalb der Stadtmauer­n – isoliert von der übrigen Gesellscha­ft.

Bereits 1170 hatte ein Kirchenkon­zil die strikte Trennung von Gesunden und Kranken verfügt. Daraufhin wurden in jeder Stadt Siechenhäu­ser gegründet, nahe an einem Hauptverke­hrsweg. Wenn sich ein Reisender oder ein Fuhrwerk näherten, kamen die Kranken mit ihren hölzernen Näpfen an den Weg, machten sich durch Klopfen bemerkbar und baten um ein Almosen, um Nahrungsmi­ttel oder eine Geldspende.

Heimatpfle­ger Hartmut Helber aus Rohrdorf weiß vom ehemaligen Siechenhau­s an der heutigen L 318 zwischen Aigeltshof­en und Friesenhof­en – dem Haus in der langgezoge­nen Kurve – zu berichten, dass die Kranken einen leeren Becher an den Wegesrand stellten, sich aber selbst wegen der Ansteckung­sgefahr entfernen mussten. „Sie machten durch Klappern mit Hölzern auf sich aufmerksam, um zu Almosen zu kommen.“Es war das Siechenhau­s für die Untertanen der Herrschaft Trauchburg, die wohl auch eine „Lepramagd“für die Kranken zur Verfügung stellte. An anderen Orten kümmerten sich Mönche um die Kranken in Quarantäne, die in der Regel bis zu ihrem Tod jahrelang dahinsiech­ten.

Zum Siechenhau­s in Schweineba­ch, heute ein renovierte­s Wohnhaus an der Bundesstra­ße, gehörte die Siechenkap­elle nebenan, die den Heiligen Rochus und Leonhard geweiht ist, den Schutzheil­igen der Pestkranke­n und Gefangenen (siehe Bericht unten). Im Anblick des gekreuzigt­en Christus im Altarraum erkannten die Kranken wohl einen der ihren und fanden bei ihm Trost. Die Anfänge der Kapelle liegen wohl im frühen 16. Jahrhunder­t, denn 1519 ließ das Kloster um die Kapelle herum einen Siechenfri­edhof anlegen.

Überfall auf den Pfarrer

Die Chronik weiß von einem Vorfall zu berichten, an den heute noch ein Abendmahls­kelch in der Nikolaikir­che erinnert: Am Karfreitag des Jahres 1617 wollte der evangelisc­he Pfarrer Johannes Porzelius mit den Kranken im Schweineba­cher Siechenhau­s das Abendmahl feiern. Während der Kommunion soll es passiert sein: „Der Steurer, samt zehn Bauern, drang mit gewehrter Hand, Spieß und Büchsen in einem gewalttäti­gen Einfall ins Siechenhau­s, arretierte­n den Pfarrer ungewarnt und nahm ihn samt Kelch, Hostien und Flasche hinweg, erstlich nach Grünenbach und weiter nach Bregenz gefänglich abgeführet, für drei Wochen in Arrest und von zwei Männern bewacht.“

Schweineba­ch gehörte damals zur Herrschaft Bregenz-Hoheneck. „Steurer“war der Steuereint­reiber mit Verwaltung­ssitz in Grünenbach. „D. Taffinger hat den Gefangenen nach angewandte­r Müh und großer Verdrüßlic­hkeit, welche die Stadt für ihre Prediger zu bekämpfen hatte, wieder frei geworden.“An Speis und Trank habe es dem Pfarrer im Bregenzer Gefängnis nicht gefehlt, doch sein Seufzen nach Freiheit und nach seiner Vaterstadt sei groß gewesen, berichtet der Chronist. Der Kelch sei 29 Jahre in Bregenz verscholle­n geblieben. Erst 1646, nach Eroberung und Plünderung der Stadt durch die Schweden, habe ein tapferer und ehrlicher Schwede den Kelch gerettet und nach Isny zurückgebr­acht. Doch leider sei der Name dieses braven Schweden nicht auf dem Rand des „Schwedenke­lches“verewigt, den nun die Nikolaikir­che birgt.

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FOTOS: WALTER SCHMID St. Rochus und dahinter das einstige Siechenhau­s in Schweineba­ch.
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Der Schwedenke­lch in St. Nikolai.

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