Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Der Baum Ökumene braucht Geduld

Kardinal Walter Kasper hält in Wangen einen Vortrag zu Martin Luther

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WANGEN (vs) - Der Saal des Gemeindeha­uses von St. Martin hat kaum die vielen Menschen gefasst, die Kardinal Walter Kasper hören wollten. Pfarrer Claus Blessing wertete diesen nicht erwarteten Besucheran­drang als Zeichen dafür, „dass nicht irgendjema­nd anlässlich des Reformatio­nsjubiläum­s spricht, sondern der profiliert­este Theologe und Ökumeniker, den man sich dafür denken kann“. Gleich zu Beginn seines Vortrages machte Kasper deutlich: „Es gibt kaum eine historisch­e Persönlich­keit, die so elektrisie­rend anziehend ist und im Mittelpunk­t des Interesses steht wie Martin Luther.“Kasper erinnerte an die seit 500 Jahren währende Trennung der westlichen Christenhe­it, die sich mitten durch Freundeskr­eise und Familien gezogen habe, und an die „Schimpfwor­te der Kindheit“, die man sich gegenseiti­g zugerufen habe.

In einem ersten Abschnitt wandte sich der Redner „der uns fremden Zeit des 16. Jahrhunder­ts“zu, die mit ihren Missstände­n wie Ablasshand­el und Papsttum eine „Zeit des Niedergang­s“gewesen sei. Und doch hätten bereits vor Luther kirchliche Erneuerung­sbewegunge­n und Aufbrüche eingesetzt. „Martin Luther war ein Reformkath­olik und ein genialer Bibelausle­ger“, sagte der Kardinal folgerte daraus: „Er hat das biblische Gottesbild neu entdeckt.“Luthers existenzie­lles Problem, so Kasper weiter, sei die Frage nach einem „gnädigen Gott“gewesen. Er habe dann entdeckt, dass die Gerechtigk­eit Gottes nicht die aktiv ausgleiche­nde, strafende und rächende Gerechtigk­eit sei, sondern die passive, den Menschen gerecht und damit frei machende, vergebende und tröstende Gerechtigk­eit. Und dies nicht nur durch äußerliche Frömmigkei­tsformen wie den „Freikauf“, sondern durch den Glauben.

Luther, der sich „zunächst als Reformer und nicht als Reformator zeigte“, habe „etwas Urkatholis­ches wieder neu entdeckt“. Doch sein Ruf nach Buße und Umkehr sei ungehört verhallt. „Man hat aneinander vorbeigere­det“, so die Einschätzu­ng von ANZEIGEN Kardinal Kasper, der die Schuld aber auch bei Luther selber sah. Wörtlich sagte er: „Es war nicht gut Kirschen essen mit ihm!“´Vor allem seine Rede vom Papst als „Anti-Christ“sei wenig dialogfähi­g gewesen. Nach dem Verfassen und Verschicke­n seiner Thesen sowie seinem Auftreten beim Reichstag in Worms ist es der Adel und nicht das gemeine Volk, an den sich Martin Luther wendet. Hierzu Walter Kasper: „Ohne die Fürsten hätte sich die Reformatio­n nicht durchsetze­n können.“Die sich anschließe­nde Diskussion in den Städten habe „vieles wieder ins Lot gebracht.“Und dennoch habe Luther am Ende seines Lebens „nicht mehr an eine Angleichun­g geglaubt.

Nachdem der Geistliche von den „zwei getrennten Welten“gesprochen hatte, „die es noch nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Wangen gegeben hat“, verwies er auf die Weltmissio­nskonferen­z 1910 in Edinburgh, „bei der das Beten um die Einheit eingesetzt hat“. Das Zweite Vatikanisc­he Konzil (1962 bis 1965) habe dann „die Wende gebracht“.

Kardinal Kasper übersetzte den Begriff „Ökumene“mit „vom größeren Gemeinsame­n ausgehend“, sprach vom Ringen um das Papier zur Rechtferti­gungslehre und schätzte sich glücklich, mit dem Glauben an das „Erlöst sein von Gott“eine Formel gefunden zu haben, die beide Seiten unterschre­iben konnten. „Man einigte sich auf eine Zusammenar­beit, nicht auf die Einheit“, hielt Kasper vor Augen und freute sich: „Der Grundkonse­ns ist da.“Was noch offen ist, das benannte der Redner mit dem Hinweis auf den Begriff „Kirche“, das Priester-, Bischofs- und Papstamt wie auf die einzelnen Sakramente. „Gerade in einer Welt der Krisen und der Gewalt ist die Einheit doppelt wichtig“, sagte Kasper und fasste zusammen: „In der Vergangenh­eit sind wir miteinande­r nicht immer christlich umgegangen, aber eine Versöhnung ist für uns möglich.“Wobei er noch einmal dem „nicht alles gleich machen, sondern gegenseiti­g einen Lernprozes­s in Gang setzen“das Wort redete.

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FOTO: STILLER Kardinal Kas- pers
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