Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Gemeinsam mehr für die Natur tun
Pilotprojekt in Oberschwaben: Kommunen schließen sich für Ökopunkte-Handel zusammen
STUTTGART - Städte und Gemeinden stehen immer häufiger vor einem Problem: Wenn sie Neubauoder Gewerbegebiete ausweisen wollen, müssen sie anderswo einen Ausgleich schaffen. Das fordern Regeln zum Naturschutz. Doch es wird zunehmende schwieriger, geeignete Flächen zu finden. Ein Zusammenschluss von Landkreisen und Gemeinden aus Oberschwaben will das ändern, stößt damit auf bundesweites Interesse – aber auch auf Kritik.
Seit 2014 haben sich im „Regionalen Kompensationspool GmbH“(Reko) 14 Gemeinden zusammengeschlossen, 35 weitere haben Interesse. Die Mitglieder handeln mit Ökopunkten.
Diese bekommt, wer sinnvolle Maßnahmen für den Naturschutz ergreift. Das können kleine Dinge sein wie der Bau einer Trockenmauer, die Eidechsen eine Heimat bietet. Oder größere, wie die Renaturierung verlandeter Moore. Die Punkte funktionieren wie eine Währung: Der Natur etwa durch ein Baugebiet etwas wegzunehmen, kostet Ökopunkte. Nur, wenn eine Gemeinde dieselbe Summe von Punkten zurückzahlen kann, darf sie bauen. Die Punkte kann sie kaufen oder selbst auf gemeindeeigenen Flächen generieren – indem sie Ausgleichsmaßnahmen ergreift.
Gemeinsam größere Projekte
Dieses Modell funktioniert in ganz Deutschland. Das besondere: die Reko-Gemeinden betreiben das Geschäft gemeinsam. Ein bundesweit einmaliges Projekt, so Wilfried Franke, Chef des Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben. Es biete zahlreiche Vorteile. Zum einen nehmen sich Gemeinden in der Region Bodensee-Oberschwaben nicht gegenseitig Flächen für Ausgleichsmaßnahmen weg. Sie können vielmehr gemeinsam größere Projekte angehen wie etwa die Renaturierung des Tannhauser Rieds. Außerdem sei das Kapital, das die Kommunen in die Reko stecken, eine gute Anlage. Denn: Gemeinden können freiwillig Naturschutzprojekte durchführen, bevor sie andernorts in die Natur eingreifen. Im Laufe der Zeit wächst der Wert der so erwirtschafteten Ökopunkte. Das Land verzinst sie mit drei Prozent. Außerdem lassen sich mit dem Verkauf an externe Interessenten Gewinne machen. Dabei haben die Gemeinden zusammen mehr Kapital und Marktmacht als alleine.
Da Ökopunkte oft kurzfristig benötigt werden, um geplante Projekte rasch zu realisieren, hält Franke auch etwas anderes für einen Vorteil: Die Reko-Gemeinden wissen voneinander, wann wer Ökopunkte benötigt und wie viele derzeit zu haben sind. Wie viele Ökopunkte eine bestimmte Schutzmaßnahme bringt, ist von Kreis zu Kreis unterschiedlich. Die Kreise Bodensee, Ravensburg und Sigmaringen haben das geändert – dort gilt ein einheitliches Bewertungssystem. Auch das macht die Zusammenarbeit leichter.
Aus Sicht von Umweltschützern hat das Modell ebenfalls viele Vorteile. Sie sehen Chancen für den Naturschutz: Statt vieler kleiner Maßnahmen werden zusammenhängende Projekte gefördert, sagt etwa der Naturschutzbund Nabu. Außerdem würden die kleinen Einzelmaßnahmen, die Kommunen als Ausgleich ergriffen, oft gar nicht kontrolliert. Da entstehe eine Trockenmauer, aber nach einigen Jahre schaue niemand mehr, ob diese überhaupt noch ökologisch sinnvoll genutzt werde.
So oder so – Raum bleibt begrenzt
Aber, so Nabu-Chef Johannes Enssle: „Das Ganze darf natürlich nicht zu Schutz- und Schmutzgebieten in der Region führen.“Also: Die einen bauen, die anderen gleichen weit weg aus, in der Gemeinde selbst ist aber nichts davon zu sehen. Grundsätzlich ändert sich laut Enssle nichts an dem Kernproblem: Pflanzen und Tiere benötigen Raum, und der ist eben begrenzt.
Bedenken äußerten auch einige Gemeinde- und Kreisräte in jenen Gemeinden, die sich der Reko GmbH angeschlossen haben. Einer von ihnen ist Johannes Kretschmann, Grüner im Kreistag von Sigmaringen und Sohn des Ministerpräsidenten. Er hat sich bei der Abstimmung zum Beitritt des Kreises enthalten. „Ich befürchte, dass es durch den Ökopunkte-Handel für Kommunen billiger wird, Flächen zu verbrauchen“. Man müsse nun die Geschäfte der Reko GmbH wachsam verfolgen und evaluieren. Andere Kritiker warnen, kleine Gemeinden würden zum Beitritt in die immer mächtiger werdende GmbH geradezu gezwungen. Wer nicht dabei sei, habe kein Insiderwissen und ziehe den Kürzeren beim begehrten Ökopunkte-Handel.
Auch Landwirte sind skeptisch. Sie fürchten, die Reko GmbH könne Äcker und Weiden für den Naturschutz kaufen. Als finanzkräftiger Akteur am Markt könne das eine harte Konkurrenz für Bauern werden – und den Rückgang der landwirtschaftlich genutzten Flächen beschleunigen.