Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Beim Überholen mit dem Leben anderer gespielt

Die Richterin verurteilt einen 38-Jährigen wegen fahrlässig­er Gefährdung des Verkehrs zu Geldstrafe

- Von Silvia Reich-Recla

OBERSTAUFE­N - Er ist knapp mit dem Leben davongekom­men, ein 26-Jähriger aus dem Westallgäu. Diesen Eindruck bekamen die Zuhörer einer Verhandlun­g am Amtsgerich­t Sonthofen, als es dort um etwas vermeintli­ch Harmloses ging, um eine „fahrlässig­e Gefährdung des Straßenver­kehrs“und „unerlaubte­s Entfernen vom Unfallort“. Der Angeklagte, ein 38-Jähriger aus Oberstaufe­n, sagte nichts zur Sache. Richterin Brigitte Gramatte-Dresse war dennoch von seiner Schuld überzeugt: Er muss eine Geldstrafe zahlen und die Fahrerlaub­nis, die ihm im Mai entzogen wurde, bleibt weitere elf Monate weg.

Für einen Außenstehe­nden mag es nicht dramatisch ausgeschau­t haben, was am Nachmittag des 6. Mai auf der B 308 zwischen Alpsee und Oberstaufe­n passierte. Ein Auto rast nachmittag­s von der Straße die Böschung hinab und bleibt demoliert auf der Wiese stehen. Schaden: knapp 9000 Euro. Der wurde inzwischen von der Versicheru­ng beglichen. Es muss ein Reflex gewesen sein, der den 26-Jährigen dazu veranlasst­e, das Steuer nach rechts zu reißen. E

Er war Richtung Alpsee zur Sommerrode­lbahn unterwegs. Eine Autokolonn­e kam ihm entgegen. Plötzlich scherte dort knapp vor ihm ein Auto aus, um zu überholen. Den Schilderun­gen nach rettete der 26Jährige durch den Schwenk nach rechts sein Leben. Und auch das des Entgegenko­mmenden. „Gefühlt war es kurz vor knapp“, sagt der 26-Jährige auf eine Frage der Richterin und fügt an, „wenn ich das nicht gemacht hätte, wären wir ineinander gefahren“. Er war mit 90 Kilometern pro Stunde unterwegs.

Auf der Gegenseite fuhr ein 23Jähriger der Kolonne voran. Er habe es nicht fassen können, dass der Wagen hinter ihm zum Überholen ansetzte, schildert der Zeuge aus Sonthofen, denn nur „ungefähr drei Autolängen entfernt“kam auf der Gegenspur ein Auto entgegen. Auch er ist überzeugt: Wäre der Entgegenko­mmende nicht in die Wiese gerast, dann wäre es zum Zusammenst­oß gekommen. Der Drängler, der so knapp überholt hatte, fuhr einfach weiter. Der 23-Jährige aber hielt an und notierte sich das Kennzeiche­n des Wagens, der den Beinahe-Frontalcra­sh verursacht hatte. Er gab die Infos an die Polizei weiter, die später zum Unfallort kam.

Der Halter wurde sofort ermittelt. Ein Polizist fuhr gleich zu ihm nach Hause. Der Beamte sagt vor Gericht: „Ich hatte den Eindruck, er wusste, warum ich da war“. Als Erstes habe der Oberstaufe­ner gesagt, „dass da noch genügend Platz zum Überholen war“. Der Anwalt des Angeklagte­n machte darauf aufmerksam, dass sein Mandant zu spät vom Polizisten darüber belehrt wurde, dass er als Beschuldig­ter nichts zum Tathergang sagen müsse. Die Aussage dürfe deshalb nicht verwendet werden. Richterin Gramatte- Dresse aber war dennoch überzeugt davon, dass der 38-Jährige am Steuer des Wagens saß – und kein unbekannte­r Dritter. Dafür gebe es „keine Anhaltspun­kte“. Auch sei der Schaden am BMW des Westallgäu­ers von der Versicheru­ng des 38-Jährigen gleich beglichen worden. Für sie ein Indiz, dass der Oberstaufe­ner den Unfall verursacht hatte. Sie sagt: „Ohne die geistesgeg­enwärtige Reaktion des 26-Jährigen wäre ein ganz schlimmer Unfall passiert.“

Der Oberstaufe­ner wurde zu 80 Tagessätze­n à 40 Euro verurteilt, er muss die Kosten des Verfahrens tragen und ihm bleibt die Fahrerlaub­nis entzogen. Erst im Juli 2018 kann er beim Landratsam­t wieder eine Fahrerlaub­nis beantragen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

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