Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Eine musikalische Reise nach innen
Die Uraufführung der Oper „To the Lighthouse“beeindruckt das Bregenzer Publikum
BREGENZ - Drei Jahre lang hatten Komponist, Librettist, Bühnen- und Kostümbildner zusammengearbeitet, waren zusammen auf die schottische Isle of Skye gereist, hatten sich inspirieren lassen von der herben Landschaft, die Virginia Woolf in den Roman „Die Fahrt zum Leuchtturm“hat einfließen lassen. Nun wurde die Kammeroper „To the Lighthouse“des griechischen Komponisten Zesses Seglias nach dem Libretto von Ernst Binder bei den Bregenzer Festspielen auf der Werkstattbühne uraufgeführt: 18 Musikerinnen und Musiker des Symphonieorchesters Vorarlberg, die Dirigentin Claire Levacher, das Regieteam und neun Sänger haben das komplexe Werk auf beeindruckende Weise verinnerlicht und umgesetzt.
Der Grazer Theatermacher Ernst M. Binder, der nicht nur das Libretto aus dem einzigartigen Text von Virginia Woolf heraus verdichtet hatte, sondern auch Regie führen sollte, war im Januar dieses Jahres verstorben. Olivier Tambosi übernahm die Regie. Kann man nun diesen Roman, in dem kaum etwas passiert und der die Gedanken, den „stream of consciousness“der Protagonisten verfolgt, in Musiktheater verwandeln? Man kann – vielleicht nur so, wie es Zesses Seglias und das ganze Team hier vorgestellt haben.
Nicht gelebte Möglichkeiten
„Die Fahrt zum Leuchtturm“kreist um Hoffnungen und Träume, um nicht gelebte Möglichkeiten, verstummte Dialoge, innere Stimmen und Gedanken: Familie Ramsay verbringt die Ferien auf der Isle of Skye. James, der jüngste Sohn, will mit dem Boot zum Leuchtturm fahren, die Mutter verspricht es ihm, „wenn das Wetter schön ist“, der Vater nimmt ihm die Hoffnung, weil es nicht schön sein wird. Unter den Gästen sind eine Malerin, die ein Portrait von Mrs. Ramsay machen will, jedoch Zweifel an der Fertigstellung hat, und verschiedene Freunde des Hausherrn, einem verschlossenen Philosophen. Der zweite Teil hat allein das Verstreichen der Zeit zum Thema, Jahre vergehen, eine Haushälterin hütet das verfallende Haus. Nach zehn Jahren kehren Vater und Sohn zurück, die Mutter ist gestorben, die Malerin vollendet ihr Bild, und auch die Fahrt zum Leuchtturm kann endlich stattfinden.
Dieser sparsamen Handlung entspricht die reduzierte, konzentrierte und doch sehr farbenreiche Musiksprache von Zesses Seglias. Solistisch besetzte Streicher, Bläser in hohen und tiefen Registern, Klavier, Akkordeon und reich bestücktes Schlagwerk kommentieren das Geschehen. Das Orchester scheint zu seufzen, zu stöhnen und zu atmen, bewegt sich in kleinräumig flirrenden, obertonreichen Klängen, bricht in kurzen Explosionen aus. In klarer Zeichengebung führt Claire Levacher das Ensemble durch die knapp 90 Minuten Spieldauer.
Spannend sind die Zwischenspiele, die den Ablauf der Zeit spiegeln. Den Bewusstseinsstrom seiner Figuren stellt Seglias in einem variantenreichen Umgang mit der Stimme dar, vom Flüstern, Stammeln, Sprechen, Singen bis hin zu einem erstickten, nach innen gewandten Sprechen ist alles gefordert. Besonders die Sängerinnen, Christie Finn als Mrs. Ramsey, Sophia Burgos als Malerin und Dalia Schaechter als Haushälterin, haben sich diese Art der Lautäußerungen auf beeindruckende Weise zu eigen gemacht. Jean-Marc Salzmann als gestrenger Hausherr, Matthew Richardson als der junge und Alexander York als der erwachsene James, Adrian Clarke, Taylan Reinhard und Sébastien Soulès als die Freunde verkörpern ihre Rollen ebenfalls mit großer Konzentration.
Getragen wird diese stimmige Umsetzung aber auch von der zurückhaltenden, stillen Regie von Olivier Tambosi, den zweidimensionalen, im Stil historischer Fotografien gehaltenen Bühnenbildelementen (Jakob Kolding) und den ebenfalls historisch anmutenden Kostümen (Vibeke Andersen). Im Zentrum ist die stilisierte Nachbildung jenes Baums, unter dem Virginia Woolf begraben ist. Felsen, Porzellan und Besteck zum Abendessen, Soldatenfotos, alles auf graue Pappe aufgezogen, verorten das Geschehen in der Zeit Virginia Woolfs. Man muss sich einlassen auf ihre Welt, auf die parallel laufenden Linien und Gedankenfetzen, die englische Sprache. Das Premierenpublikum ließ sich hineinziehen in diese besondere Ausdrucksweise von Wort, Musik und Bühne.
Die zweite Aufführung findet heute Abend statt.