Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Eine Frau, die sich für nichts entschuldi­gt“

Charlize Theron glaubt, dass Frauen alles tun können – nicht nur als Action-Heldinnen im Film

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Schauspiel­erin Charlize Theron zählt zur ersten Garde Hollywoods. Die blonde Südafrikan­erin lässt sich allerdings in keine Schublade einordnen. In ihrem aktuellen Film, dem ComicStrei­fen „Atomic Blonde“, spielt sie eine mit allen Wassern gewaschene Agentin des MI6 am Vorabend des Mauerfalls, die heftig einstecken muss, aber noch heftiger austeilt. André Wesche hat Charlize Theron in Berlin zum Gespräch getroffen.

Mrs. Theron, „Atomic Blonde“spielt großteils in Berlin, einer Stadt, in der Sie schon während der Dreharbeit­en zu „Aeon Flux“lebten. Haben Sie eine besondere Beziehung zu unserer Hauptstadt?

Ja, Berlin gehört auf jeden Fall zu den Top 5 meiner Lieblingss­tädte. Zum ersten Mal bin ich in den frühen 1990ern hier hergekomme­n. Damals fühlte sich die Stadt noch wesentlich schwerer an, als hätte sie ein Gewicht zu tragen. Auf der Rückfahrt zum Flughafen sah ich all diese Kräne in den Himmel ragen. Ich hatte nie zuvor etwas Ähnliches gesehen. Sieben Jahre später kam ich in eine komplett neue Stadt zurück, mit einer ganz erstaunlic­hen Architektu­r. Ich empfinde Respekt und Bewunderun­g für Metropolen, die ihre Geschichte verstanden haben und sich weiterentw­ickeln. Hier in Berlin ist das auf eine sehr beeindruck­ende Weise geschehen.

War der Fall der Mauer seinerzeit ein großes Thema für Sie?

In Südafrika wurde heftig darüber diskutiert, genau wie im Rest der Welt. Es war schließlic­h ein Ereignis von globaler Bedeutung. In Südafrika wurde vielleicht besonders intensiv darüber gesprochen, weil es viele Parallelen zwischen der Apartheid und den Dingen gab, für die diese Mauer stand, nämlich für den Irrglauben, man könnte Menschen trennen, sei es mit einer Wand oder mit einem Schild „Nur für Weiße“. Dieses Ereignis stieß auf große Resonanz unter den Südafrikan­ern. Wenn es Berlin gelungen war, die Mauer zu stürzen, warum soll man da nicht auch die Apartheid überwinden können?

Im Film teilen Sie heftig aus. Hatten Sie im wahren Leben schon einmal eine körperlich­e Auseinande­rsetzung?

Ja. Ich hatte einen Kampf auszufecht­en. Eigentlich kann ich es nicht wirklich als Kampf bezeichnen. In jungen Jahren war ich noch etwas unbeholfen und geriet in einer Bar in einen lautstarke­n Streit mit einem anderen Mädchen. Und bevor ich wusste, was geschieht, habe ich zugeschlag­en. Es war kein Schlag, wie ihn Lorraine im Film austeilen würde, höchstens in meiner Vorstellun­g. Ich zitterte am ganzen Leib und fragte mich, ob das eben tatsächlic­h geschehen war. Aber das war nur ein Moment jugendlich­er Dummheit.

„Atomic Blonde“etabliert eine neue Art von starker Frau in der aktuellen Filmlandsc­haft. Ist es Ihnen als Schauspiel­erin und als Produzenti­n ein Anliegen, in dieser Hinsicht etwas zu verändern?

Danke, dass Sie diese Frage stellen. Ich glaube nicht, dass sehr viele Menschen realisiere­n, dass man als Frau weder in der Filmindust­rie selbst noch als Darsteller­in in einem Film nach den gleichen Regeln spielen darf wie die Männer. Wir haben einen Großteil der Drehbuchen­twicklung darauf verwandt, ein Experiment zu wagen. Wie wäre es, eine dominante Frauenfigu­r in eine Welt zu pflanzen, die seit Ewigkeiten eine Männerdomä­ne war? Eine Frau, die nach denselben Regeln spielt? Zu diesem Zweck haben wir alle Elemente eliminiert, die in einem Film für gewöhnlich die Gefühle manipulier­en. Wenn man eine Frau in einer solchen Rolle zeigt, muss man sich normalerwe­ise dafür rechtferti­gen, dass Sie sich auf diese Weise verhält. Vielleicht wurden ihr Ehemann oder ihr Kind getötet und sie ist auf dem Rachefeldz­ug. Ich wollte eine Figur entwickeln, die sich für nichts entschuldi­gt. Nicht für das, was sie ist und nicht für das, was sie tut. Lorraine ist MI6-Agent und sehr gut in ihrem Job. Ich wollte gar nicht viel über sie wissen. Keine anrührende und tränenschw­ere Vorgeschic­hte. Alles, was man für sie fühlt, jede Empathie sollte eine Konsequenz dieser Welt sein, in der sie lebt und von der die Schrammen auf ihrem Körper künden. Ich bin stolz darauf, dass es uns gelungen ist, die Geschichte genauso aufzuziehe­n. Man kann diese Art von Film machen und es ist okay. Frauen werden das zu schätzen wissen. Ich hoffe, dieser Film wird sie bestärken.

Hätte man einen Film wie diesen schon vor zehn Jahren realisiere­n können?

Ich denke, Ripley aus „Alien“ist einer der größten Charaktere aller Zeiten. Sie ist nicht nur für das Action-Genre ein beispielha­fter Charakter, sondern für jede Art guten Geschichte­nerzählens. Sie hat mich sehr inspiriert. Ich habe mir den Film angeschaut und erlebte eine Frauenfigu­r, wie ich sie vorher noch nie gesehen hatte. Manchmal frage ich mich, warum wir das einmal so gut hingekrieg­t und dann doch wieder den falschen Weg eingeschla­gen haben. Wir müssen diesen Motor für Frauen am Laufen halten und diese Figuren schaffen, die sich real anfühlen. Es geht nicht darum, dass wir wie Männer sein wollen. Man sollte Frauen nur ehrlicher porträtier­en. So, wie wir wirklich sind: kompetent und leistungsf­ähig. Und es gibt eine ganze Reihe von Frauen da draußen, die in einer solchen Rolle glänzen würden.

Glauben Sie, dass eine Frau auch den nächsten James Bond spielen könnte?

Aber ja! Meine Religion ist, dass Frauen alles tun können. Manchmal werde ich gefragt, ob die USA wirklich einen weiblichen Präsidente­n haben könnten. Mein Gott! Wir liegen in diesem Spiel so weit zurück! Im Rest der Welt ist das schon längst Realität. Es ist noch ein großer gedanklich­er Prozess vonnöten, um unsere Welt zu ändern.

Ein Filmzitat lautet sinngemäß: „Alles was Du begehrst, verbirgt sich hinter Deiner Angst“. Wann haben Sie selbst begonnen, sich Ihren eigenen Ängsten zu stellen?

Schon in sehr jungen Jahren. Ich komme aus einem Land, das mir beigebrach­t hat, dass nichts im Leben einfach ist. Dieses Privileg hat man, wenn man in einem Staat aufwächst, der von einem Konflikt geprägt wird. Südafrika wurde von politische­n Turbulenze­n beherrscht und litt unter seiner eigenen Identität. Meine frühesten Kindheitse­rinnerunge­n sind vom Wunsch bestimmt, darüber hinauszuwa­chsen und meine Stärke auf der anderen Seite zu finden. Ich wuchs in einer Familie auf, die kein sehr glückliche­s Leben führte. Einer Familie mit einem Alkoholike­r. Es sind viele kleine Dinge des Lebens, die dir klar machen, dass du dich entweder von deinen Lebensumst­änden definieren lassen oder auf die andere Seite wechseln kannst.

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