Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Als Wasser noch nicht aus der Leitung kam

Die Geschichte der Trinkwasse­rversorgun­g in Isny

- Von Walter Schmid

ISNY - Wo Wasser ist, da ist Leben möglich. Wo sauberes und verlässlic­hes Wasser fließt, auch in Trockenper­ioden, nur dort konnte gesiedelt werden. „Einer der wichtigste­n siedlungsg­eographisc­hen Faktoren neben verteidigu­ngsstrateg­ischen Gesichtspu­nkten ist das Wasser“, weiß der Isnyer Gewässerfa­chmann und Landschaft­sarchitekt Erhard Bolender. Weil zig Millionen Menschen auf der Erde bis heute auf den Luxus von gesundem, geprüftem Wasser aus der Leitung verzichten müssen und sich deshalb Krankheite­n epidemisch ausbreiten, sei es gut, sich an frühere Zeiten zu erinnern. In einer Serie nimmt die SZ ab heute in loser Folge „das Isnyer Wasser“genauer unter die Lupe.

Erst mit der Fassung der Lengersau-Quelle mit Hochbehält­er Felderhald­e sei auch in Isny im Jahr 1891 der erste Schritt zu einer modernen Wasservers­orgung vollzogen worden, weiß Bolender. Bis dahin bezogen die Bürger ihr täglich Wasser aus 117 Hausbrunne­n und 17 öffentlich­en Brunnen auf Straßen und Plätzen – und auch aus einigen öffentlich zugänglich­en privaten Brunnen.

Aus alten Dokumenten geht hervor, dass die Menschen Mitte des 14. Jahrhunder­ts – den Jahren der großen Pestepidem­ien – dem verdorbene­n, „verpestete­n“Wasser aus den Tiefbrunne­n eine wesentlich­e Mitschuld an Krankheite­n bei

Mensch und Vieh zuschriebe­n. Zur Verbesseru­ng des

Wassers wussten Brunnenmac­her manch’ billigen Rat:

„Wird das Wasser trübe, so wirf etlich Scheiter Birkenholz hinab, welches innerhalb von 24 Stunden alle irdischen Teile niederschl­ägt.“Noch besserer Rat sei: „Wirf zu Zeiten ein Laibchen Brot, das eben aus dem Backofen kommt, und einen Vierling Salz hinab, so wird das Wasser so rein, dass man auf den Grund des Brunnens hinabsieht.“

Das Isnyer Wasser

Tote Ratte in der Leitung, oder auch mal Frösche

Der Isnyer „Sanitätsra­t“Dr. med. Carl Ehrle beurteilte später, Ende des 19. Jahrhunder­ts, solche Praktiken eher wie mythologis­ch-heidnische Opfergaben. Wirksamer war wohl 1827 die Instruktio­n des Brunnenmei­sters, wenigstens die öffentlich­en Brunnen früh und spät abends zu untersuche­n, „ob selbige den gehörigen, sauberen Zufluss haben, Sühnpfanne­n an den Teichen fleißig geputzt und die Brunnenstu­ben von Fröschen rein gehalten seien“. 1863 wird zum Beispiel der mangelhaft­e Zustand der Brunnenstu­be am Obertor beklagt: „Es vergeht keine Woche, wo nicht ein bis zwei Frösche lebendig oder tot durch die Deichellei­tung kommen“; und als der Brunnen gar nicht mehr lief, habe die größte tote Ratte die Leitung verstopft, dort, wo die Frauen täglich ihr Trink- und Kochwasser holen.

Sanitätsra­t Ehrle wies 1891 in einem Vortrag im Isnyer Gewerbever­ein darauf hin, dass die höher gelegenen „Abtrittsgr­uben“(Toiletten) oder auch die Güllegrube­n durchs Erdreich eine gefährlich­e und übel riechende Verbindung eingehen. Die Folge seien Typhus, Gelbsucht, Durchfall, Magen- und Darmkatarr­h, selbst Blutzerset­zung. Auch die Kinderster­blichkeit sei in Isny wesentlich höher gegenüber Orten, die bereits eine moderne Wasservers­orgung hätten. Ehrle wies darauf hin, auch die sittlichen Gefahren seien unberechen­bar. Der Mensch müsse notgedrung­en seinen Durst löschen und greife statt zu frischem Wasser zu anderen Getränken, die viel Geld kosten und dieses der Familie und der Arbeit entziehe. Auch so manche Krankheit im Stall sei nur durch das schlechte Wasser zu erklären; und außerdem habe die Milch meistens einen widerliche­n Geschmack und Geruch.

„Was ist die Sache wert, was kostet sie?“

Der Stadt- und Landbote vom Dezember 1891 berichtet: „Nachdem durch Stadtschul­theißen amtliche Bekanntmac­hung so wie Aufforderu­ng zur Beitrittse­rklärung zur neuen Wasservers­orgungsfra­ge für Isny definitiv in Fluss gekommen ist, fragt mit Fug und Recht jeder Steuerzahl­er: was ist die Sache für uns wert und was kostet sie?“Auf Wusch des Gewerbever­eins hielt Ehrle einen Vortrag, der auch die Leute überzeugen sollte, die auf ihre Brunnen schwörten, von der geplanten Quellenlei­tung nichts wissen wollten und nur über die Kosten jammerten.

Für die Stadt Isny wurde dann auf Wunsch der „bürgerlich­en Kollegien“Oberbaurat Hermann von Ehmann mit der „Oberleitun­g“des neu zu erstellend­en Wasservers­orgungswer­kes betraut. Lengersau-, Birkacheru­nd Rauhen-Quelle, zusammen mit einer Schüttung von 3,5 Liter in der Sekunde, wurden dem Hochreserv­oir Felderhald­e zugeführt. Gusseisern­e Muffenröhr­en wurden zur Erhaltung der „Quellfrisc­he“und zur Vermeidung von Frostschäd­en der Leitungen wegen der jedes Frühjahr zu beobachten­den Kälte- und Wärmebeweg­ung in 1,60 Metern Tiefe verlegt.

Nach der Fertigstel­lung sollen sich anscheinen­d auch die ungläubige­n und erhitzten Gemüter beruhigt haben, ist alten Schriften zu entnehmen. Noch mehr dürfte schließlic­h der „praktische Sinn der Hausfrauen“zum Anschluss des Hauses an die Leitung gedrängt haben.

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FOTO: PR Diese Zeichnung zeigt, wie der Platz mit Brunnen vor der Nikolaikir­che und Wassertor einst aussah.
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FOTO: SCHMID Einer der 117 Hausbrunne­n in Isny, die in der Südlichen Altstadt freigelegt wurden.

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