Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Siechenhäuser und Schwedenkelch
Mittelalterliche Wohlfahrtspflege: Die Quarantänestationen vor den Toren Isnys
ISNY - In den Verbund der einstigen Wohlfahrtspflege, mit späterem Altenheim und Pfründhaus „Spital zum Heiligen Geist“am Marktplatz, gehörten zwei Siechenhäuser, jenes bei Aigeltshofen und eins in Schweinebach. Beide dienten im Mittelalter als letzte Station im Leben unzähliger Menschen, die vor allem an der ansteckenden Lepra erkrankt waren. Auch die Pestkranken oder Menschen mit unklarer Diagnose gehörten zu den Bewohnern. Weil man eine Ansteckung für die Bevölkerung befürchtete, befanden sich die Häuser außerhalb der Stadtmauern – isoliert von der übrigen Gesellschaft.
Bereits 1170 hatte ein Kirchenkonzil die strikte Trennung von Gesunden und Kranken verfügt. Daraufhin wurden in jeder Stadt Siechenhäuser gegründet, nahe an einem Hauptverkehrsweg. Wenn sich ein Reisender oder ein Fuhrwerk näherten, kamen die Kranken mit ihren hölzernen Näpfen an den Weg, machten sich durch Klopfen bemerkbar und baten um ein Almosen, um Nahrungsmittel oder eine Geldspende.
Heimatpfleger Hartmut Helber aus Rohrdorf weiß vom ehemaligen Siechenhaus an der heutigen L 318 zwischen Aigeltshofen und Friesenhofen – dem Haus in der langgezogenen Kurve – zu berichten, dass die Kranken einen leeren Becher an den Wegesrand stellten, sich aber selbst wegen der Ansteckungsgefahr entfernen mussten. „Sie machten durch Klappern mit Hölzern auf sich aufmerksam, um zu Almosen zu kommen.“Es war das Siechenhaus für die Untertanen der Herrschaft Trauchburg, die wohl auch eine „Lepramagd“für die Kranken zur Verfügung stellte. An anderen Orten kümmerten sich Mönche um die Kranken in Quarantäne, die in der Regel bis zu ihrem Tod jahrelang dahinsiechten.
Zum Siechenhaus in Schweinebach, heute ein renoviertes Wohnhaus an der Bundesstraße, gehörte die Siechenkapelle nebenan, die den Heiligen Rochus und Leonhard geweiht ist, den Schutzheiligen der Pestkranken und Gefangenen (siehe Bericht unten). Im Anblick des gekreuzigten Christus im Altarraum erkannten die Kranken wohl einen der ihren und fanden bei ihm Trost. Die Anfänge der Kapelle liegen wohl im frühen 16. Jahrhundert, denn 1519 ließ das Kloster um die Kapelle herum einen Siechenfriedhof anlegen.
Überfall auf den Pfarrer
Die Chronik weiß von einem Vorfall zu berichten, an den heute noch ein Abendmahlskelch in der Nikolaikirche erinnert: Am Karfreitag des Jahres 1617 wollte der evangelische Pfarrer Johannes Porzelius mit den Kranken im Schweinebacher Siechenhaus das Abendmahl feiern. Während der Kommunion soll es passiert sein: „Der Steurer, samt zehn Bauern, drang mit gewehrter Hand, Spieß und Büchsen in einem gewalttätigen Einfall ins Siechenhaus, arretierten den Pfarrer ungewarnt und nahm ihn samt Kelch, Hostien und Flasche hinweg, erstlich nach Grünenbach und weiter nach Bregenz gefänglich abgeführet, für drei Wochen in Arrest und von zwei Männern bewacht.“
Schweinebach gehörte damals zur Herrschaft Bregenz-Hoheneck. „Steurer“war der Steuereintreiber mit Verwaltungssitz in Grünenbach. „D. Taffinger hat den Gefangenen nach angewandter Müh und großer Verdrüßlichkeit, welche die Stadt für ihre Prediger zu bekämpfen hatte, wieder frei geworden.“An Speis und Trank habe es dem Pfarrer im Bregenzer Gefängnis nicht gefehlt, doch sein Seufzen nach Freiheit und nach seiner Vaterstadt sei groß gewesen, berichtet der Chronist. Der Kelch sei 29 Jahre in Bregenz verschollen geblieben. Erst 1646, nach Eroberung und Plünderung der Stadt durch die Schweden, habe ein tapferer und ehrlicher Schwede den Kelch gerettet und nach Isny zurückgebracht. Doch leider sei der Name dieses braven Schweden nicht auf dem Rand des „Schwedenkelches“verewigt, den nun die Nikolaikirche birgt.