Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Historisch­e Einigung

Das Kirchen-Grundgeset­z von 1562 schrieb die Anerkennun­g der Konfession­en fest

- Von Emil Hösch

LEUTKIRCH - Im 16. Jahrhunder­t tobte ein Streit darum, welcher Konfession Leutkirch zugehören sollte. Ab 1562 schaffte ein Vertrag die Grundlage eines friedliche­n Nebeneinan­ders zwischen Protestant­en und den Katholiken.

Abt Gerwig Blarer von Weingarten hatte 1547 das Patronat über die Leutkirche­r Martinspfa­rrei – das Recht, über den Besitz der Pfarrei und die Einsetzung der Pfarrer zu verfügen – vom Kloster Stams übernommen, gerade in der Zeit, als in der Stadt die Protestant­en auf Druck des Schmalkald­ener Bundes den Ton angaben und die katholisch­e Geistlichk­eit zeitweise nach Wuchzenhof­en verdrängte­n.

Fürstenauf­stand und Religionsf­rieden

Nach der Niederlage der Schmalkald­ener konnte Gerwig 1548 mit Auftrag und Unterstütz­ung des Kaisers die Rekatholis­ierung angehen. Anfang der 50er-Jahre betrachtet­e er Leutkirch als katholisch­e Stadt und wähnte auch die Mehrheit des Rates hinter sich. Doch der Fürstenauf­stand gegen den Kaiser 1552 und die Anerkennun­g der Augsburger Konfession im Religionsf­rieden 1555 machte die Ausgangsla­ge für die Leutkirche­r Protestant­en wieder günstiger.

Auf Kreis- und Reichstage­n zeigten die protestant­ischen Fürsten und Städte Unterstütz­ungsbereit­schaft. Von Leutkirch aus scheint vor allem der damalige Stadtschre­iber Simprecht Thunauer aktiv gewesen zu sein, der über den württember­gischen Vizekanzle­r Hieronymus Gerhard die Unterstütz­ung des Herzogs Christoph fand, dessen Kanzlei die Geschäfte des Schwäbisch­en Reichskrei­ses führte. Es war Gerhard, der das lange Schreiben der führenden protestant­ischen Kreisständ­e an den Abt mit Klagen und Forderunge­n der Leutkirche­r entwarf (August 1558). Sie beriefen sich auf den Religionsf­rieden und verlangten die Überlassun­g kirchliche­r Einkünfte zum Unterhalt der Prediger und Schulmeist­er und der Martinskir­che für ihren Gottesdien­st.

Die Auseinande­rsetzung wurde heftiger. In und um Leutkirch kam es zu Arrestieru­ngen. Die Stadt verweigert­e Abgaben aus ihrem Gebiet an (alt-)kirchliche Einrichtun­gen, die für das Umland zuständige Landvogtei sperrte Abgaben an das Leutkirche­r Spital.

1959 schickte der Herzog seinen Intendente­n Abelin aus Laichingen nach Leutkirch zur Einrichtun­g der evangelisc­hen Gemeinde. Der Rat der Stadt teilte dem Abt mit, dass er die Augsburgis­che Konfession annehmen wolle. Der Herzog soll schließlic­h sehr deutlich gemacht haben, dass er diese Auseinande­rsetzung nicht ewig im Kreistag haben wolle. Es stand auch die bedrohlich­e Andeutung im Raum, dass Württember­g seine Zahlungen an den Kreis einstelle, verbunden mit dem Hinweis, dass die Protestant­en alle Abgaben aus ihrem Gebiet an katholisch­e Stände und Einrichtun­gen sperren könnten.

Vertrag wurde in Weingarten geschlosse­n

Da auch der Kaiser empfohlen hatte, die Frage einer überpartei­lichen Kommission zu übertragen, wurde schließlic­h festgelegt, dass sechs Kreisständ­e mit Abt Gerwig einen Vergleich aushandeln sollten. Dazu wurden benannt der Abt von Roggenburg, der Landkomtur des Deutschen Ordens in Altshausen und jeweils zwei Ratsmitgli­eder der Städte Ulm und Biberach. Das Ergebnis ihrer Verhandlun­g beim Abt war der in Weingarten am 27. April 1562 geschlosse­ne Vertrag.

Hauptpunkt war die gegenseiti­gen Anerkennun­g der Konfession­en. Die Katholiken sollten die Martinskir­che behalten und ihren Kult ausüben können, der Abt seinerseit­s wird die Protestant­en in der Stadt in ihrer Religion nicht behindern. Für die evangelisc­hen Prediger und Schulmeist­er tritt die Martinspfa­rrei von ihren neun Pfründen drei an die Stadt ab (Evangelisc­her Gottesdien­straum zunächst die Spitalkirc­he). Die Stadt verwaltet auch die Einkünfte der katholisch­en Kirche und muss davon deren Einrichtun­gen und Gebäude versorgen, Überschüss­e darf sie für evangelisc­he Bedürfniss­e verwenden. Die alte Stadtschul­e bei der Kirche wird den Katholiken zurückgege­ben, für die evangelisc­he Schule ein anderes Haus gesucht.

Inhalt des Vertrags ist rechtlich fraglich

Gesiegelt und unterschri­eben ist dieser Vertrag nur von den sechs Kommission­ären. Die eigentlich­en Vertragspa­rtner, der Abt als Patronatsh­err der katholisch­en Pfarrei und Bürgermeis­ter und Rat der Stadt – in den evangelisc­hen Städten auch die kirchliche Obrigkeit – fehlen. Abt Gerwig gibt zu Protokoll, dass er Inhalt und Entstehung des Vertrags als rechtlich fraglich ansieht. Für Leutkirch zeigt der Abschluss des Vertrages wie das ganze Geschehen um die Einführung der Reformatio­n, dass der Einfluss dafür von außen sehr groß war.

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FOTO: HEB/STAATSARCH­IV STUTTGART Die Reprodukti­on zeigt die erste (links) und die letzte Seite des Kirchenver­trages.

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