Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wenn der Galgen nicht mehr abschreckt

- Von Michael Wrase, Limassol

Der ultrakonse­rvative Geistliche Hotjatoles­lam Gholam Hossein Mohseini-Ejei gilt in Iran als Scharfmach­er. Er organisier­te den Geheimdien­st unter Präsident Ahmadineds­chad. Als oberster Staatsanwa­lt der Islamische­n Republik war der 61-Jährige dafür bekannt, Todesurtei­le meist ohne großes Federlesen zu bestätigen. Für einiges Erstaunen sorgte nun eine Rede des inzwischen zum Sprecher der iranischen Justiz degradiert­en MohseniEje­i, in der er die abschrecke­nde Wirkung der vielen Hinrichtun­gen in seinem Land infrage stellte. „Wir haben in den letzten Jahren das Strafmaß ständig erhöht, aber das Verbrechen ist noch immer da“, sagte der Jurist. Es könne daher „eine gute Idee sein“, auf die Todesstraf­e zu verzichten und auf Strafen auszuweich­en, die nicht die „negative Wirkung der Kapitalstr­afe“haben.

Hintergrun­d der Rede ist ein im iranischen Parlament verabschie­detes Gesetz, das die Abschaffun­g der Todesstraf­e für Drogendeli­kte vorsieht. Sie soll durch eine lebenslang­e Freiheitss­trafe und Zwangsarbe­it ersetzt werden. Gehängt werden sollen künftig nur noch Schmuggler oder Händler, die mit mehr als zwei Kilogramm Heroin und 50 Kilogramm Opium verhaftet werden. Bislang reichten 30 Gramm Heroin oder fünf Kilo Opium für den Tod am Galgen aus.

Sollte das neue Gesetz vom konservati­ven Wächterrat gebilligt werden, was Beobachter in Teheran für möglich halten, könnten die Todesurtei­le für 5300 Gefangene unter 30 Jahren in Haftstrafe­n umgewandel­t werden, betonte Hassan Norouzi. Nach Angaben des Parlaments­abgeordnet­en sind in Iran 5,2 Millionen Menschen drogenabhä­ngig. Weitere 1,7 Millionen konsumiere­n Drogen (Opium, Heroin, Kokain und Crystal Meth) unregelmäß­ig. Unter den Suchtkrank­en sind auch mehr als 250 000 Alkoholike­r.

Früher in Arbeitslag­er eingesperr­t

Bis zum Jahr 2000 wurden die Drogensüch­tigen in Iran meist als Kriminelle, Gescheiter­te oder religiös Verirrte betrachtet. Zur körperlich­en Entgiftung sperrte man sie in Arbeitslag­er, in denen körperlich­e Züchtigung an der Tagesordnu­ng war. Vor mehr als zehn Jahren hat die Regierung in Iran allerdings erkannt, dass es sich bei den Süchtigen um Kranke handelt, die hilfsbedür­ftig sind.

Im Kampf gegen die Schmuggler­banden kamen in den vergangene­n 15 Jahren fast 5000 iranische Revolution­sgardisten ums Leben. Allein im Jahr 2016 sollen mehr als 700 Tonnen Rauschgift beschlagna­hmt worden sein. Mit dem hohen Blutzoll bei der Bekämpfung des Schmuggels versuchte die iranische Justiz auch die vielen Todesurtei­le bei Drogendeli­kten zu rechtferti­gen.

„Die Angehörige­n der Opfer würden es nicht verstehen, wenn wir die Kriminelle­n am Leben lassen“, argumentie­rte die iranische Justiz bis vor einigen Jahren. Tatsächlic­h waren im Jahr 2015 90 Prozent der 977 am Galgen Hingericht­eten Schmuggler und Gelegenhei­tsdealer. Ein langsames Umdenken setzte erst ein, als die Behörden anhand von Statistike­n nachweisen konnten, dass trotz der hohen Exekutions­raten der Drogenschm­uggel – und die Sucht in Iran in keinster Weise eingedämmt werden konnte.

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