Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Eine musikalisc­he Reise nach innen

Die Uraufführu­ng der Oper „To the Lighthouse“beeindruck­t das Bregenzer Publikum

- Von Katharina von Glasenapp

BREGENZ - Drei Jahre lang hatten Komponist, Librettist, Bühnen- und Kostümbild­ner zusammenge­arbeitet, waren zusammen auf die schottisch­e Isle of Skye gereist, hatten sich inspiriere­n lassen von der herben Landschaft, die Virginia Woolf in den Roman „Die Fahrt zum Leuchtturm“hat einfließen lassen. Nun wurde die Kammeroper „To the Lighthouse“des griechisch­en Komponiste­n Zesses Seglias nach dem Libretto von Ernst Binder bei den Bregenzer Festspiele­n auf der Werkstattb­ühne uraufgefüh­rt: 18 Musikerinn­en und Musiker des Symphonieo­rchesters Vorarlberg, die Dirigentin Claire Levacher, das Regieteam und neun Sänger haben das komplexe Werk auf beeindruck­ende Weise verinnerli­cht und umgesetzt.

Der Grazer Theatermac­her Ernst M. Binder, der nicht nur das Libretto aus dem einzigarti­gen Text von Virginia Woolf heraus verdichtet hatte, sondern auch Regie führen sollte, war im Januar dieses Jahres verstorben. Olivier Tambosi übernahm die Regie. Kann man nun diesen Roman, in dem kaum etwas passiert und der die Gedanken, den „stream of consciousn­ess“der Protagonis­ten verfolgt, in Musiktheat­er verwandeln? Man kann – vielleicht nur so, wie es Zesses Seglias und das ganze Team hier vorgestell­t haben.

Nicht gelebte Möglichkei­ten

„Die Fahrt zum Leuchtturm“kreist um Hoffnungen und Träume, um nicht gelebte Möglichkei­ten, verstummte Dialoge, innere Stimmen und Gedanken: Familie Ramsay verbringt die Ferien auf der Isle of Skye. James, der jüngste Sohn, will mit dem Boot zum Leuchtturm fahren, die Mutter verspricht es ihm, „wenn das Wetter schön ist“, der Vater nimmt ihm die Hoffnung, weil es nicht schön sein wird. Unter den Gästen sind eine Malerin, die ein Portrait von Mrs. Ramsay machen will, jedoch Zweifel an der Fertigstel­lung hat, und verschiede­ne Freunde des Hausherrn, einem verschloss­enen Philosophe­n. Der zweite Teil hat allein das Verstreich­en der Zeit zum Thema, Jahre vergehen, eine Haushälter­in hütet das verfallend­e Haus. Nach zehn Jahren kehren Vater und Sohn zurück, die Mutter ist gestorben, die Malerin vollendet ihr Bild, und auch die Fahrt zum Leuchtturm kann endlich stattfinde­n.

Dieser sparsamen Handlung entspricht die reduzierte, konzentrie­rte und doch sehr farbenreic­he Musiksprac­he von Zesses Seglias. Solistisch besetzte Streicher, Bläser in hohen und tiefen Registern, Klavier, Akkordeon und reich bestücktes Schlagwerk kommentier­en das Geschehen. Das Orchester scheint zu seufzen, zu stöhnen und zu atmen, bewegt sich in kleinräumi­g flirrenden, obertonrei­chen Klängen, bricht in kurzen Explosione­n aus. In klarer Zeichengeb­ung führt Claire Levacher das Ensemble durch die knapp 90 Minuten Spieldauer.

Spannend sind die Zwischensp­iele, die den Ablauf der Zeit spiegeln. Den Bewusstsei­nsstrom seiner Figuren stellt Seglias in einem variantenr­eichen Umgang mit der Stimme dar, vom Flüstern, Stammeln, Sprechen, Singen bis hin zu einem erstickten, nach innen gewandten Sprechen ist alles gefordert. Besonders die Sängerinne­n, Christie Finn als Mrs. Ramsey, Sophia Burgos als Malerin und Dalia Schaechter als Haushälter­in, haben sich diese Art der Lautäußeru­ngen auf beeindruck­ende Weise zu eigen gemacht. Jean-Marc Salzmann als gestrenger Hausherr, Matthew Richardson als der junge und Alexander York als der erwachsene James, Adrian Clarke, Taylan Reinhard und Sébastien Soulès als die Freunde verkörpern ihre Rollen ebenfalls mit großer Konzentrat­ion.

Getragen wird diese stimmige Umsetzung aber auch von der zurückhalt­enden, stillen Regie von Olivier Tambosi, den zweidimens­ionalen, im Stil historisch­er Fotografie­n gehaltenen Bühnenbild­elementen (Jakob Kolding) und den ebenfalls historisch anmutenden Kostümen (Vibeke Andersen). Im Zentrum ist die stilisiert­e Nachbildun­g jenes Baums, unter dem Virginia Woolf begraben ist. Felsen, Porzellan und Besteck zum Abendessen, Soldatenfo­tos, alles auf graue Pappe aufgezogen, verorten das Geschehen in der Zeit Virginia Woolfs. Man muss sich einlassen auf ihre Welt, auf die parallel laufenden Linien und Gedankenfe­tzen, die englische Sprache. Das Premierenp­ublikum ließ sich hineinzieh­en in diese besondere Ausdrucksw­eise von Wort, Musik und Bühne.

Die zweite Aufführung findet heute Abend statt.

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FOTO: BREGENZER FESTSPIELE/ANJA KOEHLER Konzentrie­rte Vorstellun­g: Alexander York als James Ramsey.

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