Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Grindel reicht Ultras die Hand
DFB-Präsident will auf Kollektivstrafen verzichten und fordert im Gegenzug Gewaltverzicht
FRANKFURT (dpa/SID/fil) - DFBPräsident Reinhard Grindel will Schluss machen mit der Sippenhaft in deutschen Stadien. Im sich zuspitzenden Konflikt der Fußballverbände mit einigen Ultra-Gruppierungen hat Grindel am Mittwoch Gesprächsbereitschaft signalisiert und sich überraschend für eine Abschaffung von Kollektivstrafen starkgemacht. Auch ein erster Landesinnenminister hat einen großen Schritt auf die Ultras zu gemacht
„Bis auf Weiteres“wolle man „keine Sanktionen wie die Verhängung von Blocksperren, Teilausschlüssen oder Geisterspielen mehr“, ließ Grindel sich in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung seines Verbandes zitieren.
In der letzten Saison war etwa Borussia Dortmund für ein Spiel zu einer Sperrung der Südtribüne verurteilt worden, 25 000 Fans wurden somit für die Vergehen Einzelner bestraft. Damit soll in Zukunft Schluss sein. „In diesem Punkt, den Kollektivstrafen, sehe ich den wesentlichen Kritikpunkt der Ultraszene, und dass viele andere Diskussionen, die wir führen, wahrscheinlich eher vorgeschoben sind“, so Grindel. Und ergänzte: „Mich hat in den vergangenen Wochen und Monaten sehr betroffen gemacht, dass es im Zusammenhang mit Fußballspielen zu martialischen Aufmärschen, ,Kriegserklärungen‘ und menschenverachtenden Aktionen gegen Mannschaften und deren Fans gekommen ist. Dafür darf der Fußball in Deutschland nicht stehen. Damit muss Schluss sein.“Es sei Zeit zum Innehalten und Umdenken.
Wird sogar Pyrotechnik erlaubt?
Der DFB reicht den gemäßigten und nicht gewalttätigen Ultra-Gruppen, die in der sehr heterogenen Szene die große Mehrheit stellen, die Hand. Das ist die Botschaft. Die anhaltende Diskussion über den Umgang mit dem harten Kern der Fanszene hatte nach den Bengalo-Attacken beim DFB-Pokalspiel zwischen Hansa Rostock und Hertha BSC (0:2) am Montag neue Nahrung erhalten.
Experten wie Michael Gabriel von der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) in Deutschland sind der Überzeugung, dass eine Entspannung der Situation „nur gemeinsam mit den Fans und nicht über ihren Kopf hinweg“erreicht werden kann. Genau in diesem Sinne sind auch die Vorstöße von Pistorius und Grindel zu verstehen. Umgekehrt fordert der Verband von den Ultra-Gruppen aber auch: „Verzicht auf Gewalt“.
Die Organisation „ProFans“begrüßte diesen überraschenden Vorstoß. „Vielleicht ist das das Zeichen, auf das wir lange gewartet haben“, sagte ein Sprecher. „Es gibt bei uns immer noch Skepsis. Aber wenn es so ein Signal gibt, wollen wir Herrn Grindel gern beim Wort nehmen.“
Auch die DFB-Sportgerichtsbarkeit steht hinter dem Vorstoß. „Wir hatten intern intensive und teilweise kontroverse Diskussionen zu diesem Thema. Die Sportgerichtsbarkeit unterstützt im Ergebnis inhaltlich voll und ganz die Initiative des Präsidenten“, sagte der Sportgerichtsvorsitzende Hans E. Lorenz dem SID: „Das Ziel aller ist es, die Situation in den Stadien in den Griff zu bekommen. Allein mit repressiven Maßnahmen war das bisher nicht möglich.“
Unterstützung für Grindel gab es auch aus der Bundesliga. „Ich begrüße die Initiative des DFB-Präsidenten sehr“, sagte Bayern Münchens Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge, „man muss sich nur mal das Beispiel Borussia Dortmund vorstellen, als die ganze Südtribüne ausgeschlossen wurde. Das kann nicht im Interesse des Fußballs sein.“Ähnlich äußerten sich Vertreter von Borussia Mönchengladbach und des 1. FC Köln, die den ersten Bundesligaspieltag am Sonntag mit einem Hochsicherheitsspiel abschließen.
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) ging in einem – vor dem Spiel in Rostock geführten – „Sport Bild“-Interview sogar noch weiter als Grindel und regte an, die von den Ultras so geliebte Pyrotechnik zumindest in bestimmten Bereichen eines Stadions zuzulassen. Bengalos seien „gefährlich, das kann man nicht einfach mal so abfeuern“, meinte er. „Nun sage ich: Okay, wenn einige Ultra-Gruppen ganz viel Wert darauf legen, Pyrotechnik zu zünden, kann man sich darüber unterhalten, dafür bestimmte Bereiche im Stadion zu schaffen.“Er schränkte aber ein: „In dem Augenblick, in dem auch nur ein Bengalo anderswo gezündet wird, müsste man das sofort wieder einstellen. Das bedeutet, dass man zu klaren, belastbaren Absprachen mit den Ultras kommen können müsste. Ich wäre dazu bereit, aber dazu bedarf es beiderseitiger Zuverlässigkeit“, sagte Pistorius, der für den 11. November einen Fußball-Gipfel mit Fans und Ultras vorbereitet. Auch ein Stehplatzverbot wie etwa in England lehnt Pistorius ab.
Kritik an diesem Vorstoß kam dagegen aus Bayern. „Pyrotechnik hat in unseren Fußballstadien nichts verloren. Daran gibt es nichts zu rütteln“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU).